Eine Pandemie ist eine öffentliche Angelegenheit
Zählt das Gemeinwohl mehr als die Summe der Interessen der Einzelnen.
An Versäumnissen und Ignoranz mangelt es in der Bekämpfung der Coronapandemie nicht. Die einen beschuldigen Regierungen, die anderen die Bevölkerung, wieder andere ignorieren die Pandemie komplett. In Republiken jedoch sind alle für das Gemeinwohl der politischen Gemeinschaft verantwortlich.
Eine Republik (res publica) ist eine öffentliche Angelegenheit aller und liegt daher in der Verantwortung aller. Für den französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) stand außer Frage, dass in einer Republik alle Verantwortung übernehmen müssen, nicht nur für sich selbst. „Sobald man bei Staatsangelegenheiten die Worte hören kann: ,Was geht mich das an?‘, kann man damit rechnen, dass der Staat verloren ist“, sagte Rousseau.
Nach dem Studium von Rousseau forderte der amerikanische Präsident John F. Kennedy (1917– 1963) seine Mitbürger auf, sich nicht zu fragen, was das Land für sie tun kann, sondern, was sie für das Land tun können. Heute stellen sich viele diese Frage nicht. Vielleicht, weil sie die Konsequenzen der Pandemie nicht genug fürchten, zu große Hoffnung in eine bessere Welt haben oder sich schlicht nicht um die Gemeinschaft sorgen.
Zu wenig Furcht, zu viel Hoffnung
Für den Briten Thomas Hobbes (1588–1679), den Theoretiker des souveränen Staates, ist die wesentliche Furcht der Menschen jene vor dem Tod. Diese Furcht rechtfertigt, dass Menschen Macht an den Staat abgeben. Lang vor Hobbes bemängelte der griechische Historiker Thukydides aber, dass Menschen auch begründete Furcht angesichts grundloser Hoffnung rasch vergessen und unverantwortlich leben.
Wissenschaftliche Erkenntnisse, die Furcht und Hoffnung gleichermaßen fördern wie behindern, scheinen viele Menschen nicht zu erreichen. Laut Hobbes haben die Wissenschaften eine geringe Macht in einer Gemeinschaft, weil sie nicht von allen anerkannt werden. Der antike Philosoph Platon forderte daher Expertenregierungen. Aber das ist weder republikanisch noch demokratisch.
Verantwortung, nicht Eigenverantwortung
Kennedys Regierung bestand aus Experten. Und obwohl er die Menschen zur Mitarbeit an der Gemeinschaft aufforderte, versagte seine Administration trotzdem oder gerade deswegen in beinahe allen Bereichen. Es fehlte an praktischer Weisheit und einem Gespür für die Anliegen des Gemeinwohls. In einer Republik sind alle gefordert, Experten wie die gemeine Bevölkerung. In der Virusbekämpfung geht es daher nicht um „Eigenverantwortung“, sondern um Verantwortung für das eigene Handeln, das Auswirkungen auf die Gemeinschaft hat.
Die Pandemie zeigt, was der ehemalige tschechische Präsident Vaclav´ Havel in seiner Neujahrsansprache vor über 30 Jahren angesprochen hat. Der größte Gegner heute, auch in einer Republik, sind die schlechten Qualitäten der Menschen selbst: Gleichgültigkeit gegenüber öffentlichen Angelegenheiten, Überheblichkeit, Begierde, Egoismus, das Streben nach persönlichem Vorteil und Rivalität.
Vielleicht gibt es daher gar keine politischen Gemeinschaften, sondern nur einzelne Individuen, die zuerst auf sich selbst sehen, wie die britische Premierministerin Margaret Thatcher meinte. Der Wert des Menschen ist dann aber sein Preis und damit von der Einschätzung anderer abhängig. Das war für Thomas Hobbes so, während der Pandemie und wahrscheinlich auch danach.
Jodok Troy (* 1982 in Bregenz) ist Assistenzprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck.