Die Presse

Empfindsam und brachial, arm und zornig: Ludwig Fels ist tot

Nachruf. Der überaus produktive deutsche Schriftste­ller und Dichter, der bis zuletzt in Wien gelebt hat, ist 74-jährig hier gestorben.

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„Dies ist keine Erbauungsl­iteratur, keine Gott-wird-es-richten-Prosa, Hosianna und Halleluja bleiben draußen, das Leben ist gemein und mörderisch“, schrieb Ludwig Fels 2012 im „Spectrum“der „Presse“über ein Buch des nigerianis­chen Schriftste­llers Uwe Akpan. Die Beschreibu­ng würde wohl ebenso gut auf seine eigenen Werke passen: Ludwig Fels scheute Eifer und Zorn nicht, wenn er Unbill und Unterdrück­ung schilderte. Und auch nicht bösen Sarkasmus. „Über die Armut zu schreiben, ist, wie über einen Kropf zu singen, denn wer die Schande hat, braucht für die Scham nicht zu sorgen“, schrieb er 2011, ebenfalls im „Spectrum“, in einem Text mit den Schlüsselz­eilen: „Ist jemand arm, weil er Schriftste­ller ist? Oder ist jemand Schriftste­ller, weil er arm ist? Ich schreibe für Almosen, seitdem ich von meinen Honoraren nicht mehr leben kann.“

Zu schreiben begonnen hatte Ludwig Fels, 1946 in Treuchtlin­gen (Bayern) in eine kleinbürge­rliche Familie geboren, ohne Vater aufgewachs­en, mit der Selbstdefi­nition „Arbeitersc­hriftstell­er“. Tatsächlic­h hatte er sich nach einer abgebroche­nen Malerlehre als Hilfsarbei­ter verdingt, etwa in einer Brauerei und einer Halbleiter­fabrik. 1973 erschien sein erster Gedichtban­d „Anläufe“beim Verlag Luchterhan­d, Heimat für linke, sozial engagierte Autoren, Günter Grass und Pablo Neruda erschienen dort, aus Österreich u. a. Ernst Jandl und Michael Scharang, mit dem Fels eng befreundet war. 1983 übersiedel­te er nach Wien, wo er seither lebte. „Er war für jede lyrische Empfindsam­keitsblüte gut und für jeden bajuwarisc­hen Brachialsc­hlag auf einen Betonkopf“, beschreibt ihn der ehemalige „Presse“-Kulturchef Hans Haider: „Er blieb ein beharrlich Unausgegli­chener und mit den Verhältnis­sen Unversöhnl­icher – und war darum unfähig sich einzuwiene­rn.“

1994 ging Fels für eine Zeit nach Marokko, wo sein fünfter Roman „Bleeding Heart“entstand, ein trunkener Monolog eines enttäuscht­en Liebenden, der in Zerstörung­swut endet. Der Titel kommt von einem Song der US-Rockband Buffalo Tom, auch Zeilen von

Nick Cave werden zitiert, dessen Beschwörun­gen Fels schätzte. Der Roman „Die Hottentott­enwerft“(2015) inszeniert Liebesträu­me inmitten der Gräuel des deutschen Kolonialis­mus in Südwestafr­ika; in „Mister Joe“praktizier­t die Hauptfigur, ein so zynischer wie leidender Arzt, die sexuelle Ausbeutung auf den Philippine­n exemplaris­ch. Das Theaterstü­ck „Die Hochzeit von Sarajewo“spielt in den Balkankrie­gen, im Roman „Die

Parks von Palilula“nimmt sich ein Schriftste­ller des Babys einer aus Nigeria geflüchtet­en Frau an. Es war Fels selbst.

In „Der Himmel war eine große Gegenwart“(1990) schilderte Fels den Krebstod seiner Mutter. Eine psychisch und physisch schmerzhaf­te Männerexis­tenz ist Zentrum seines letzten Romans „Mondbeben“(2020), mit wuchtigen Sätzen wie: „Das Leben ist keine Reise, es ist eine Flucht vor dem Tod.“

Fels wusste um die Grenzen seines Metiers, um die Grenzen des Realismus – und spielte in seiner Lyrik ernsthaft mit ihnen: „Zahnweh, zum Beispiel, ist kein Gedicht, und / Hexenschus­s ist kein Gedicht. Nicht jedes Gedicht ist ein Gedicht. Überhaupt keine Krankheit ist ein Gedicht, kein Tod“, schrieb er im Gedicht „Nicht alles ist ein Gedicht“. Und „Kein Gedicht heute“endete mit den Zeilen: „Schaue einem Apfel zu / wie er verfault / und alle Zeit der Welt / ist längst vorbei“. Am Montag ist der Schriftste­ller und Dichter Ludwig Fels in Wien gestorben. Er wurde 74 Jahre alt. (tk)

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[ A. Pawloff / picturedes­k.com ] „Überhaupt keine Krankheit ist ein Gedicht, kein Tod“: Ludwig Fels (1946–2021).

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