Kein Rezept gegen russische Fake News
Der Erfolg der russischen Propaganda in Europa gibt zu denken. Es geht nicht nur um Themen mit Moskau-Bezug.
Die Causa Nawalny nahm kurz vor Weihnachten eine für Russland unangenehme Wendung: Acht Agenten des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB wurden von internationalen Medien enttarnt. Sie sollen den gescheiterten Giftanschlag auf Alexej Nawalny verübt haben. Nawalny seinerseits konnte in einem Telefonat einem vermeintlichen FSB-Mitarbeiter ein Geständnis des Mordversuchs abringen. Doch so schlecht die Optik für Moskau jetzt auch ist, der Erfolg der russischen Gegenpropaganda gibt zu denken.
Moskaus Gegennarrative folgen bestimmten Mustern: Wie schon nach der Vergiftung des russischen Ex-Spions Sergej Skripal im Jahr 2018 in Großbritannien stellten die beiden russischen Nachrichtenmedien RT (vormals Russia Today) und Sputnik den Mordversuch an Nawalny als Provokation des Auslands dar, und als Vorwand, um Sanktionen gegen Russland einzuleiten. Beweise für Moskaus Urheberschaft wurden geleugnet, und das Narrativ einer angeblich „fehlenden Zusammenarbeit“vonseiten Berlins bzw. der britischen Regierung aufgebaut.
Ebenso wurden in beiden Fällen westliche Geheimdienste verdächtigt, die wahren Drahtzieher zu sein, gleichzeitig aber – und im Widerspruch dazu! – Gerüchte gestreut, wonach Nawalnys Koma durch eine Diät verursacht sei und Skripal Selbstmord begangen habe. Im Übrigen werde das Nawalny zugeführte Gift Nowitschok gar nicht in Russland hergestellt. Diese Behauptung übernahm später auch die deutsche Linke-Politikerin Sevim Dagdelen˘ in einer Talkshow.
RT Deutsch und Sputnik Deutschland überschütteten die Leser mit solchen Artikeln. Das ergab eine Studie der East StratCom Task Force im Europäischen Auswärtigen Dienst, die von der EU als Reaktion auf russische Desinformationskampagnen gegründet wurde. Im deutschsprachigen Raum brachten die beiden russischen Medien nicht nur die zweit- bzw. dritthöchste Anzahl an Berichten über das gescheiterte Attentat nach dessen Auffliegen, die Artikel von RT Deutsch wurden auch am zweithäufigsten in den sozialen Medien geteilt.
Rund 570.000 Abonnenten hat RT Deutsch auf Facebook und 481.000 auf YouTube. Der Sender punktet primär an den politischen Rändern. Wichtiger als die Reichweite sind für die Verbreitung der Nachrichten Tausende von Propagandisten in den sozialen Netzen, denen Berichte von RT Deutsch als Futter dienen. Fingierte Internet-Identitäten beeinflussen die Stimmung in Online-Foren im Sinn Moskaus. Russland greift auch auf lokale Akteure zurück, damit die Desinformation besser auf regionale Kontexte eingeht. Kürzlich haben Facebook und Twitter ein Netzwerk solcher russischer Online-Agenten ausgehoben.
Propaganda mit Covid-19
Neuerdings nimmt sich die russische Propaganda auch Themen ohne unmittelbaren Moskau-Bezug an wie der Covid-19-Krise, weshalb nun der deutsche Verfassungsschutz die kremlfreundlichen Medien beobachtet. Die Befürchtung: Russland benützt die Pandemie, um mittels Verschwörungstheorien – etwa über die Gefährlichkeit der Impfung, die Wirkungslosigkeit der Maßnahmen, die Kontrollpläne der „globalen Elite“– die Demokratie zu destabilisieren und Misstrauen gegen staatliche Institutionen zu säen. Gemäß dem NatoExzellenzzentrum StratCom haben zahlreiche prorussische Akteure in Deutschland solche Botschaften im Internet gestreut.
Europas konventionelle Regierungskommunikation tut sich mit all dem schwer. In Finnland und Litauen lernen Schüler mittlerweile in der Schule, wie sie Desinformation erkennen können. Das ist ein erster Schritt.
Mag. Stefan Beig (*1978) lebt und arbeitet als Journalist in Wien.