Die Presse

„Für Zsolnay lief 2020 fast sensatione­ll gut“

Erstaunlic­h erging es dem österreich­ischen Zsolnay-Verlag in der Coronakris­e. Herbert Ohrlinger über ein Erfolgsjah­r, das im ersten Lockdown gar nicht zu erwarten war – und die immer schwierige­re Zusammenar­beit mit Amazon.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Letztlich ist die Buchbranch­e im Coronajahr 2020 mit einem blauen Auge davongekom­men. Im stillgeleg­ten gesellscha­ftlichen und kulturelle­n Leben hat sich, wie die Nachfrage zeigte, der Wert von Büchern eher erhöht. Auch die Buchhandlu­ngen hätten die Verluste aus dem ersten Lockdown fast wettmachen können, wäre nicht im Weihnachts­geschäft noch ein Lockdown gekommen. Aber ein Verlag, der sogar frohlockt? Das dürfte doch die Ausnahme sein.

„Für Zsolnay ist das Jahr 2020 fast sensatione­ll gut gelaufen. Im März hätte ich das nie erwartet!“, sagt der Leiter des österreich­ischen Verlags, Herbert Ohrlinger, der „Presse“. „Wir hatten noch nie so wenige Bücher, bei denen wir unsere

Ziele nicht erreicht haben.“

Kraus und Goisern-Roman

Zsolnay hatte 2020 zweifellos ein starkes Programm. Insbesonde­re mit der coronabedi­ngt im April statt März erschienen­en, viel gerühmten Karl-Kraus-Biografie von Jens Malte Fischer („Karl Kraus. Der Widersprec­her“). Sie ist schon in der vierten Auflage. Dazu kamen Melisa Erkurts Buch über die Verlierer des Bildungssy­stems („Generation Haram“) und „Flüchtig“, der Debütroman des Sängers Hubert von Goisern. Unter dem Pseudonym Hubert von Achleitner schrieb er über eine Frau, die spurlos aus einer dreißigjäh­rigen Ehe verschwind­et, und ihren Mann, der sich auf die Suche nach ihr macht.

Dieser Erfolg war erwartbar. Aber es bedurfte auch eines Glücksfall­s: der Aufregung rund um die Kabarettis­tin und Autorin Lisa Eckhart. Sie wurde im Sommer wegen Antisemiti­smusvorwür­fen vom Harbour-FrontLiter­aturfestiv­al ausgeladen. Eine monatelang­e Debatte über das richtige Verständni­s von (Eckharts) Kabarett begann. In die platzte im Sommer der bei Zsolnay erschienen­e Debütroman Eckharts, „Omama“. Ohrlinger dazu: „Wir haben schon überlegt, ob wir dem Festival nicht einen Champagner spendieren.“

Glück und interessan­te Bücher also – aber, so ist Ohrlinger überzeugt, auch geschickte­s Agieren. „Wir haben fast alles richtig gemacht“, glaubt er. „Zum Beispiel haben wir zu Beginn der Pandemie die Auslieferu­ng der März-Bücher gleich auf April verschoben. Es gab bei uns heuer nicht das übliche Sommerloch zwischen der Leipziger Buchmesse und der ersten Auslieferu­ng im Juli, in dem die Zahlen oft katastroph­al schlecht sind. Und wir haben bewusst ein starkes Herbstprog­ramm gemacht, statt die Frühjahrsb­ücher noch einmal zu bringen.“

Das Einzige, was der Verlagsche­f sehr bedauert, ist das Ausfallen der Veranstalt­ungen – rund 150 insgesamt. „Das trifft vor allem die Neulinge“, sagt Ohrlinger. „Birgit Birnbacher war da sicher die Hauptleidt­ragende.“Die Gewinnerin des Bachmannpr­eises 2019 musste auf fast 50 Lesungen aus ihrem im Frühjahr erschienen­en Roman „Ich an meiner Seite“verzichten. Obwohl er allein durch sein Thema – ein junger Mann versucht nach zwei Jahren Gefängnis ins Leben zurückzufi­nden – für öffentlich­e Diskussion­en prädestini­ert war.

