Familien- und Fälschungssachen
Anmerkungen zum Kulturkuriosum rund um Arnulf Rainer, seine langjährige Partnerin und angeblich gefälschte Werke.
Was sich unlängst im „Standard“(„ Zu echt, um echt zu sein“, von Olga Kronsteiner, 29. 12. 2020) wie ein Kulturkuriosum oder eine Kriminalgroteske gelesen hat, muss vor dem Hintergrund eines handfesten Fehlverhaltens gesehen werden, das keineswegs den Maler Arnulf Rainer und „seine langjährige Lebensgefährtin“allein betrifft – wir begeben uns auf dicht vermintes kulturpolitisches und künstlerisches Gelände.
Worum geht es? Rainer habe in seinem Atelier auf Teneriffa – „fernab von Wien und seiner Frau“– Hunderte Werke „erotischen und pornografischen Inhalts“hervorgebracht. Das ist die eine Seite der Medaille. Wobei ich in Zweifel ziehen möchte, ob die Ergebnisse der Fotoüberarbeitungen, von denen hier die Rede ist, pornografisch sein können, zumal Rainer in früheren, bedeutenden Werkserien, wie den „Frauenposen“von 1977, zwar Sexualität und Pornografie reflektiert, aber bemerkenswerterweise durch die Kommentare seiner spitzen Zeichenfeder gerade den voyeuristischen Zugang buchstäblich durchgestrichen, raffiniert zensuriert hat. Rainers Intention war, den merkwürdig lächerlichen, mühsam verrenkten, wahren Charakter einer unter die sexuelle Reizschwelle gefallenen pornografischen Handlung zu enthüllen. Die schiere Produktion von Pornografie ist Rainer jedenfalls nicht zuzutrauen.
Wirklich problematisch wird es, und das ist die andere, öffentlich relevante Seite, wenn die ehemalige Lebensgefährtin Hannelore Ditz einige dieser zwischen 2010 und 2014 entstandenen Werke – oder alle (was sich meiner Kenntnis entzieht) – zu Fälschungen erklärt, wie Olga Kronsteiner weitsichtig schreibt: „als ultimatives Mittel der Zensur“. Und das geht nicht; unter gar keinen Umständen. Was ein Künstler hervorgebracht hat, ist echt – auch er selbst hat kein Recht, das zu bestreiten. Er kann natürlich damit machen, was er will, es zerstören, als missglückt bezeichnen, sich in jeder Hinsicht davon distanzieren, er darf es aber nicht als falsch im Sinn von „Fälschung“bezeichnen. Das wäre Lüge oder Betrug, an der Öffentlichkeit, schlimmstenfalls an einem Sammler, Händler oder Museum. Ein Werk von der Hand eines bestimmten Künstlers kann gar nicht anders als echt sein – wenn auch noch so schlecht. Aber davon ist hier keineswegs die Rede.
Ich nehme immer häufiger wahr, dass die Praxis, etwas für falsch zu erklären, zunehmend „an Attraktivität gewinnt“; oder aber auch, etwas für echt zu erklären, ohne über ein angemessenes wissenschaftliches, durch Publikationen begründetes Sachverständnis zu verfügen. Das betrifft vor allem auch „Expertisen“, also Echtheitsbestätigungen, durch Familienmitglieder der Künstler. – Rainers Frau Ditz wurde von Auktionshäusern in diesem Sinn mehrfach als maßgeblich konsultiert.
Ach, Expertise von Familie!
Wir hatten bereits die Geschichte einer Künstlertochter, die alles, was nicht niet- und nagelfest ist, mit dem Nachlassstempel ihres Malervaters versehen hat – ob es im Nachlass war oder nicht. Überhaupt die Expertise von Familie! Angehörigkeit als solche bringt jedenfalls noch nicht Kennerschaft hervor – wir wissen über viele Künstlerfrauen, die von den Qualitäten der Werke ihrer Männer keine Ahnung hatten.
Nun könnte sich Ditz im Lauf der Jahre besondere Einsicht in das Werk ihres Lebensgefährten erworben haben – das müsste sie belegen, wie es von jeder Kapazität erwartet werden darf. Ich weiß aber nichts von einer zumindest begleitenden akademischen Ausbildung, habe noch keinen profunden Aufsatz aus ihrer Feder gelesen. Wenn sie aber echte Werke für falsch erklärt, dann hat sie verspielt – ein für alle Mal.
Dr. Otmar Rychlik (* 1956) ist freischaffender Kunsthistoriker (Dissertation über Arnulf Rainer), Hochschullehrer und Ausstellungskurator.