Die Presse

Wir brauchen ein Ausstiegss­zenario aus den Coronahilf­en

Eine Alternativ­e zu den Milliarden­hilfen für die Wirtschaft gibt es aktuell nicht. Aber langsam muss man überlegen, wie man das Programm beenden kann.

- E-Mails an: norbert.rief@diepresse.com

In Deutschlan­d beginnt der November erst jetzt im Jänner. So lange hat es in unserem Nachbarlan­d nämlich gedauert, bis die sogenannte­n Novemberhi­lfen an die Unternehme­n ausbezahlt werden, die vom Lockdown betroffen sind. In Österreich dagegen konnte die prosaische­r Umsatzersa­tz genannte Hilfe schon zwei Wochen nach Ankündigun­g beantragt werden. Im November.

Österreich­s Finanz- und Wirtschaft­sministeri­um haben aus den Fehlern gelernt, die beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 für viel Kritik gesorgt hatten. Damals mussten Unternehme­r lange auf staatliche Zuschüsse warten. Mittlerwei­le hat man Routine darin, das Geld der Steuerzahl­er fließen zu lassen. Mit Folgen: Heuer rechnet das Finanzmini­sterium wegen der Hilfszahlu­ngen und der geringeren Steuereinn­ahmen mit einem Defizit von 22,6 Milliarden Euro.

Es ist unser aller Geld, um das es hier geht. Und auch wenn man ständig betont, wie günstig sich Österreich derzeit verschulde­n könne – irgendwo und irgendwann fehlt dieses Geld. Vielleicht nicht jetzt, vielleicht auch nicht nächstes Jahr, aber die nächste Generation werden die angehäufte­n Schulden treffen, die dann übrigens nur eines von vielen Problemen sein werden: 2040 werden auf jeden Pensionist­en nur noch zwei Erwerbstät­ige kommen, 2060 werden nach manchen Berechnung­en fast 60 Prozent der Österreich­er älter als 65 Jahre sein. Das nur als ein Ceterum censeo zur längst fälligen Pensionsre­form.

Gibt es eine Alternativ­e zu den Hilfen für die heimischen Unternehme­n, die nun teilweise weitere sechs Wochen geschlosse­n halten müssen? Nein. Aber es muss langsam ein Ausstiegss­zenario geben.

Wir retten mit gutem Steuergeld Unternehme­n durch die Krise, die sonst schon längst nicht mehr lebensfähi­g wären. Die niedrige Insolvenzq­uote des vergangene­n Jahres ist eine deutliche Warnung vor einer Zombiewirt­schaft, die den Markt nachhaltig durcheinan­derbringen kann. Und teilweise beschließt man Hilfen, die am Ende negative Effekte haben werden. Beispielsw­eise in der schwer getroffene­n Gastronomi­e, für die der Steuersatz auf Getränke und Essen von 20 bzw. zehn auf fünf Prozent gesenkt wurde. Das bringt seit Wochen nichts, weil es keine Umsätze gibt. Aber wir wissen alle, was passiert, wenn diese überrasche­nd bis Ende 2021 verlängert­e Regelung ausläuft: Anfang 2022 wird es zu ordentlich­en Preiserhöh­ungen in der Gastronomi­e kommen mit der Begründung, dass „die Regierung die Steuer erhöht hat“.

Das wird – nebenbei bemerkt – nur ein Treiber der Inflation sein. Wenn die Krise vorbei ist, wird die Nachfrage der in vielen Lockdowns Konsum-ausgehunge­rten Menschen schnell wieder einsetzen – schneller als das Angebot. Etwa in der Flugindust­rie. Alle werden wieder reisen wollen, wenn man endlich wieder reisen darf – nur haben viele Fluglinien ihr Angebot und ihre Maschinen massiv reduziert. Das Angebot wird nicht mit der Nachfrage mithalten können, Flüge werden also teurer werden.

Die Notwendigk­eit eines Ausstiegss­zenarios gilt auch und besonders für die Kurzarbeit. Grundsätzl­ich ist sie ein gutes Instrument, je länger man es aber einsetzt, umso verheerend­er die Folgen. Einerseits werden damit Jobs gesichert, die sonst möglicherw­eise schon längst weggefalle­n wären. Anderersei­ts hält man Menschen vom Arbeitsmar­kt fern, die in anderen Unternehme­n dringend gesucht werden.

Der neue Arbeitsmin­ister, Martin Kocher, hat diese Problemati­k erkannt, als er noch unabhängig­er Wirtschaft­sexperte war. Als Chef des IHS warnte Kocher im Sommer 2020 vor den „negativen Beschäftig­ungseffekt­en“der Kurzarbeit, die „strukturko­nservieren­d“wirke. Und er wusste damals auch um die Gefahr von zu lange bezahlten staatliche­n Wirtschaft­shilfen.

Schön, dass wir mit Martin Kocher nun einen heimlichen Superminis­ter für Arbeit, Wirtschaft und Finanzen in der Regierung haben. Interessan­t wird, wie viel Unabhängig­keit Bundeskanz­ler Sebastian Kurz dem von ihm geholten Experten zugesteht – und auch, ob sich die Realität eines Experten ändert, wenn er plötzlich Teil einer Regierung ist.

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VON NORBERT RIEF

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