Kochen und Karaoke-Singen, bis sich alle wieder lieb haben
Wie es aussieht, wird die „Documenta fifteen“nach Gerüchten um ihre Verschiebung doch 2022 stattfinden. Das „Superjahr“kann kommen.
„Lumbung“, Reisscheune, heißt das Konzept der DocumentaKuratoren aus Indonesien.
So viel Ruhe war noch nie vor einem Sturm. Und noch nie hat man einen solchen so ersehnt, wie er sich für 2022 ankündigt. Mit dieser magischen Zahl konnte man sich in der bildenden Kunst zumindest über die vergangenen Monate des Stillstands hinwegtrösten: Durch die Verschiebung der Kunst-Biennale in Venedig um ein Jahr kommt es 2022 zu einem vorgezogenen „Superjahr“, also einem Jahr, in dem die Biennale Venedig und die nur alle fünf Jahre stattfindende Documenta zusammenfallen – wie es zuletzt 2017 der Fall war. Wir haben es uns in all seiner hyperventilierenden Aufgeregtheit, all seinem schäbigen globalen Glamour tatsächlich schon ersehnt.
Dann wurde in Kassel plötzlich überlegt, die „Documenta fifteen“, wie sie genannt wird, ebenfalls um ein Jahr zu verschieben. Was angesichts der ohnehin jahrelangen, luxuriös wirkenden Vorbereitungszeit nahezu dekadent wirkte. So schnell der Gedanke auftauchte, wurde er gestern auch schon wieder offiziell dementiert. Man halte an dem Termin fest.
Und das ist gut so: Die Umlaufzeiten der Mega-Meteoriten im KunstUniversum vertragen in diesen Zeiten eine Beschleunigung. Eine solche war sogar noch nie so wünschenswert.
Diese immer schon politischen Großausstellungen erhalten dadurch eine ungeahnte Relevanz. Und ihren seit Langem festsehenden Chefideologinnen und -ideologen eröffnen sie nicht geahnte Möglichkeiten. Cecilia Alemani, die erste italienische Frau, die die Mutter aller Biennalen verantwortet, hält ihr Generalthema klugerweise noch bedeckt. Das indonesische Kollektiv Ruangrupa, das die „Documenta fifteen“verantwortet, hat seine Leitideen aber schon vor Coronazeiten präzise formuliert. Sie bringen, wie bei jeder Documenta, neue Vokabeln ins Spiel. Diesmal können sie sogar eine Stadt wie Kassel zu einer exotischen Destination verzaubern, zumindest in Gedanken. Als zentraler Begriff ist „Lumbung“ausgegeben, was für eine „nachhaltige“gesellschaftliche Entwicklung steht.
Es bezeichnet den in gewissen indonesischen Landgebieten immer noch praktizierten Brauch, die überschüssige Reisernte in eine Gemeinschaftsscheune einzubringen, die dann allen Bedürftigen zur Verfügung steht. Für ihre Documenta sammelt Ruangrupa nun Projekte und Werke, in denen ein vergleichbarer Gemeinschaftssinn, vergleichbare solidarische Ansätze eine Rolle spielen.
Jeder im Kollektiv kann derlei vorschlagen. Was dann angeblich so lang diskutiert wird, bis sich alle einig sind – „mufakat“heißt dieser Prozess. Gibt es dabei Probleme, wird einfach so lang gemeinsam gekocht und Karaoke gesungen, bis sozusagen alles gegessen ist. Und „Nongkrong“einsetzen kann, das kreative gemeinsame „Abhängen“, wie in deutschen Medien erklärt wird. Wäre nicht Corona: Wir müssten jetzt lachen, nicht weinen.