Wie grün kann die Wirtschaft werden?
Museumsreif sind umweltbelastende Technologien noch lange nicht – bei öffentlichen Aufträgen kommen sie aber aufgrund von neuen Regularien immer schlechter weg. Und das ist erst der Anfang.
wien. Wenn für eine öffentliche Dienststelle in Deutschland eine Kaffeemaschine angeschafft wird, dann wird es künftig eher keine Kapselmaschine mehr werden. Denn Kaffeekochen geht auch ohne diese Pads, deren Hüllen im Müll landen und bestenfalls recycelt werden. Und Produkte, für die es nachhaltigere Alternativen gibt, werden im Nachbarland in einer Art Negativkatalog gelistet, an dem sich die öffentliche Hand bei ihren Beschaffungen orientiert. Im Zweifel ist dann der umweltfreundlicheren Variante der Vorzug zu geben – selbst wenn diese in der Anschaffung teurer ist.
In Österreich gibt es das in dieser Form (noch) nicht. Kriterien für eine nachhaltige Auftragsvergabe werden aber kommen. Der „Kriterienkatalog für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung 2020“befinde sich „im Abstimmungsprozess“, sagt der Rechtsanwalt und Vergaberechtsexperte Berthold Hofbauer (Kanzlei Heid & Partner) zur „Presse“. Aus heutiger Sicht sei davon auszugehen, dass dieser noch im ersten Quartal 2021 abgeschlossen sein wird.
Dieser Katalog wird Nachhaltigkeitskriterien auflisten, die künftig bei Beschaffungen des Bundes verpflichtend anzuwenden sind. Für Länder und Gemeinden werden sie Empfehlungscharakter haben. Ökologische, aber auch soziale Vergabekriterien – etwa Lehrlingsausbildung oder Diversität – werden dann für die öffentliche Hand zumindest teilweise verbindlich. Konkret gehe es um spezielle, nachhaltige Eignungskriterien, technische Spezifikationen und Vertragsbedingungen sowie um (optionale) Zuschlagskriterien und Empfehlungen des Klimaschutzministeriums, erklärt Hofbauer. Letzteres soll den Katalog dann auch laufend aktualisieren.
„Saubere“Busse und Lkw
Ebenfalls in den nächsten Monaten steht die Umsetzung der europäischen Clean Vehicles Directive (CVD) an. „Sie regelt die Beschaffung emissionsfreier bzw. emissionsarmer Straßenfahrzeuge im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe“, so Hofbauer. Dabei geht es um Neubeschaffungen von leichten Nutzfahrzeugen, Lkw und Bussen. Gestaffelt für die Jahre 2025 und 2030 werden Mindestziele für den Anteil vergleichsweise „sauberer“sowie gänzlich emissionsfreier Fahrzeuge vorgegeben: Jeweils mindestens 22,5 Prozent müssen es spätestens 2025 sein, jeweils mindestens 32,5 Prozent längstens ab 2030. Da die Umsetzungsfrist am 2. August 2021 endet, erwartet Hofbauer „eine Bekanntgabe des Begutachtungsentwurfs noch im ersten Quartal 2021“. Spannend werde es noch, wie der österreichische Gesetzgeber die Berechnung der Mindestquoten für die Anteile an emissionsfreien und emissionsarmen Fahrzeugen regeln wird – zum Beispiel ob sie für ganz Österreich oder pro Auftraggeber berechnet werden. Noch unklar ist auch, ob sie nur für reine Neuvergaben gelten sollen oder auch für den Abruf aus bestehenden Rahmenvereinbarungen.
Nun gilt all das nur für das öffentliche Beschaffungswesen – trotzdem erhofft man sich darüber hinaus massive Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft. Denn, so Hofbauer: „In Bereichen wie Gesundheit, Bau, Verkehr ist die öffentliche Hand ein großer Player.“Und bei Vergaben wird künftig bevorzugt, wer die Vorgaben erfüllt. Nachhaltigkeit ist dann nicht mehr bloß eine – oft kostspielige – Maßnahme zur Imagepolitur, sondern wird für die Unternehmen unmittelbar profitabel. Und steht damit auch nicht mehr im Gegensatz zu Profitinteressen von Gesellschaftern bzw. Aktionären. Idealerweise werde der unternehmerische Kostenbegriff eine Wandlung erfahren – Stichwort Einbeziehung der Lebenszykluskosten. Das Fazit des Juristen: Wirtschaftlicher Erfolg werde dann nicht mehr mit Profitmaximierung im bisherigen Sinn gleichzusetzen sein. Sondern werde „mit ökologischem und sozialem Nutzen verschränkt“.
Ob das gelingen wird, hängt freilich von der konkreten Ausgestaltung der neuen Regeln ab. Daran liegt es auch, ob eher Großunternehmen die Vorgaben verfüllen können – oder die regionale mittelständische Wirtschaft. Bei einer ganzheitlichen Sicht, die etwa die Transportkilometer einbezieht, hätte Letztere recht gute Karten.
Alles in allem brauche es „ein kluges Nachhaltigkeitsrecht und nicht nur ein Summieren von Einzelmaßnahmen“, so Hofbauer. „Nachhaltigkeitsrecht“sieht er als neuen juristischen Fachbereich – und steht damit nicht allein da. Markus Beham, Völkerrechtsexperte an der Universität Passau, betont die internationale Dimension dieses Ansatzes: von den UN-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung bis hin zum „Green Deal“der EU.
„Das Recht neu denken“
„Die Europäische Kommission gibt im Rahmen ihrer jüngsten Rechtssetzung äußerst ambitionierte und strenge Zielsetzungen vor“, sagt Beham. Er erwartet eine „Vielzahl und Vielfalt rechtlicher Maßnahmen und Regulatorien“, die alle für die Wirtschaft relevanten Rechtsbereiche berühren werden: vom Privatrecht über das Steuerrecht – siehe CO2-Steuern – bis zum Strafrecht. „Es gibt auch bereits den Erstentwurf zu einem europäischen Klimagesetz, das sich über alle relevanten Wirtschaftsbereiche erstrecken soll, darunter Verkehr, Energie, Landwirtschaft, Gebäudesektor sowie die Stahl-, Zement-, Textil- und Chemieindustrie.“
Beham ist überzeugt, dass „das Recht – als Umsetzung politischer Ziele – zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele nur ganzheitlich wirken kann und wird“. Zu hinterfragen seien dann auch die gängigen Abgrenzungen zwischen juristischen Bereichen, etwa öffentlichem Recht und Privatrecht, denn: „Die normative Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele erfolgt bereits heute im rechtlichen Querschnitt zwischen Völkerrecht, Europarecht und innerstaatlichem Recht.“Die Rechtswissenschaft und die rechtliche Praxis seien daher „aufgerufen, ihre Ansätze neu zu denken“.
Unter dem Titel „Nachhaltigkeitsrecht“soll ab März sogar eine neue juristische Fachzeitschrift erscheinen, die Beham gemeinsam mit Hofbauer und dessen Kanzleikollegen Berthold Lindner herausgeben wird. Die neue Querschnittsmaterie soll darin in allen ihren komplexen Zusammenhängen umfassend abgebildet werden. Ein wichtiges – aber auch ambitioniertes Unterfangen.