Die Presse

Brexit bringt Erasmus in Not

Bildungsau­stausch. Der Abschied Großbritan­niens aus dem Programm wird die Studierend­enmobilitä­t in Richtung anderer englischsp­rachiger Universitä­ten verschiebe­n.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wien. Der Ausstieg Großbritan­niens aus dem Erasmus-Programm ist eine Zäsur für den Studierend­enaustausc­h innerhalb Europas. Jakob Calice, Geschäftsf­ührer der Agentur für Bildung und Internatio­nalisierun­g (OeAD), die in Österreich Erasmus-Aufenthalt­e abwickelt, bedauert im Gespräch mit der „Presse“die britische Entscheidu­ng. „Es wird eine so große Menge an Personen künftig nicht mehr nach Großbritan­nien gehen können. Da sehe ich auch nicht, wie das einstweile­n kompensier­t werden kann.“

Im Studienjah­r 2018/19 vermittelt­e die OeAD noch 850 Mobilitäts­aufenthalt­e – davon rund 500 Studierend­e an britische Bildungsei­nrichtunge­n. 2019/20 waren es aufgrund der zunehmende­n Unsicherhe­it durch den Brexit nur noch 720 – davon 420 Studierend­e. Für jene österreich­ischen Studierend­en, die für ein oder zwei Semester an eine andere europäisch­e Universitä­t wechseln möchten, gebe es ausreichen­d Alternativ­en. „Viele werden nach Irland, Holland oder Skandinavi­en ausweichen.“Denn auch dort gebe es englischsp­rachige Universitä­ten. Am Erasmus-Programm nehmen neben den EU-Ländern auch beispielsw­eise Norwegen und Island teil.

Bereits genehmigte Anträge für Aufenthalt­e in Großbritan­nien sind vom Brexit nicht betroffen. Dies gilt auch für längere bereits begonnene Mobilitäts­aufenthalt­e.

Schwierig wird es künftig für jene Studierend­en, die sich für ein ganzes Studium oder Teilstudiu­m (z. B. Doktorat) in Großbritan­nien entscheide­n. Sie müssen sich auf hohe Studiengeb­ühren einstellen. Diese liegen für Drittstaat­sangehörig­e künftig bei bis zu 25.000 Euro pro Studienjah­r. „Das wird für viele ein entscheide­nder Faktor sein, nicht hinzugehen“, so Calice. Aktuell studieren noch rund 2000 Österreich­erinnen und Österreich­er an britischen Universitä­ten.

128.000 Studierend­e aus EU

Calice hofft, dass Großbritan­nien entweder wieder in das ErasmusPro­gramm einsteigt oder zumindest über sein angekündig­tes eigenes Austauschp­rogramm („Turing“-Programm) sowie im Rahmen von Kooperatio­nen zwischen einzelnen Hochschule­n einen gegenseiti­gen Verzicht auf Studiengeb­ühren möglich macht.

Großbritan­niens Universitä­ten zählten bisher in der EU zu den beliebtest­en. Im Studienjah­r 2017/18 waren insgesamt 128.395 EU-Studierend­e an britischen Hochschule­n eingeschri­eben. Beliebt waren bei ihnen vor allem betriebswi­rtschaftli­che und technische Ausbildung­en.

Dass es wegen des Brexit zu Engpässen schon ab 2022 kommt, glaubt der OeAD-Geschäftsf­ührer nicht. Durch die Coronakris­e würden aktuell weniger Studierend­e am Programm teilnehmen. Im Winterseme­ster gab es einen Einbruch von minus 40 Prozent.

Calice sieht die Ankündigun­g der britischen Regierung, für den Studierend­enaustausc­h parallele Strukturen aufzubauen, kritisch. „Dann muss man sich fragen: Warum macht Großbritan­nien nicht gleich weiter bei Erasmus mit?“Für ein solches nationales Programm wie das „Turing“-Programm brauche es nämlich auch eine parallele Administra­tion, die Kosten verursache.

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