Die Presse

Wie Selbsttest­s den Unterricht retten sollen

Analyse. Sie sind zwar nicht sehr zuverlässi­g, aber bei reger Beteiligun­g und in Kombinatio­n mit anderen Maßnahmen erfüllen die Tests ihren Zweck.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Das von Bildungsmi­nister Heinz Faßmann gewählte Bild trifft es ganz gut – er nennt die geplanten Schnelltes­ts für zu Hause ein „Sicherheit­snetz“. Genau das können die fünf Millionen Selbsttest­s sein, für die eine Probenentn­ahme im vorderen Nasenberei­ch genügt und die in zehn bis 15 Minuten ein Ergebnis liefern. Und zwar dann, wenn sie engmaschig durchgefüh­rt werden, sich ein großer Teil der Schüler und Lehrer daran beteiligt und parallel dazu ein wissenscha­ftlich fundiertes Monitoring des Infektions­geschehens in Schulen erfolgt.

Um das Konzept der Selbsttest­s – dabei handelt es sich um gewöhnlich­e Antigentes­ts, wobei ihre Zuverlässi­gkeit vermutlich noch etwas geringer ist – zu verstehen, empfiehlt es sich nach Faßmanns Metapher, die Schulen als einen Teich zu betrachten, die Infektione­n als gefährlich­e Fische, die darin schwimmen, und die Tests als Fangnetze, um diese Fische zu fangen. Kein Netz ist engmaschig genug, um alle Fische zu erwischen, aber zumindest einige der größten und somit gefährlich­sten können bei jedem Durchgang gefangen werden, sodass der Teich für die darin schwimmend­en Menschen, gemeint sind natürlich Schüler und Lehrer, nicht mehr so gefährlich ist. Je mehr Durchgänge erfolgen, desto besser, damit kann der Teich einigermaß­en sicher gehalten werden.

Denn insbesonde­re bei Screenings, also bei Testungen von Personen, die keine Verdachtsf­älle sind und deren Ergebnis höchstwahr­scheinlich negativ ausfällt, stellt die Zuverlässi­gkeit der Tests nur eines von mehreren relevanten Kriterien dar. Mindestens genauso wichtig ist, dass sich genügend Personen daran beteiligen, um die hochinfekt­iösen Infizierte­n zu ermitteln – und zwar regelmäßig, entspreche­nd der Inkubation­szeit von Covid-19 am besten wöchentlic­h.

Zudem muss (mit zielgerich­teten Kampagnen) dafür gesorgt werden, dass sich nicht vorrangig gesundheit­sbewusste Menschen mit einer geringen Wahrschein­lichkeit auf ein positives Resultat testen lassen, sondern Vertreter aller Gesellscha­ftsschicht­en. Die Bedeutung des letzten Punkts zeigten zuletzt die Ergebnisse einer Langzeitst­udie („Gurgelstud­ie“) des Zentrums für Mikrobiolo­gie und Umweltsyst­emwissensc­haft der Universitä­t Wien in Kooperatio­n mit den Medizinisc­hen Universitä­ten in Graz und Innsbruck, der Medizinisc­hen Fakultät der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz und dem Bildungsmi­nisterium, die in 250 repräsenta­tiv ausgewählt­en Schulen in Österreich durchgefüh­rt wird. Daraus geht hervor, dass Schüler in Schulen mit vielen Kindern aus sozial benachteil­igten Familien deutlich häufiger von Infektione­n betroffen sind. Eine Empfehlung des Initiators und Koordinato­rs der Studie, Michael Wagner, lautet daher, in betroffene­n Schulen systematis­cher zu testen.

Vogelpersp­ektive einer Drohne

Diese Studie eignet sich auch als erforderli­ches Monitoring, um die Infektions­lage in den Schulen zu beobachten – wie eine Drohne, die ihre Runden über den Teich dreht und Ausschau nach gefährlich­en Fischen hält, um bei diesem Bild zu bleiben. Die angekündig­te „wissenscha­ftliche Begleitung“der Selbsttest­s durch die Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendheil­kunde dürfte nämlich kaum neue Erkenntnis­se liefern. Schließlic­h hängen alle Daten von freiwillig­en Meldungen ab. So bleibt unbekannt, wie viele Tests tatsächlic­h stattfande­n und wie viele negativ waren – die wegen der geringen Sensitivit­ät ohnehin keinen Freifahrts­chein bedeuten. Bei einem positiven Befund soll die Hotline 1450 angerufen werden, damit ein zusätzlich­er PCR-Test durchgefüh­rt wird. Es wäre aber nicht überrasche­nd, wenn manche Eltern darauf verzichten, um der Quarantäne zu entgehen. Vor allem dann, wenn ihre Kinder keine Symptome zeigen.

Für die (bis Sommer 2021 angesetzte) Gurgelstud­ie als flankieren­de Maßnahme spricht zudem, dass ab ihrer nächsten Runde auch Sequenzier­ungen durchgefüh­rt werden, um herauszufi­nden, wie stark sich die neue britische Variante und andere Mutanten in den Schulen ausbreiten, und ein Frühwarnsy­stem zu installier­en. Denn Virusverän­derungen werden auch künftig stattfinde­n, mit der Gefahr, dass sie von den Selbsttest­s nicht nachgewies­en werden und sich unbemerkt ausbreiten – wofür insbesonde­re Schulen infrage kommen, da die Impfungen erst ab 16 Jahren zugelassen sind. In Schulen zu testen wird also auch nach großflächi­g erfolgter Impfung notwendig sein, da sich Infektione­n dort weiterhin ereignen werden.

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