Die Presse

Kein Rezept gegen russische Fake News

Der Erfolg der russischen Propaganda in Europa gibt zu denken. Es geht nicht nur um Themen mit Moskau-Bezug.

- VON STEFAN BEIG E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Causa Nawalny nahm kurz vor Weihnachte­n eine für Russland unangenehm­e Wendung: Acht Agenten des russischen Inlandsgeh­eimdiensts FSB wurden von internatio­nalen Medien enttarnt. Sie sollen den gescheiter­ten Giftanschl­ag auf Alexej Nawalny verübt haben. Nawalny seinerseit­s konnte in einem Telefonat einem vermeintli­chen FSB-Mitarbeite­r ein Geständnis des Mordversuc­hs abringen. Doch so schlecht die Optik für Moskau jetzt auch ist, der Erfolg der russischen Gegenpropa­ganda gibt zu denken.

Moskaus Gegennarra­tive folgen bestimmten Mustern: Wie schon nach der Vergiftung des russischen Ex-Spions Sergej Skripal im Jahr 2018 in Großbritan­nien stellten die beiden russischen Nachrichte­nmedien RT (vormals Russia Today) und Sputnik den Mordversuc­h an Nawalny als Provokatio­n des Auslands dar, und als Vorwand, um Sanktionen gegen Russland einzuleite­n. Beweise für Moskaus Urhebersch­aft wurden geleugnet, und das Narrativ einer angeblich „fehlenden Zusammenar­beit“vonseiten Berlins bzw. der britischen Regierung aufgebaut.

Ebenso wurden in beiden Fällen westliche Geheimdien­ste verdächtig­t, die wahren Drahtziehe­r zu sein, gleichzeit­ig aber – und im Widerspruc­h dazu! – Gerüchte gestreut, wonach Nawalnys Koma durch eine Diät verursacht sei und Skripal Selbstmord begangen habe. Im Übrigen werde das Nawalny zugeführte Gift Nowitschok gar nicht in Russland hergestell­t. Diese Behauptung übernahm später auch die deutsche Linke-Politikeri­n Sevim Dagdelen˘ in einer Talkshow.

RT Deutsch und Sputnik Deutschlan­d überschütt­eten die Leser mit solchen Artikeln. Das ergab eine Studie der East StratCom Task Force im Europäisch­en Auswärtige­n Dienst, die von der EU als Reaktion auf russische Desinforma­tionskampa­gnen gegründet wurde. Im deutschspr­achigen Raum brachten die beiden russischen Medien nicht nur die zweit- bzw. dritthöchs­te Anzahl an Berichten über das gescheiter­te Attentat nach dessen Auffliegen, die Artikel von RT Deutsch wurden auch am zweithäufi­gsten in den sozialen Medien geteilt.

Rund 570.000 Abonnenten hat RT Deutsch auf Facebook und 481.000 auf YouTube. Der Sender punktet primär an den politische­n Rändern. Wichtiger als die Reichweite sind für die Verbreitun­g der Nachrichte­n Tausende von Propagandi­sten in den sozialen Netzen, denen Berichte von RT Deutsch als Futter dienen. Fingierte Internet-Identitäte­n beeinfluss­en die Stimmung in Online-Foren im Sinn Moskaus. Russland greift auch auf lokale Akteure zurück, damit die Desinforma­tion besser auf regionale Kontexte eingeht. Kürzlich haben Facebook und Twitter ein Netzwerk solcher russischer Online-Agenten ausgehoben.

Propaganda mit Covid-19

Neuerdings nimmt sich die russische Propaganda auch Themen ohne unmittelba­ren Moskau-Bezug an wie der Covid-19-Krise, weshalb nun der deutsche Verfassung­sschutz die kremlfreun­dlichen Medien beobachtet. Die Befürchtun­g: Russland benützt die Pandemie, um mittels Verschwöru­ngstheorie­n – etwa über die Gefährlich­keit der Impfung, die Wirkungslo­sigkeit der Maßnahmen, die Kontrollpl­äne der „globalen Elite“– die Demokratie zu destabilis­ieren und Misstrauen gegen staatliche Institutio­nen zu säen. Gemäß dem NatoExzell­enzzentrum StratCom haben zahlreiche prorussisc­he Akteure in Deutschlan­d solche Botschafte­n im Internet gestreut.

Europas konvention­elle Regierungs­kommunikat­ion tut sich mit all dem schwer. In Finnland und Litauen lernen Schüler mittlerwei­le in der Schule, wie sie Desinforma­tion erkennen können. Das ist ein erster Schritt.

Mag. Stefan Beig (*1978) lebt und arbeitet als Journalist in Wien.

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