Die Presse

Mit ihr spürt man die Großstadt

Martin Scorseses „Pretend It’s a City“ist eine Liebeserkl­ärung an die Autorin Fran Lebowitz und an New York – und lenkt vom tristen Corona-Alltag ab.

- VON HEIDE RAMPETZREI­TER

Martin Scorseses „Pretend It’s a City“ist eine Liebeserkl­ärung an die Autorin Fran Lebowitz und an New York.

Sie würde gern ein Manifest schreiben für alle, die in New York leben oder sich dort auch nur temporär aufhalten, sagt Autorin Fran Lebowitz in einer neuen Netflix-Doku-Serie. Ein Manifest mit Anweisunge­n: Die Leute sollen schauen, wo sie hingehen, nicht einfach irgendwo stehen bleiben. Und auf keinen Fall sie, Lebowitz, um den Weg fragen. Die Leute sollen doch einfach einmal „so tun, als wäre das eine Stadt“, sagt sie, und wie das ungeschrie­bene Manifest heißt auch die Serie: „Pretend It’s a City“ist eine Liebeserkl­ärung von Star-Regisseur Martin Scorsese an seine langjährig­e Freundin Lebowitz und an New York.

Man muss Fran Lebowitz nicht kennen, um die Serie vergnüglic­h zu finden, aber es schadet nicht. Seit der Veröffentl­ichung ihrer zwei Essay-Bände „Metropolit­an Life“(1978) und „Social Studies“(1981) lebt sie von Vorträgen darüber, dass sie eine Schreibblo­ckade hat – vielmehr aber noch von ihrer Schlagfert­igkeit. Diese stellt sie in der Serie auch in Gesprächen vor Publikum unter Beweis, mit Scorsese (der ständig über sie lachen muss) oder den Hollywoods­tars Alec Baldwin und Olivia Wilde. Mit Regisseur Spike Lee streitet sie darüber, ob Basketball-Star Michael Jordan einem Künstler ebenbürtig sei („Nein! So viel Widerspruc­h kenne ich sonst nur von der Familie“).

„Ich habe keine Macht, aber zu allem eine Meinung“, sagt Lebowitz. Das mache sie wütend. Aber sie verstehe nicht, warum manche Menschen ihr den Mund verbieten wollen – sie sei ohnehin nicht in der Position, etwas zu ändern. Den Großteil des Widerspruc­hs (im Internet) dürfte sie gar nicht mitbekomme­n: Sie besitzt kein Smartphone, nicht einmal einen Computer.

Lebowitz ist eine Stadtneuro­tikerin der altmodisch­en Art. Wenn ein Nachbar sie mit Koffern in der Lobby ihres Wohnhauses sieht, dann sicher nicht, weil sie in den Urlaub fahre, empört sie sich. Wieso sollte sie woanders hinfahren außer zum Zweck, Geld zu verdienen – das sie dann in New York ausgeben kann? Diese Liebe zur Stadt ist wohltuend in Coronazeit­en, wo das Urbane so viel von seinem Reiz verloren hat.

Was nicht an der Pandemie liegt: Die Serie ist auch nostalgisc­h. Lebowitz redet – stets rasant – vom wilden und herunterge­kommenen New York der Siebziger (wenn sie in einem der Clubs jemanden aufriss, habe sie zuerst gefragt: „Hast du eine Heizung?“). Oder von ihrer Arbeit als Taxifahrer­in, als Straßenver­käuferin und Reinigungs­kraft.

Am Tisch mit der Kultur-Elite

Lebowitz erzählt auch von ihren Freundscha­ften zu Jazzmusike­r Charles Mingus und Literaturn­obelpreist­rägerin Toni Morrison („Die einzige Schriftste­llerin, die ich kenne, die gern geschriebe­n hat“). Scorsese lässt beide mittels Archivmate­rial auferstehe­n, wählt persönlich­e, intime Videoaussc­hnitte, die eine Nähe zu diesen Großen erzeugen. Es ist ein bisschen so, als dürfe man mit der Kulturelit­e am selben Tisch tischen.

In Andy Warhols Factory war Lebowitz regelmäßig zu Gast. Sie arbeitete lang für sein „Interview Magazine“. Sie schrieb, schauspiel­erte manchmal – auch heute noch. Scorsese selbst besetzte sie als Richterin in „The Wolf of Wall Street“(2013), bei dem ihr Hauptdarst­eller Leonardo DiCaprio eine E-Zigarette schenkte, mit der sie nun heimlich im Flugzeug raucht. Eine Informatio­n, die Netflix sofort via Einblendun­g mit einer Warnung vor dem Rauchen versieht, und einer Erklärung, dass weder DiCaprio noch Lebowitz es befürworte­n. Ach, USA, Land der bevormunde­nden Warnhinwei­se.

Muss man Fran Lebowitz mögen, um die Serie vergnüglic­h zu finden? Manchmal wirkt sie arrogant. Nicht alles, was sie sagt, ist lustig. Manche ihrer Lamentos hat man so oder ähnlich schon gehört (zu viele Touristen, stinkende und ständig kaputte U-Bahnen . . .). Aber Lebowitz steht für jede Stadt, die man vermisst, nicht nur für New York – das Urbane an sich. Menschenme­ngen, Trinken in Bars, Essen in Restaurant­s, Theater, Live-Musik. Kurzum: den Wirbel und den Rausch, die nur eine Großstadt erzeugt und von denen man in Coronazeit­en nur träumen kann. „Pretend It’s a City“lässt diesen Wirbel spüren – man fühlt sich beim Zuschauen richtig lebendig.

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[ Netflix ] Autorin Fran Lebowitz hat seit 40 Jahren eine Schreibblo­ckade und lebt nun von ihrer Schlagfert­igkeit.

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