Landeshauptmann für Deutschland oder eine politische Zäsur
Dass der heute siegreiche CDU-Chef nicht automatisch Kanzlerkandidat wird, deutet ein Machtvakuum an. An dem ist Angela Merkel nicht ganz unschuldig.
Endlich
fällt die Entscheidung, wer Angela Merkel als mächtigster Politiker Deutschlands und damit wohl Europas nachfolgt. Vielleicht. Eigentlich war ihre Nachfolge schon geregelt, von der Krisenkanzlerin höchstselbst. Annegret KrampKarrenbauer war von ihr auserkoren worden und scheiterte. An der Partei, den dazugehörigen Parteifreunden, an sich selbst. Der Boxkämpfer wirft das Handtuch trotz der gebräuchlichen Redewendung nie selbst, sondern meist der Trainer.
Nun treten drei Herren an, bei denen nicht zu 100 Prozent sicher zu sein scheint, dass sie Kanzlerin können. Stimmt, bei vielen Vorgängern war das so, wie der SPD-Veteran Sigmar Gabriel im „Presse“-Interview in Erinnerung ruft: Willy Brandt, Helmut Kohl oder Angela Merkel, sie alle wurden von den politischen Gegnern sträflich unterschätzt. Dieser Logik folgend wäre aus der Fernsicht wohl Ar min Laschet, der Mittels tands ministerpräsident Nordrhein- We stfalens,d er klare Favorit des Parteitags.
Wenn sein Kollege, der Talkshow-Bayer Markus Söder, davor warnt, mit der Politik und Linie Angela Merkels zu brechen, schlägt er in dieselbe Kerbe: Laschet, ein Landeshauptmann wie aus dem Wimmelbuch, verkörpert die Kontinuität viel stärker als seine Mitbewerber Friedrich Merz und Norbert Röttgen. Letzterer hat zwar nur Außenseiter chancen, lieferte aber einen guten Wahlkampf und hat sich damit wohl als Ministerkandidat der nächsten Regierung unverzichtbar in der Führungstruppe gemacht.
Für Friedrich Merz, den liberal-konservativen Kopf, der den DAX und die FDP wesentlich mehr schätzt denn reale oder potenzielle Koalitionspartner wie SPD oder Grüne, kann die politische Karriere endgültig zu Ende gehen. Merkel verscheuchte den rhetorisch brillanten Fraktionschef einst, er kehrte nach einem ertragreichen Exil als Widersacher zurück, unterlag Merkels Wunsch nachfolgerin Kramp-Karrenbauer und könnte nun eine ähnliche Niederlage gegen Laschet erleiden. Dieser hat mit Jens Spahn einen Vize und Stimmenfänger zur Seite, der eigentlich selbst angetreten war und in der Covid-19-Krise nun vielleicht wieder viel bessere Chancen gehabt hätte. Ginge es um die Erneuerung der CDU und Deutschlands, wäre Spahn wohl die beste Wahl.
Aber das kann noch werden; denn CDU-Chef heißt nicht automatisch Kanzlerkandidat. In der SPD gibt es mittlerweile fast eine traditionelle Trennung dieser Aufgaben, die CDU könnte folgen. Das spräche nicht nur für Spahn, sondern auch für Söder. Er führt alle Umfragen als Kanzlerkandidat an und übt seit Monaten virtuos die Kunst des halben Dementierens und Kokettierens. Gegen ihn spricht die fehlende Hausmacht der Bayern im kühlen Norden sowie im raueren Berlin, vor allem aber die Geschichte: Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber überschätzten sich und scheiterten als Kanzler kandidaten. Das könnte Söder auch passieren.
Politisch
wird Merkels Strategie wohl fortgesetzt oder besser in die neue Ära nach der Pandemie übersetzt werden: Mit der Positionierung in der Mitte wurden der SPD die Wähler genommen. Den äußerst rechten Rand überließ sie der AfD, die sich dort festkrallt – dank ihres extremen Personals auch langfristig. Mit ihrer Organisation und Ideologie kann sie keine Dimensionen wie die FPÖ Jörg Haiders in Österreich erreichen. Nun steht der CDU mit den Grünen aber ein neuer Konkurrent und möglicher Koalitionspartner als neue kleine Volkspartei gegenüber. Und man schaut derzeit sehr genau auf das türkisgrüne Experiment in Österreich.
In der Industriepolitik trennen CDU und Grüne in Deutschland viel, bei in Österreich heiß diskutierten Themen wie den Flüchtlings kindern in den griechischen Lagern wenig. Eine solche Regierung wäre mit Ausnahme von M erz mit allen Genannten wohl möglich. Welchen CDU-Chef und vielleicht Kanzler die Deutschen und als Sprachrohr Europas somit auch wir bekommen, wird vielleicht nüchtern, pragmatisch und zurückhaltend entschieden, wie Laschet – oder forsch, fordernd und selbstbewusst wie die Jüngeren. Angela Merkel konnte ihre Nachfolge nicht selbst regeln. Vielleicht wollte sie das auch einfach nicht.