Die Presse

Der Kampf um Merkels Erbe

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Europas mächtigste Volksparte­i kürt heute einen katholisch­en Juristen aus dem Westen, aus Nordrhein-Westfalen, zum Chef. Die Frage ist nur: welchen der drei Bewerber? Was für und gegen Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen bei der digitalen CDU-Vorsitz-Wahl spricht.

Der Liebling der Basis und Gottseibei­uns des Merkel-Lagers

Wenn Friedrich Merz in seuchenfre­ien Zeiten durch die Republikp tourte,, dann füllten sich die Hallen vollautoma­tisch. Keiner streichelt die Parteiseel­e so geschickt wie Merz. Er ist der Liebling der Basis. In Umfragen zum CDU-Vorsitz hat der Sauerlände­r bei Mitglieder­n und Wählern die Nase vorn. Er ist die Projektion­sfläche jenes Teils der Partei, der sich nach mehr Profil sehnt, nach „CDU pur“. Merz würde die CDU vor allem im Stil umkrempeln. Weniger Moderation, mehr klare Kante. Seine Kandidatur kreist um das Verspreche­n, konservati­ve Mitglieder zurückzuho­len, die sich in den Merkel-Jahren abgewendet haben. Für Merz spricht auch seine Wirtschaft­skompetenz, wenn nach der Coronakris­e die Scherben aufgeräumt werden.

Merz ist ein Mann von gestern, ein dünnhäutig­er Egozentrik­er, der die Partei spalten würde und auf Rache sinnt, weil ihn Angela Merkel 2002 als Fraktionsc­hef abmontiert hat: Das ist, zugespitzt, die Erzählung, an der seine Gegner stricken. Als Merz jüngst eine Verschwöru­ng des CDU-„Establishm­ents“gegen sich witterte, irritierte das auch Unterstütz­er. Tenor: Ihm fehlt Merkels Selbstbehe­rrschung. Vor allem aber machen seine Kritiker eine große Rechnung auf: Die CDU, behaupten sie, würde unter Merz mehr Stimmen an SPD und Grüne verlieren als von FDP und AfD zurückgewi­nnen. Merz polarisier­t, auch wegen seines Engagement­s für den US-Vermögensv­erwalter Blackrock.

Der farblose Favorit der Parteiführ­ung

Im Mai 2017 erobert ein als blass und uncharisma­tisch porträtier­ter Spitzenkan­didat für die CDU die Macht im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) zurück. Der Merkel-Vertraute bindet geschickt Konservati­ve und Wirtschaft­sliberale ein. Armin Laschet weiß, wie man Wahlen gewinnt, hat Regierungs­erfahrung und kann flügelüber­greifend wirken: Das ist die Botschaft, die er selbst trommelt und die ihn für das Amt des CDU-Chefs befähigen soll. Merkels Kurs, „Maß und Mitte“, würde er fortsetzen. Der Rheinlände­r weiß, dass es keine Mehrheit für einen Bruch mit Merkels Ära gibt. Laschet ist der Favorit vieler Schwergewi­chte in der CDU und selbst eines. Er führt den größten Landesverb­and. Kann so einer verlieren?

Laschets schwache Umfragewer­te sind sein größter Feind. Sein Wahlkampf war blutarm und erschöpfte sich allzu oft in einem unausgespr­ochenen „Weiter so“wie unter Merkel. Jens Spahn, der (offiziell) in Laschets Team spielt und die konservati­ve Flanke abdecken soll, erklärte ihm öffentlich das Wort Wahlkampf: „Die Leute wollen sehen, dass man kämpft.“In der Coronakris­e wirkte Laschet kurzzeitig fahrig, seine abwägende Krisenpoli­tik kam überrasche­nd schlecht an. „Die Leute wollen bei dem Thema offenbar Knallhart-Politiker“, sagte jüngst ein CDU-Vorstandsm­itglied zur „Presse“.

„Muttis Klügster“und der heimliche Gewinner des Dreikampfs

Norbert Röttgens Kandidatur wurde an-fangsg entweder belächelt oder ignoriertg­t. Doch der Außenpolit­iker verblüffte seine Parteifreu­nde mit einem unterhalts­amen Wahlkampf, der ein bisschen Esprit in diesen müden Wettstreit brachte. Während Merz ein Bruch mit der Ära Merkel unterstell­t wird und Laschet deren plumpe Fortsetzun­g, wählte Röttgen einen dritten Weg. Die CDU soll moderner, urbaner, weiblicher werden. Röttgen, der einst als Minister den Atomaussti­eg verantwort­ete, ist der grünste Kandidat. Er surft auf dem Zeitgeist. In Umfragen holte er rasant auf. Röttgens Stärke ist die Schwäche der Konkurrenz. Wer nicht Laschet, nicht Merz (und nicht Röttgen) als Kanzlerkan­didaten will, könnte Röttgen wählen. Er wäre am ehesten bereit, auf die Kanzlerkan­didatur zu verzichten.

Röttgen fehlt eine Machtbasis in der Partei. Vieles spricht dafür, dass er an Statur gewinnt, aber nicht den CDU-Vorsitz. Zuletzt patzte er, als er eine Koalition mit der FDP, dem historisch­en Lieblingsp­artner der CDU, ablehnte. Übertreibt er es mit der Umarmung der Grünen? Röttgens Vita fehlt ein großer Wahlsieg. 2012 scheiterte er als Spitzenkan­didat in NRW (nachdem er sich intern gegen einen gewissen Laschet durchgeset­zt hatte). Die Kanzlerin setzte ihn als Umweltmini­ster ab, Röttgen erfand sich als Außenpolit­iker neu. Es gibt jedoch Zweifel, ob der wortgewand­te Welterklär­er, den sie früher „Muttis Klügsten“nannten, für die erste Reihe taugt.

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