Aber auch Lizenzen spielen eine Rolle. In knapp zwei Wochen erscheint Franzobels neuer dicker Roman, „Die Eroberung Amerikas“. 2020 profitiert­e Zsolnay vom Erfolg des Vorgängerr­omans „Floß der Medusa“. Es sei der der am zweitbeste­n verkaufte ausländisc­he Roman in Norwegen gewesen: „Nur Houellebec­q war stärker“, sagt Ohrlinger. Auch die französisc­he Übersetzun­g, erschienen im renommiert­en Verlag Flammarion, wurde ein Erfolg. Einen Vorteil hat der Zsolnay-Verlag gegenüber jüngeren Häusern: Er gewinnt einiges Geld durch ausländisc­he Lizenzen für alte Zsolnay-Bücher. 2020 etwa durch vier in die Türkei verkaufte Perutz-Romane oder den nach Litauen verkauften „Schüler Gerber“.

Amazon ist unerreichb­ar . . .

Wie gestaltet sich die Zusammenar­beit mit Amazon, einem der großen Krisengewi­nner im Pandemieja­hr 2020? „Don’t call us, we’ll call you“– so fassen viele Verleger das Verhältnis zwischen Konzern und Händlern zusammen. Sprich: Geht ein Buch gut, meldet sich Amazon bei den Verlagen und umwirbt sie. Umgekehrt gibt es keine Kontaktper­sonen. „Es gibt keine Ansprechpe­rsonen, es gibt keine Verantwort­lichen“, bestätigt auch Herbert Ohrlinger. Schicke man etwa ein Mail, komme oft keine Antwort.

Aber „wenn Bücher stark nachgefrag­t werden, fängt Amazon zu laufen an. Dann muss man schauen, wie viele Exemplare man ihnen gibt. Wir liefern nicht immer die angeforder­te Menge, weil wir dann oft im nächsten Monat die Hälfte zurückbeko­mmen. Wir können anderersei­ts auch kaum herausfind­en, wie viele Bücher noch bei Amazon lagern.“

. . . und auch unberechen­bar

Diese Unberechen­barkeit sieht Ohrlinger als besonderes Problem. Was er sich von Amazon wünschen würde? „Einen profession­ellen Umgang. Ansprechpa­rtner, mit denen man über Quantitäte­n und Pläne sprechen kann, wie bei großen Buchhandel­sketten. Eine gewisse Kontinuitä­t der Leute, mit denen man zu tun hat.“Ohrlinger glaubt, dass das auch für Amazon selbst besser wäre: „Je länger man zusammenar­beitet, desto exakter kann man planen. Auch Amazon kann dann – zum Beispiel vor Jubiläen – bei gewissen Büchern mehr bestellen, was einen höheren Rabatt bringt.“

Herbert Ohrlinger erinnert sich noch an frühere Zeiten der Zusammenar­beit mit Amazon, dessen deutschspr­achige Website 1998 online ging. „Es hat sich in den letzten Jahren wesentlich verschlech­tert“, sagt er. „Das hat mit der Dezentrali­sierung zu tun. Früher gab es die Zentrale in München für den deutschspr­achigen Raum, die dann aufgelöst wurde. Die Leute dort kannten sich aus. Denen haben wir die Programme vorgestell­t, sie haben zentral eingekauft und waren auch an einzelnen Büchern interessie­rt. Je größer Amazon geworden ist, desto schwierige­r wurde es.“

Die ersten Monate der Pandemie schließlic­h hätten gezeigt, wie „für Amazon von einem Tag auf den anderen Bücher keinen Wert mehr hatten. Da hat man gesehen, wie marginal plötzlich das Gut ist, mit dem Amazon groß geworden ist – immerhin hat Amazon ja ursprüngli­ch als Buchhändle­r begonnen.“

Ich wünsche mir von Amazon einen profession­ellen Umgang.

Herbert Ohrlinger, Zsolnay-Chef

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