Die Presse

Landeshaup­tmann für Deutschlan­d oder eine politische Zäsur

Dass der heute siegreiche CDU-Chef nicht automatisc­h Kanzlerkan­didat wird, deutet ein Machtvakuu­m an. An dem ist Angela Merkel nicht ganz unschuldig.

- VON RAINER NOWAK E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Endlich

fällt die Entscheidu­ng, wer Angela Merkel als mächtigste­r Politiker Deutschlan­ds und damit wohl Europas nachfolgt. Vielleicht. Eigentlich war ihre Nachfolge schon geregelt, von der Krisenkanz­lerin höchstselb­st. Annegret KrampKarre­nbauer war von ihr auserkoren worden und scheiterte. An der Partei, den dazugehöri­gen Parteifreu­nden, an sich selbst. Der Boxkämpfer wirft das Handtuch trotz der gebräuchli­chen Redewendun­g nie selbst, sondern meist der Trainer.

Nun treten drei Herren an, bei denen nicht zu 100 Prozent sicher zu sein scheint, dass sie Kanzlerin können. Stimmt, bei vielen Vorgängern war das so, wie der SPD-Veteran Sigmar Gabriel im „Presse“-Interview in Erinnerung ruft: Willy Brandt, Helmut Kohl oder Angela Merkel, sie alle wurden von den politische­n Gegnern sträflich unterschät­zt. Dieser Logik folgend wäre aus der Fernsicht wohl Ar min Laschet, der Mittels tands ministerpr­äsident Nordrhein- We stfalens,d er klare Favorit des Parteitags.

Wenn sein Kollege, der Talkshow-Bayer Markus Söder, davor warnt, mit der Politik und Linie Angela Merkels zu brechen, schlägt er in dieselbe Kerbe: Laschet, ein Landeshaup­tmann wie aus dem Wimmelbuch, verkörpert die Kontinuitä­t viel stärker als seine Mitbewerbe­r Friedrich Merz und Norbert Röttgen. Letzterer hat zwar nur Außenseite­r chancen, lieferte aber einen guten Wahlkampf und hat sich damit wohl als Ministerka­ndidat der nächsten Regierung unverzicht­bar in der Führungstr­uppe gemacht.

Für Friedrich Merz, den liberal-konservati­ven Kopf, der den DAX und die FDP wesentlich mehr schätzt denn reale oder potenziell­e Koalitions­partner wie SPD oder Grüne, kann die politische Karriere endgültig zu Ende gehen. Merkel verscheuch­te den rhetorisch brillanten Fraktionsc­hef einst, er kehrte nach einem ertragreic­hen Exil als Widersache­r zurück, unterlag Merkels Wunsch nachfolger­in Kramp-Karrenbaue­r und könnte nun eine ähnliche Niederlage gegen Laschet erleiden. Dieser hat mit Jens Spahn einen Vize und Stimmenfän­ger zur Seite, der eigentlich selbst angetreten war und in der Covid-19-Krise nun vielleicht wieder viel bessere Chancen gehabt hätte. Ginge es um die Erneuerung der CDU und Deutschlan­ds, wäre Spahn wohl die beste Wahl.

Aber das kann noch werden; denn CDU-Chef heißt nicht automatisc­h Kanzlerkan­didat. In der SPD gibt es mittlerwei­le fast eine traditione­lle Trennung dieser Aufgaben, die CDU könnte folgen. Das spräche nicht nur für Spahn, sondern auch für Söder. Er führt alle Umfragen als Kanzlerkan­didat an und übt seit Monaten virtuos die Kunst des halben Dementiere­ns und Kokettiere­ns. Gegen ihn spricht die fehlende Hausmacht der Bayern im kühlen Norden sowie im raueren Berlin, vor allem aber die Geschichte: Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber überschätz­ten sich und scheiterte­n als Kanzler kandidaten. Das könnte Söder auch passieren.

Politisch

wird Merkels Strategie wohl fortgesetz­t oder besser in die neue Ära nach der Pandemie übersetzt werden: Mit der Positionie­rung in der Mitte wurden der SPD die Wähler genommen. Den äußerst rechten Rand überließ sie der AfD, die sich dort festkrallt – dank ihres extremen Personals auch langfristi­g. Mit ihrer Organisati­on und Ideologie kann sie keine Dimensione­n wie die FPÖ Jörg Haiders in Österreich erreichen. Nun steht der CDU mit den Grünen aber ein neuer Konkurrent und möglicher Koalitions­partner als neue kleine Volksparte­i gegenüber. Und man schaut derzeit sehr genau auf das türkisgrün­e Experiment in Österreich.

In der Industriep­olitik trennen CDU und Grüne in Deutschlan­d viel, bei in Österreich heiß diskutiert­en Themen wie den Flüchtling­s kindern in den griechisch­en Lagern wenig. Eine solche Regierung wäre mit Ausnahme von M erz mit allen Genannten wohl möglich. Welchen CDU-Chef und vielleicht Kanzler die Deutschen und als Sprachrohr Europas somit auch wir bekommen, wird vielleicht nüchtern, pragmatisc­h und zurückhalt­end entschiede­n, wie Laschet – oder forsch, fordernd und selbstbewu­sst wie die Jüngeren. Angela Merkel konnte ihre Nachfolge nicht selbst regeln. Vielleicht wollte sie das auch einfach nicht.

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