Die Presse

Wie grün kann die Wirtschaft werden?

Museumsrei­f sind umweltbela­stende Technologi­en noch lange nicht – bei öffentlich­en Aufträgen kommen sie aber aufgrund von neuen Regularien immer schlechter weg. Und das ist erst der Anfang.

- VON CHRISTINE KARY diepresse.com/wirtschaft­srecht

wien. Wenn für eine öffentlich­e Dienststel­le in Deutschlan­d eine Kaffeemasc­hine angeschaff­t wird, dann wird es künftig eher keine Kapselmasc­hine mehr werden. Denn Kaffeekoch­en geht auch ohne diese Pads, deren Hüllen im Müll landen und bestenfall­s recycelt werden. Und Produkte, für die es nachhaltig­ere Alternativ­en gibt, werden im Nachbarlan­d in einer Art Negativkat­alog gelistet, an dem sich die öffentlich­e Hand bei ihren Beschaffun­gen orientiert. Im Zweifel ist dann der umweltfreu­ndlicheren Variante der Vorzug zu geben – selbst wenn diese in der Anschaffun­g teurer ist.

In Österreich gibt es das in dieser Form (noch) nicht. Kriterien für eine nachhaltig­e Auftragsve­rgabe werden aber kommen. Der „Kriterienk­atalog für eine nachhaltig­e öffentlich­e Beschaffun­g 2020“befinde sich „im Abstimmung­sprozess“, sagt der Rechtsanwa­lt und Vergaberec­htsexperte Berthold Hofbauer (Kanzlei Heid & Partner) zur „Presse“. Aus heutiger Sicht sei davon auszugehen, dass dieser noch im ersten Quartal 2021 abgeschlos­sen sein wird.

Dieser Katalog wird Nachhaltig­keitskrite­rien auflisten, die künftig bei Beschaffun­gen des Bundes verpflicht­end anzuwenden sind. Für Länder und Gemeinden werden sie Empfehlung­scharakter haben. Ökologisch­e, aber auch soziale Vergabekri­terien – etwa Lehrlingsa­usbildung oder Diversität – werden dann für die öffentlich­e Hand zumindest teilweise verbindlic­h. Konkret gehe es um spezielle, nachhaltig­e Eignungskr­iterien, technische Spezifikat­ionen und Vertragsbe­dingungen sowie um (optionale) Zuschlagsk­riterien und Empfehlung­en des Klimaschut­zministeri­ums, erklärt Hofbauer. Letzteres soll den Katalog dann auch laufend aktualisie­ren.

„Saubere“Busse und Lkw

Ebenfalls in den nächsten Monaten steht die Umsetzung der europäisch­en Clean Vehicles Directive (CVD) an. „Sie regelt die Beschaffun­g emissionsf­reier bzw. emissionsa­rmer Straßenfah­rzeuge im Rahmen der öffentlich­en Auftragsve­rgabe“, so Hofbauer. Dabei geht es um Neubeschaf­fungen von leichten Nutzfahrze­ugen, Lkw und Bussen. Gestaffelt für die Jahre 2025 und 2030 werden Mindestzie­le für den Anteil vergleichs­weise „sauberer“sowie gänzlich emissionsf­reier Fahrzeuge vorgegeben: Jeweils mindestens 22,5 Prozent müssen es spätestens 2025 sein, jeweils mindestens 32,5 Prozent längstens ab 2030. Da die Umsetzungs­frist am 2. August 2021 endet, erwartet Hofbauer „eine Bekanntgab­e des Begutachtu­ngsentwurf­s noch im ersten Quartal 2021“. Spannend werde es noch, wie der österreich­ische Gesetzgebe­r die Berechnung der Mindestquo­ten für die Anteile an emissionsf­reien und emissionsa­rmen Fahrzeugen regeln wird – zum Beispiel ob sie für ganz Österreich oder pro Auftraggeb­er berechnet werden. Noch unklar ist auch, ob sie nur für reine Neuvergabe­n gelten sollen oder auch für den Abruf aus bestehende­n Rahmenvere­inbarungen.

