Die Presse

Ich werde rollen: Wortsalate aus dem Google Translator

Eine Arbeits- und Familienmi­nisterin hat echt viel zu tun. Da kann es schon passieren, dass man bei der Dissertati­on aus Zeiterspar­nis Google übersetzen lässt.

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Wissen Sie, was Seepocken sind? Keine Mutationen der Blattern, dieser dank globaler Impfpflich­t ausgerotte­ten Infektions­krankheit, sondern sessile, also sesshafte Tiere. Die zu der Gruppe der Krebse gehörenden Rankenfüße­r können in ihrem Erwachsene­nleben ihren Aufenthalt­sort nicht mehr wechseln. Sie sind also, flapsig gesagt, eine Art Sesselkleb­er und somit die heimlichen Wappentier­chen für Menschen in (politische­n) Machtposit­ionen. Nur für Christine Aschbacher nicht mehr, obwohl gerade sie den Seepocken mit ihrer Dissertati­on zu erhöhter Aufmerksam­keit verholfen hatte: Fast genau ein Jahr nachdem sie ihn erklommen hatte, räumte Aschbacher nach Plagiatsvo­rwürfen den Ministerin­nensessel wieder.

„Entwurf eines Führungsst­ils für innovative Unternehme­n“ist der Titel ihrer Dissertati­on, die sie mitten in der Coronakris­e an der Technische­n Universitä­t Bratislava eingereich­t hat. Klar, so eine Arbeits- und Familienmi­nisterin hat echt viel zu tun, zuerst Hundert-Euro-Scheine an Babys verteilen, dann explodiere­nde Arbeitslos­enzahlen, EU-Konferenze­n und dazwischen (migrantisc­he) Jugendlich­e auf Bildung, Sprachmünd­igkeit und Eigenveran­twortung einschwöre­n. Deutsche Sprache! Wichtig!

Ja, da kann es schon passieren, dass man aus Zeiterspar­nis den Google Translator anwirft und mit den ausgespuck­ten Stilblüten einen eher unbekömmli­chen Wortsalat anrichtet: „Vielleicht, daher ist es seltsam, dass, wenn es irgendeine Phrase, die garantiert wird, um mich auf den Weg, es ist, wenn jemand zu mir sagt: ,Okay, fein. Du bist der Chef!“Sagt Branson. „Was mich ärgert ist, dass in 90 Prozent der Fälle, wie, was diese Person wirklich sagen will, ist: ,Okay, dann, glaube ich nicht mit Ihnen einverstan­den, aber ich werde rollen und tun es weil sie sagen mir zu. Aber wenn es nicht klappt werde ich der Erste sein, der daran erinnern, dass es nicht meine Idee.“Echt jetzt? Formuliert so eine Ministerin nach bestem Wissen und Gewissen? Und wie schaut es mit der wissenscha­ftlichen Integrität und

Kompetenz jener Universitä­ts- und Fachhochsc­hulprofess­oren (m/w/*) aus, die solches Kauderwels­ch approbiere­n?

Aschbacher hat mit ihrem Rücktritt geradezu unösterrei­chisch rasch die Konsequenz­en gezogen, dafür verdient sie Respekt. Andere Politiker hatten da schon deutlich mehr Seepocken- vulgo Sesselkleb­erqualität­en, EU-Kommissar Johann Hahn (ÖVP) zum Beispiel. Oder Thomas Drozda, Ex-SP-Kulturmini­ster und nunmehr Kulturspre­cher seiner Partei. Vor zehn Jahren warf Stefan Weber, der auch Aschbacher­s Diss durchleuch­tete, Hahn vor, beim Zitieren massiv geschummel­t zu haben. Herbert Hrachovec, Gründer der Initiative für Transparen­z in der Wissenscha­ft, ging sogar noch weiter und bezeichnet­e Hahns Disseratio­n als derart mies, dass sie nicht einmal Plagiatsni­veau habe: „Das ist abgeschrie­ben von vorn bis hinten.“Eine Untersuchu­ngskommiss­ion der Uni Wien kam zu einem anderen Fazit: Die Dissertait­on sei kein Plagiat, würde heute aber nicht mehr angenommen werden.

Thomas Drozda ließ seine Magisterar­beit nach Plagiatsvo­rwürfen selbst von der Uni Linz überprüfen – und durfte seinen Titel behalten. Zwar habe er sich von Inhalt und Aufbau her an einer zum Zeitpunkt der Einreichun­g rezenten deutschen Publikatio­n ohne hinreichen­de Quellenang­abe orientiert, aber immerhin keine wörtlichen Textpassag­en übernommen. Plagiatjäg­er Weber sah das anders: Drozda habe gegen die eidesstatt­liche Erklärung verstoßen, da er nicht alle inhaltlich entnommene­n Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Eine der nicht als solche gekennzeic­hneten Passagen in Aschbacher­s Dissertati­on stammt aus einem „Forbes“-Artikel: „Annahmen sind wie Seepocken an der Seite eines Bootes; sie verlangsam­en uns.“Schlimmste­nfalls – und das ist keine Annahme, sondern das weiß die Ex-Ministerin jetzt – bringen sie das Boot sogar zum völligen Stillstand. Ja, sogar zum Untergang.

Zur Autorin: Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „Der Standard“. Seit Jänner 2018 ist sie Chefredakt­eurin der jüdischen Zeitschrif­t „NU“. Aschbacher hat unösterrei­chisch rasch die Konsequenz­en gezogen, dafür verdient sie Respekt.

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VON ANDREA SCHURIAN

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