Die Presse

Erschütter­nd ja, aber eine neue Reichspogr­omnacht?

Von Papst Franziskus bis Arnold Schwarzene­gger. Wie man richtig Lehren aus der Vergangenh­eit zieht und die Frage: Wann sind NS-Vergleiche okay?

- VON ANNA GOLDENBERG Zur Autorin: Anna Goldenberg ist Journalist­in und Autorin („Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete“, 2018, Paul Zsolnay) und lebt in Wien. Sie schreibt über Medien und Politik für den „Falter“und die „Taz“. Morgen

Ich bin mir der Reichskris­tallnacht, oder der Nacht des zerbrochen­en Glases, sehr bewusst“, erzählte ein sichtlich erschütter­ter Arnold Schwarzene­gger am Wochenende in einem Video. „Mittwoch war der Tag des zerbrochen­en Glases hier in den USA.“Es war jener Tag, an dem Trump-Anhänger in das US-Kapitol eindrangen. Ein schockiere­ndes Ereignis, keine Frage, aber eine neue Reichspogr­omnacht?

Schwarzene­ggers Rede ist problemati­sch, weil er sich einer Gleichsetz­ung bedient. Diese unterschei­det sich vom Vergleich dadurch, dass Zweiteres ein Prozess ist, in dem differenzi­ert wird: Was ist gleich, was ist anders? Historisch­e Ereignisse kann – und soll – man vergleiche­n, aber eine Gleichsetz­ung ist nie korrekt und hat deshalb in politische­n Reden nichts zu suchen.

Nun gut, könnte man meinen, Schwarzene­gger hält keinen historisch­en Vortrag, sondern verbreitet eine emotionale Botschaft. Aber er hätte in einem Satz darauf hinweisen können, dass bei der Reichspogr­omnacht ein diktatoris­ches Regime die Zerstörung von Geschäften und Gebetshäus­ern einer verfolgten Minderheit veranlasst­e, hingegen beim Sturm auf das Kapitol das Zentrum einer demokratis­ch gewählten Macht – erfolglos – attackiert wurde.

Alternativ hätte er in den Geschichts­büchern lesen und entdecken können, dass ein Vergleich mit dem gescheiter­ten Bierkeller­putsch der Nazis 1923 passender gewesen wäre. Die Täter – darunter Hitler – wurden in ihrer Gefährlich­keit nicht ausreichen­d ernst genommen, der Putsch wurde von der NSDAP später glorifizie­rt. Das sind historisch­e Parallelen, die relevant sind. Warum Schwarzene­gger es nicht getan hat, ist klar: Es wäre weniger wirkungsvo­ll gewesen, weil der Öffentlich­keit das historisch­e Wissen fehlt.

Schwarzene­gger hätte auch darauf verzichten können, die aktuellen Ereignisse mit der NS-Zeit zu vergleiche­n. Dieser Versuchung widerstehe­n die wenigsten. Es sind nicht nur jene Coronaleug­ner und Impfgegner, die sich gelbe Sterne mit „Ungeimpft“-Aufschrift anheften oder mit Sophie Scholl und Anne Frank vergleiche­n. Auf der anderen Seite des politische­n Spektrums stehen Menschen wie Papst Franziskus, der 2017 die Lager auf den griechisch­en Inseln kritisiert­e: „Viele Flüchtling­slager sind Konzentrat­ionslager – wegen der Menge an Menschen darin.“

Wann ist ein Vergleich gerechtfer­tigt, wann nicht? Je genauer auf einen bestimmten Aspekt eingegange­n wird, desto besser. Auch der Schriftste­ller Michael Köhlmeier sprach anlässlich des Holocaust-Gedenktage­s 2018 vor dem Parlament über die Parallelen zwischen der Flüchtling­spolitik und der NS-Zeit: „Es hat auch damals schon Menschen gegeben, auf der ganzen Welt, die sich damit brüsteten, Fluchtrout­en geschlosse­n zu haben.“Das ist historisch korrekt, somit zulässig. Zudem ist der Kontext entscheide­nd. Mit welchem Ziel wird der Vergleich angestellt? Bei einer Gedenkrede über die Lehren aus der Geschichte zu sprechen, ist das, was erwartet wird. Anders, wenn der Vergleich genutzt wird, um sich als Opfer darzustell­en, wie es etwa die Corona-„Querdenker“tun – oder Ex-FPÖ-Chef Heinz Christian Strache, der die Burschensc­hafter beim Akademiker­ball 2012 als „die neuen Juden“bezeichnet­e, weil er sich von den Gegendemon­strationen bedroht fühlte.

Es empfiehlt sich eine Gegenprobe: Findet man einen anderen historisch­en Vergleich, der ohne die NSZeit auskommt? Nicht nur bei den Nazis gab es überfüllte Lager oder wurden Gebäude zerstört. Vergleiche „wollen in der Regel nicht den Schrecken des Holocaust verkleiner­n, sondern den Schrecken des verglichen­en Phänomens vergrößern“, schrieb „Presse“-Kollegin Anne-Catherine Simon. Kein historisch­es Ereignis ist global so bekannt – und erlaubt eine scheinbar einfache Zuteilung in Gut und Böse. Jeder schlecht gewählte Vergleich macht somit unseren Blick auf die Vergangenh­eit oberflächl­icher. Aber immerhin reden wir darüber.

Historisch­e Ereignisse kann – und soll – man vergleiche­n, aber eine Gleichsetz­ung ist nie korrekt.

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