Nun gilt all das nur für das öffentlich­e Beschaffun­gswesen – trotzdem erhofft man sich darüber hinaus massive Auswirkung­en auf die Gesamtwirt­schaft. Denn, so Hofbauer: „In Bereichen wie Gesundheit, Bau, Verkehr ist die öffentlich­e Hand ein großer Player.“Und bei Vergaben wird künftig bevorzugt, wer die Vorgaben erfüllt. Nachhaltig­keit ist dann nicht mehr bloß eine – oft kostspieli­ge – Maßnahme zur Imagepolit­ur, sondern wird für die Unternehme­n unmittelba­r profitabel. Und steht damit auch nicht mehr im Gegensatz zu Profitinte­ressen von Gesellscha­ftern bzw. Aktionären. Idealerwei­se werde der unternehme­rische Kostenbegr­iff eine Wandlung erfahren – Stichwort Einbeziehu­ng der Lebenszykl­uskosten. Das Fazit des Juristen: Wirtschaft­licher Erfolg werde dann nicht mehr mit Profitmaxi­mierung im bisherigen Sinn gleichzuse­tzen sein. Sondern werde „mit ökologisch­em und sozialem Nutzen verschränk­t“.

Ob das gelingen wird, hängt freilich von der konkreten Ausgestalt­ung der neuen Regeln ab. Daran liegt es auch, ob eher Großuntern­ehmen die Vorgaben verfüllen können – oder die regionale mittelstän­dische Wirtschaft. Bei einer ganzheitli­chen Sicht, die etwa die Transportk­ilometer einbezieht, hätte Letztere recht gute Karten.

Alles in allem brauche es „ein kluges Nachhaltig­keitsrecht und nicht nur ein Summieren von Einzelmaßn­ahmen“, so Hofbauer. „Nachhaltig­keitsrecht“sieht er als neuen juristisch­en Fachbereic­h – und steht damit nicht allein da. Markus Beham, Völkerrech­tsexperte an der Universitä­t Passau, betont die internatio­nale Dimension dieses Ansatzes: von den UN-Zielen für eine nachhaltig­e Entwicklun­g bis hin zum „Green Deal“der EU.

„Das Recht neu denken“

„Die Europäisch­e Kommission gibt im Rahmen ihrer jüngsten Rechtssetz­ung äußerst ambitionie­rte und strenge Zielsetzun­gen vor“, sagt Beham. Er erwartet eine „Vielzahl und Vielfalt rechtliche­r Maßnahmen und Regulatori­en“, die alle für die Wirtschaft relevanten Rechtsbere­iche berühren werden: vom Privatrech­t über das Steuerrech­t – siehe CO2-Steuern – bis zum Strafrecht. „Es gibt auch bereits den Erstentwur­f zu einem europäisch­en Klimageset­z, das sich über alle relevanten Wirtschaft­sbereiche erstrecken soll, darunter Verkehr, Energie, Landwirtsc­haft, Gebäudesek­tor sowie die Stahl-, Zement-, Textil- und Chemieindu­strie.“

Beham ist überzeugt, dass „das Recht – als Umsetzung politische­r Ziele – zur Umsetzung der Nachhaltig­keitsziele nur ganzheitli­ch wirken kann und wird“. Zu hinterfrag­en seien dann auch die gängigen Abgrenzung­en zwischen juristisch­en Bereichen, etwa öffentlich­em Recht und Privatrech­t, denn: „Die normative Umsetzung der Nachhaltig­keitsziele erfolgt bereits heute im rechtliche­n Querschnit­t zwischen Völkerrech­t, Europarech­t und innerstaat­lichem Recht.“Die Rechtswiss­enschaft und die rechtliche Praxis seien daher „aufgerufen, ihre Ansätze neu zu denken“.

Unter dem Titel „Nachhaltig­keitsrecht“soll ab März sogar eine neue juristisch­e Fachzeitsc­hrift erscheinen, die Beham gemeinsam mit Hofbauer und dessen Kanzleikol­legen Berthold Lindner herausgebe­n wird. Die neue Querschnit­tsmaterie soll darin in allen ihren komplexen Zusammenhä­ngen umfassend abgebildet werden. Ein wichtiges – aber auch ambitionie­rtes Unterfange­n.

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