„Niemand soll unfreiwillig arbeitslos sein“
Interview. Als unabhängiger Ökonom war Martin Kocher ein großer Fürsprecher einer Pensionsreform. Als neuer Arbeitsminister trägt er mit, dass es so bald keine geben wird. Den Weg zurück in die Wissenschaft lässt er sich offen.
Die Presse: Sind Sie der neue heimliche Superminister, der neben Arbeitsmarkt auch für Wirtschaft und Finanzen zuständig ist? Der Eindruck könnte entstehen. Martin Kocher: Nein, überhaupt nicht. Das wäre auch ein völliger Horror. Ich bin neu im politischen Geschäft und werde mich auf die Arbeitsmarktagenden konzentrieren. Ich bringe gern meine Expertise ein, es wird sicher Schnittmengen geben mit anderen Ministerien. Aber das ist es auch.
Wissen Sie, ob Sie die erste Wahl waren? Das weiß ich nicht, ich habe auch nicht gefragt. Das ist nicht relevant für mich.
Sie haben davon gesprochen, dass Sie Vollbeschäftigung schaffen wollen. Kann der Arbeitsminister Arbeit schaffen? Dafür sind doch die Unternehmen zuständig. Natürlich werden Arbeitsplätze durch Unternehmen geschaffen, durch Investitionen, Start-ups, Neuansiedlungen aus dem Ausland. Aber der Arbeitsminister kann mit den Rahmenbedingungen helfen, dass das funktioniert. Da geht es um Qualifikation der Arbeitnehmer, um Vermittlung in Jobs.
Und um Dinge, die nicht in Ihr Ressort fallen, wie die Senkung der Lohnnebenkosten.
Nach der Krise müssen wir den Notfallmodus rasch verlassen. Da geht es um Verbesserung der Standortfaktoren, Wirtschaftsaufschwung, die Frage, wie flexibel der Arbeitsmarkt ist, und um Lohnnebenkosten. Wie schafft man es, die Abgaben zu senken, damit es attraktiv wird, in Österreich zu investieren? Wir brauchen eine Exit-Strategie für die Pandemie und die Wirtschaftskrise.
Was heißt das konkret? Als Erstes die Kurzarbeit abschaffen, nehme ich an. Genau. Im ersten Schritt brauchen wir die Notfallmaßnahmen noch, für danach brauchen wir ein Gesamtkonzept.
Was verstehen Sie unter Vollbeschäftigung? Früher meinte man damit eine Arbeitslosenquote unter drei, später unter vier Prozent. Was ist Ihr Ziel? Vollbeschäftigung heißt für mich, dass alle Menschen, die arbeiten wollen und können, auch Arbeit finden. Niemand soll unfreiwillig arbeitslos sein. Das ist ein sehr langfristiges Ziel, in den nächsten drei, vier Jahren wird das nicht erreichbar sein.
Auch in der Krise gab es Jobs, die nicht besetzt werden konnten. Ist es in Österreich attraktiv genug, eine Arbeit anzunehmen? Das hängt von der individuellen Lage ab, davon, welchen Beruf ich habe und welche Möglichkeiten, etwas zum Arbeitslosengeld dazuzuverdienen.
Soll die Möglichkeit, zum Arbeitslosengeld geringfügig dazuzuverdienen, eingeschränkt werden?
Ich schließe nichts aus, aber es gibt keine Pläne dafür. In den nächsten Wochen und Monaten müssen wir alles diskutieren.
Das haben Sie jetzt sehr politisch-diplomatisch ausgedrückt.
Das hätte ich als IHS-Chef ähnlich gesagt.
Eine konkrete Idee, die Sie auch schon mit dem ÖGB-Präsidenten diskutiert haben, ist die Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Im IHS war man tendenziell immer dagegen, weil ein höheres Arbeitslosengeld den Anreiz senken kann, zu arbeiten. Da habe ich meine Meinung nicht geändert. Ich war immer dafür, zu diskutieren. Eine Möglichkeit wäre, zu Beginn ein höheres Arbeitslosengeld zu zahlen und es dann abzusenken. Aber so eine Reform macht man nicht in einer Krise.
Sie arbeiten mit den Sozialpartnern an einem Gesetz für das Home-Office. Sollen Arbeitgeber die Möglichkeit erhalten, ihre Mitarbeiter zu Hause zu kontrollieren? Was in Betriebsvereinbarungen steht, kann ich nicht beeinflussen. Im Jänner wollen wir eine Regelung vorlegen. Die Betriebe entscheiden, wie das genau gestaltet wird.
Soll der Chef zu Hause vorbeischauen dürfen, um sich zu vergewissern, dass wirklich gearbeitet wird?
Nein, auch im Büro ist Kontrolle ja nur begrenzt möglich. Eine Kontrolle zu Hause schließe ich aus.
Nach der Krise wird man diskutieren müssen, wie man die Schulden reduziert. Sind Sie für eine Vermögenssteuer?
Eine Steuererhöhungsdiskussion wäre derzeit kontraproduktiv. Als ehemaliger Fiskalrat-Präsident sehe ich nicht die Notwendigkeit, die Schulden extrem schnell zurückzuführen. Wenn wir zwei, drei Prozent Wachstum im Jahr haben, schaffen wir es in zehn Jahren, den Schuldenstand auf 70 Prozent zu senken. Das kann im Idealfall rasch gehen.
Sie haben sich oft für eine Pensionsreform ausgesprochen, die Regierung hat keine geplant. Stört Sie das?
Natürlich hätte ich gern eine Diskussion darüber. Aber mir war klar, unter welchen Bedingungen ich in die Regierung eintrete. Wegen einem Martin Kocher wird das Regierungsprogramm nicht umgeschrieben.
Sie haben beinahe umgehend zugesagt, als Ihnen das Ministeramt angeboten wurde. Haben Sie sich kurz überlegt, wie es für Sie nach der Politik weitergeht?
Ich habe kurz überlegt, ja. Einer der Vorteile der Wissenschaft ist, dass man dann doch wieder in die Wissenschaft einsteigen kann nach einem politischen Engagement. Fast leichter als in der Privatwirtschaft.