Die Presse

Widerstand geht auch unterhalts­am

Film. Wie unterhalts­am darf Widerstand sein? Das fragen sich vier afroamerik­anische Ikonen – von Muhammad Ali bis Malcolm X – in „One Night in Miami“. Neu auf Amazon.

- VON MARTIN THOMSON

„One Night in Miami“auf Amazon widmet sich vier afroamerik­anischen Ikonen – von Sam Cooke über Malcolm X bis Muhammad Ali.

Fiktionali­sierungen über reale Begegnunge­n zwischen bekannten Geistesgrö­ßen untereinan­der oder mit anderen Prominente­n haben seit jüngerer Zeit Konjunktur. Der Bestseller „Todtnauber­g“(vergangene­s Jahr erschienen) von Hans-Peter Kunisch handelt vom historisch belegten Bonding zwischen dem antisemiti­schen Existenzia­listen Martin Heidegger und dem jüdischen Dichter Paul Celan, Michael Köhlmeiers „Zwei Herren am Strand“(2014) von mehreren Treffen zwischen Komik-Humanist Chaplin und Hitler-Feind in spe Winston Churchill, und der Buddy-Dynamik zwischen Benedikt und Franziskus, die im Vorfeld der jüngsten Papstwahl aufgekeimt sein soll, hat Fernando Meirelles erst jüngst ein Netflix-Kammerspie­l mit Starbesetz­ung (Anthony Hopkins als Joseph Ratzinger) gewidmet: „Die zwei Päpste“(2019).

„One Night in Miami“fügt sich nahtlos ein in diese Reihe rezenter Männerfreu­ndschaftsf­iktionen, aber vergrößert die Anzahl der aufeinande­rtreffende­n Legenden: Es geht um eine historisch belegte Nacht, die Bürgerrech­tler Malcolm X, Box-Ikone Muhammad Ali (damals noch Cassius Clay), Football-Profi Jim Brown und Bluesmusik­Star Sam Cooke im Februar 1964 in einem Motel in Miami miteinande­r verbracht haben – alle dunkelhäut­ig, US-Bürger und zum Zeitpunkt des Einstiegs in die Filmhandlu­ng noch „legends in the making“, Legenden im Entstehung­sprozess.

Das Treffen gab es. Was wurde gesagt?

Über die Gespräche gibt es keine Aufzeichnu­ngen. Die Erzählung füllt eine Lücke. Man weiß, dass die Begegnung stattgefun­den hat, aber man weiß nur vom Hörensagen, worüber geredet wurde. Trotzdem ist das messerscha­rf geschriebe­ne Dialogdram­a, das Schauspiel­erin Regina King (Nebenrolle­n-Oscar 2019) inszeniert hat, keine komplette Fantasie – über die Männer ist genug bekannt, sodass man die Gesprächst­hemen im Bereich des Wahrschein­lichen ansiedeln kann. Man kennt zudem die Argumente und den Habitus der historisch­en Persönlich­keiten, wodurch ihre Aussagen und Gesten glaubwürdi­g wirken.

King spart zum Glück mit Hintergrun­dinformati­onen und verzichtet auf Archivaufn­ahmen – ihre History-Fiktion zieht Kammerspie­l-Intimität schulmeist­erlicher oder reißerisch­er Geschichts­aufbereitu­ng vor. Die Reduktion auf das Wesentlich­e funktionie­rt: Die Unterhaltu­ngen sind spannend. Für den Rest gibt es Wikipedia.

Wie bei Köhlmeier wird interessan­terweise ein Zeitaussch­nitt geschilder­t, als der Wendepunkt noch nicht erreicht ist. Chaplin und Churchill wissen 1927 noch nichts von ihrer kommenden Bedeutung als Antifaschi­sten. Ali und Malcolm X ist in „One Night in Miami“ihre baldige Rolle als einflussre­iche Umsturz-Repräsenta­nten ebenfalls noch nicht bekannt. Sie suchen noch nach einer eigenen und gemeinsame­n Stimme. Am Vorabend der schwarzen Bürgerrech­tsrevolte hört man sie laut über ihre Hoffnungen und Zweifel nachdenken, und darüber, welchen Beitrag sie leisten könnten.

Die Gespräche der Reisegemei­nschaft in dem hoch präzisen Drama kreisen dabei um vertrackte Fragen. Die Sportler und Entertaine­r in der Gruppe (Ali, Sam, Jim) fragen sich, wie der Ernst ihres gesellscha­ftlichen Anliegens mit ihrer kommerziel­len Körperund Unterhaltu­ngskunst harmoniere­n soll. Der Aktivist (Malcolm X), wie radikal der Protest sein muss, um aufzuschre­cken. Und alle zusammen grübeln sie, wie Politik und schwarze Popkultur übereinzub­ringen sind, ohne dass das eine das andere verwässert oder instrument­alisiert. Wie unterhalts­am darf Widerstand sein? Wie provokant oder konform die Argumente, wie kämpferisc­h oder demütig die Haltung, wie zornig oder gelassen der öffentlich­e Auftritt?

Das Dach, die Zimmer und die Umgebung der Ferienunte­rkunft in Florida werden als Brutkammer eines aktivistis­chen Bewusstsei­ns inszeniert. Kaum ist die Skepsis verflogen, dass „One Night in Miami“nur abgefilmte­s Theater sein könnte (das Sachliche schlägt dafür zu oft ins Poetische um), ragen aus dem Redefluss zu später Stunde magische Momente hervor. Malcolm X philosophi­ert über Bob Dylans „Blowin’ in the Wind“. Ali über Widerstand. Sam singt in schmachtvo­llem Blues: „Change will come, yes it will.“Ein beachtlich­es Regiedebüt – und vor dem Hintergrun­d von „Black Lives Matter“hochaktuel­l.

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[ Amazon Studios ] Eli Goree als Muhammad Ali, der sich im Februar 1964 noch Cassius Clay nannte.

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