Wie bremst man die Virusvariante?
Maßnahmen. Hilft nur ein strengerer Lockdown oder reicht es, wenn sich (fast) alle testen und wenn nötig, konsequent isolieren?
Wien. Wenn man nachfragt, wie die Strategie gegen die um 50 bis 70 Prozent ansteckendere britische Virusvariante aussieht, hört man: Bitte warten. Zwar gehen Virologen, Epidemiologen und Prognoseforscher davon aus, dass sich die Mutante durchsetzen wird. Wie schnell das passiert, ist aber unklar.
Zum einen, weil internationale Vergleiche nicht 1:1 umzulegen seien, wie man im Gesundheitsministerium unterstreicht. Für den starken Anstieg der Zahlen in Irland gebe es neben der neuen Virusvariante auch andere Gründe, etwa offene Pubs und Treffen zu den Feiertagen. Zudem rechnet man im Ministerium doch mit einem größeren Zeitvorsprung: In Großbritannien sei die Variante im September erstmals entdeckt worden und habe somit länger gebraucht, um sich auszubreiten.
Um klarer zu sehen – hier sind sich Teams aus dem Prognosekonsortium und viele andere Foscherinnen einig –, sind noch weitere Sequenzierungen des Virus notwendig, die nun verstärkt erfolgen. Nächste Woche, so hofft Modellrechner Niki Popper, werde man einen besseren Überblick haben. Dann aber müsse man rasch reagieren: „Wenn ich den Effekt der Variante in den realen Ausbreitungszahlen sehe, ist es zu spät, dann haben wir wichtige Zeit verloren.“Aber wie soll man das Zeitfenster, den Vorsprung nutzen? Am wichtigsten sei es, die Impfungen zu beschleunigen, sagt Epidemiologe Gerald Gartlehner. Ältere mit Risiko für schwere Verläufe müssten sozusagen aus der Schusslinie genommen werden. Manche Länder haben sich entschieden, die Gabe der zweite Dosis länger als vorgeschrieben hinauszuzögern, um mehr Menschen impfen zu können. Deutschland, aber auch Österreich ist das zu riskant.
Österreich schließt aber bereits Grenzen: kleine Grenzübergänge zu Tschechien und der Slowakei, weil der Verdacht besteht, dass eine slowakische Pflegekraft ein Cluster mit der Virusvariante in einem Wiener Pflegeheim ausgelöst haben könnte. Nachdenken will Gesundheitsminister Rudolf Anschober auch über eine Ausweitung der FFP2-Masken-Pflicht wie in Bayern. Aus dem Ministerium heißt es, das sei noch offen: Bernhard Benka, Leiter der Abteilung für übertragbare Erkrankungen, Krisenmanagement und Seuchenbekämpfung, erklärt, die Masken schützten zwar besser (und werden darum ja auch an Ältere verteilt), seien aber ursprünglich nicht für die Laien-Anwendung gedacht. All das sind einzelne Bausteine. Aber was ist die große Strategie, um der gesteigerten Infektiosität zu begegnen? Virologe Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin sagte immerhin zuletzt in der „Presse“, man müsse die Reproduktionsrate, also die Zahl jener, die eine infizierte Person im Schnitt ansteckt, statt unter 1 zumindest unter 0,6 zu drücken – also etwa um jene Rate, um die das Virus ansteckender ist. Wie schafft man das?
Home-Office als Regel
Prinzipiell, sagt Popper, gilt das alte Rezept: Kontaktreduktion, Hygiene, Infizierte erkennen und isolieren. „Das würde wirken, es muss aber konsequent gemacht werden.“Denn auch wenn man noch abwarten muss, wie effektiv der laufende Lockdown ist, ist klar: „In der Wirksamkeit liegen wir weit unter den Werten vom letzten Frühjahr“, sagt Popper. „Wir haben z. B. mehr offene Arbeitsplätze, offene Skilifte und weniger Einschränkung in der Mobilität“„Wenn man unter 0,6 will, brauchte es einen viel härteren Lockdown“, sagt Gartlehner. „Ein Lockdown mit Skifahren, bei dem sich die Bevölkerung mehr schlecht als recht an die Regeln hält, reicht auch nicht, wenn wir das weitere sechs Wochen machen.“
Was heißt strenger? Ein Einschränken des Bewegungsradius in Gebieten mit hoher Inzidenz wie in Deutschland, sagt der Epidemiologe, der auch Geschäfte noch nicht aufsperren würde. Auch die Idee des deutschen Virologe Christian Drosten begrüßt er. Dieser hat vorgeschlagen, dass es statt der Empfehlung, im Home-Office zu arbeiten, eine Begründungspflicht geben soll. Man müsste begründen, warum ein Arbeitnehmer nicht von daheim aus arbeiten kann. Gartlehner will auch die Skilifte schließen: „Es stecken sich nicht viele beim Skifahren an, aber es geht um Message, die vermittelt wird. Wenn man Skifahren geht, kann man einander auch sonst treffen.“Aus dem Umkreis des Ministeriums hört man, dass das denkbar wäre, wahrscheinlicher wird auch, dass die Hotels in den Semesterferien zu bleiben.
Aber ist das der einzige Weg? Immer radikalere Maßnahmen? Popper zweifelt, auch wenn Deutschland darauf zu setzen scheint. Auch Peter Klimek, Komplexitätsforscher am Science Hub Vienna, sagt: „Lockdowns nützen sich ab.“Viel Testen und schnell Isolieren ist für Popper eine entscheidende Ergänzung, auch wenn das ebenso nicht neu ist: Wenn relevante Bevölkerungsgruppen einmal wöchentlich laufend getestet würden – und das sei mit Berufsgruppen und Schulen der Fall –, sei schon viel gewonnen.
Wichtig sei aber, dass nach dem Testen auch rasch isoliert werde: „Die Isolierung muss innerhalb von 24 bis 48 Stunden passieren, danach sinkt die Wirksamkeit drastisch“, sagt Popper. Die Öffnung der Schulen mit regelmäßigen Tests findet er gut, aber: „Das funktioniert nur, wenn sich genug testen lassen und Testqualität und Strategie passen. Und: Wenn ein Schüler positiv ist, müsste der ganze Haushalt in Quarantäne gehen. Dann ist es, das zeigt das Modell, sehr effektiv. Dazu muss man den Menschen aber auch Sicherheit geben, etwa am Arbeitsplatz keine Nachteile zu haben.“
Gartlehner glaubt auch, dass die Tests in Schulen einen guten Überblick über Verbreitung der Mutante geben können: Dazu müsste man Stichproben mit den speziellen PCR-Tests machen, die als Vortest fungieren, Sequenzierungen müssten dann folgen. Ähnliches wird übrigens auch für 24h-Pfleger und pendelndes Krankenhauspersonal aus der Slowakei angedacht. Für die gebe es sowieso ein breites Testangebot, so Benka. Bei positiven Antigen-Tests von Betroffenen könnten die Ergebnisse mittels eine speziellen PCR-Tests auf die Virus-Variante überprüft werden. Routinemäßig sei das jetzt noch nicht umgesetzt, da diese Fälle erst seit kurzem bekannt seien. Die betroffenen Stellen sind aber informiert und sensibilisiert.