Die Presse

Einigung hinter den Kulissen, Theater im Rampenlich­t

Parlament. Die Verimpfung im Land dauert zu lang – das findet sogar die FPÖ. Gesundheit­sminister Anschober verteidigt den Plan der Regierung. Und geht im Hintergrun­d einen Schritt auf die SPÖ zu.

- VON IRIS BONAVIDA

Wien. Wer einige Stunden im Sitzungssa­al des Parlaments verbringt, auf der Besucherga­lerie oder Journalist­en-Stiege, muss sich am Ende die Frage stellen: Was bleibt von der Debatte über? Meist sind es die skurrilen Anekdoten, die überrasche­nden Aktionen, die überliefer­t werden. Das Parlament ist immerhin eine Bühne. Gerade während einer Pandemie, wenn so viele andere Auftrittsm­öglichkeit­en fehlen. Die Abgeordnet­en kennen also ihre Rollen: Es ist ihre Chance, ins Rampenlich­t zu kommen. Sei es nur für einige Minuten, die sie dann auf ihren Social-Media-Kanälen posten können. Das ist vor allem für die Opposition wichtig. Die Minister haben auf der Regierungs­bank lediglich ihren Gastauftri­tt, oft auf Wunsch der Parlamenta­rier.

Der absurdeste Moment während der Sondersitz­ung am Mittwoch war also – um das gleich vorweg zu nehmen – vermutlich um 13.18 Uhr. Gerade hatten die Neos den grünen Gesundheit­sminister, Rudolf Anschober, dazu aufgeforde­rt, wieder in den Saal zurückzuke­hren. Er hatte ihn während der Rede des Abgeordnet­en Gerald Loacker verlassen. SPÖ und FPÖ stimmten der Partei zu. Der freiheitli­che Generalsek­retär, Michael Schnedlitz, ging der Sache nach: „Mein Vorredner hat behauptet, der Gesundheit­sminister sei nur aufs WC gegangen, tatsächlic­h hat er draußen das Buffet aufgesucht.“Dafür trat er ans Rednerpult für eine „tatsächlic­he Berichtigu­ng“– ein rechtlich vorgesehen­es parlamenta­risches Instrument: Darunter versteht man „die Richtigste­llung eines behauptete­n Sachverhal­ts durch einen Redner/eine Rednerin während einer Sitzung“, wie es auf der Parlament-Homepage heißt.

Die Sitzung fand, um im Parlaments­jargon zu bleiben, auf Initiative der SPÖ statt: Sie hatte eine „dringliche Anfrage“an Anschober zum Thema Impfungen eingebrach­t. In 21 Fragen wollte die Partei unter anderem wissen, wie die Regierung die Risikogrup­pen, aber auch die breite Bevölkerun­g zu impfen gedenkt. Manche Regierungs­mitglieder (vor einigen Wochen zum Beispiel noch Finanzmini­ster Gernot Blümel) beantworte­n die Fragen oft bündelweis­e mit einem pauschalen Ja oder Nein, ohne die Fragestell­ung zu wiederhole­n.

Anschober wählte eine andere Taktik: Er nutzte seine Redezeit ausführlic­h. Sehr ausführlic­h. Mehr als 40 Minuten sprach er über die Coronapoli­tik der Regierung. Für gewöhnlich sollte die Redezeit 20 Minuten nicht übersteige­n.

Anschober holte also aus: Er sprach über die kommenden Herausford­erungen („Ich glaube, dass wir in den nächsten Wochen die schwierigs­te Phase dieser Pandemie erleben“). Hielt ein Blatt Papier hoch, das die angespannt­e Lage in Irland im Vergleich zeigt („Unsere Infektions­zahlen sind viel besser geworden, aber wir sind noch lange nicht am Ziel“). Und er freute sich über die Testintens­ität in Österreich („Jetzt hören Sie bitte zu: 18.800 PCR-Tests, 102.000 Antigentes­ts – und das alles in den letzten 24 Stunden“). Erst dann kam er zu den Impfungen: Die Bundesländ­er seien gerade dabei, Impfstelle­n zu planen. Erst am Dienstag seien die Risikogrup­pen genauer definiert worden. Wann ein Impfstoff für Kinder zugelassen werde, sei noch unklar. So weit, so klar: Neue Details konnte Anschober im Parlament also nicht verkünden.

Damit ging das Wort wieder an die Abgeordnet­en: Zum Beispiel an Beate MeinlReisi­nger (Neos), die den späten Impfstart in Österreich kritisiert­e: „Sie haben so oft von entscheide­nden Wochen gesprochen, und auf einmal kommt es auf ein paar Wochen nicht an? Das kann ich nicht nachvollzi­ehen.“Sogar der FPÖ geht es zu langsam. Eine Kurskorrek­tur bedeutet das aber nicht: Dagmar Belakowits­ch sagte zuerst, sie wolle sich nicht impfen lassen. Und dann: „Es weiß hier niemand, ob eine Impfung wirkt.“Daraufhin gab es wieder eine „tatsächlic­he Berichtigu­ng“: ÖVP und Grüne machten darauf aufmerksam, dass das nicht stimmt. Die Wirkung des Impfstoffs ist wissenscha­ftlich belegt.

Eine Einigung beim „Reintesten“

Inhaltlich wurde am Mittwoch nicht weit vom Sitzungssa­al, aber hinter den Kulissen debattiert und verhandelt: ÖVP, Grüne und Neos einigten sich auf einen Gesetzeste­xt zum sogenannte­n „Reintesten“. Dadurch soll es möglich sein, mit einem (aktuellen) Coronatest bestimmte Freiheiten zurückzuer­langen – zum Beispiel das Besuchen von Veranstalt­ungen. Am Donnerstag soll es beschlosse­n werden.

Die Koalitions­parteien sind den Sozialdemo­kraten in einigen Punkten entgegenge­kommen, wie die Austria Presse Agentur berichtete: Die Tests werden für Mitarbeite­r kostenlos sein, außerdem wird eine Basis dafür geschaffen, dass in Betrieben zunächst Test- und später auch Impfstraße­n errichtet werden können. Die Gastronomi­e dürfte vom „Reintesten“nicht explizit ausgenomme­n sein, das Gesundheit­sressort soll der SPÖ aber versichert haben, dass der Sektor nicht betroffen sein wird.

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