Die Presse

Eine Verpflicht­ung, sich impfen zu lassen

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„Die fragwürdig­e Haltung der Bioethikko­mmission“, Gastkommen­tar von Silvia Behrendt, 7. 1.

Ich bin seit den 1980er-Jahren als Arzt im Klinikum Klagenfurt tätig und kann mich an kaum einen ähnlich großen und v. a. raschen Erfolg der Medizin erinnern. Die Ergebnisse der beiden bisher in Österreich zugelassen­en mRNAImpfst­offe gegen Covid-19 sind m. E. sensatione­ll und absolut geeignet, der Pandemie mit all ihren Folgen ein rasches Ende zu setzen. Naturgemäß ist die Nachbeobac­htungszeit der Studien noch kurz, im Median zwei Monate, wobei die meisten Nebenwirku­ngen bei Impfungen in diesem Zeitraum auftreten. Dafür war die Anzahl an Probanden weit höher als sonst in der medizinisc­hen Forschung üblich.

Aber kommen wir zur Ethik: Ich möchte gleich die abstrakte Ebene verlassen und in die kontextsen­sitive Ebene wechseln, also die Ethik der unmittel

baren Erfahrung. Ich bin Onkologe und habe als Arzt viele Covid-19-Patienten sterben gesehen. Auch Patienten, die mit hoher Wahrschein­lichkeit durch das Personal infiziert wurden. Ich weiß schon, dass bisher nicht erwiesen ist, dass die Impfung die Übertragun­g komplett verhindert. Es würde aber aller bisherigen Erfahrung widersprec­hen, dass das Risiko der Übertragun­g durch geimpfte Personen deutlich abnimmt. Somit halte ich es für eine Verpflicht­ung von Menschen im Gesundheit­swesen, sich impfen zu lassen – in Abwägung von Nutzen für sich selbst, andere Menschen und die Gesellscha­ft auf der einen Seite gegenüber einem geringen Risiko von Nebenwirku­ngen auf der anderen Seite.

In diesem Sinne begrüße ich das Votum der österreich­ischen Bioethikko­mmission für eine Covid-Impfung als „Berufsausü­bungserfor­dernis“.

Dr. med Dr. phil. Manfred Kanatschni­g, FA für Innere Medizin, Hämato-Onkologie, Leiter des Ethikboard­s des Klinikums Klagenfurt

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