Eine Playlist für Amerika
Pop. Mit der Inauguration von Joe Biden beginnt eine neue Sequenz des amerikanischen Traums – zu dem sich die Popmusik vielfältig geäußert hat. Von Sauerstoff, Idioten und Autobahnen: eine Playlist.
Mit der Inauguration von Joe Biden beginnt eine neue Sequenz des amerikanischen Traums, zu dem sich die Popmusik vielfältig geäußert hat.
David Bowie & Pat Metheny: „This Is Not America“
Das Wunderbare am Wort „America“ist, dass es klingt wie ein Wunder, „a miracle“. Aus diesem Gleichklang hat David Bowie diesen Song gemacht, und aus der paradoxen Kraft der Verneinung. „Ceci n’est pas une pipe“, hatte Rene´ Magritte 1929 unter das Bild einer Pfeife geschrieben. „La trahison des images“(der Verrat der Bilder) nannte er das. Bowies kühl-elegantes Lied ist nicht Amerika, aber ein Lied über Amerika, obwohl es nicht um Amerika geht, sondern um ein Wunder, das geschieht. Nein: natürlich um ein Wunder, das nicht geschieht.
The Doors: „L’America“
In Wirklichkeit kommt der Name Amerika vom Entdecker Amerigo Vespucci. Und Amerigo ist die italienische Variante des althochdeutschen Namens Amalrich, was so viel wie „tapferer Herrscher“heißt. Aber so wie Vespucci kein Germane war, landete er nicht in Nord-, sondern in Südamerika. Das wollte Jim Morrison angeblich mit dem Songtitel „L’America“sagen. Es stehe für Latin America, heißt es, aber es klingt gar nicht nach Latin, sondern ist ein verzweifelter weißer Blues, der sich in eine Art Marsch verwandelt. Auf der kanarischen Insel Gomera heißt übrigens ein Berg La Merica.
U2:
„Bullet the Blue Sky“
Eine rasende Reise durch eine Wüste. Biblische Motive (Heuschrecken, Jakobs Ringen mit dem Engel) legen Israel nahe, doch am Ende wird klar: Es ist ein anderes gelobtes Land. Die vorletzte Strophe mündet in den Satz „Outside is America“, die letzte in ein mythisches Bild: Der Himmel ist weit offen, Regen fällt auf Frauen und Kinder, „who run in the arms of America“. Auch die Wendung „rattle and hum“kommt vor. So sollte auch das nächste Album von U2 heißen, auf dem sie sich der amerikanischen Musiktradition näherten. Dieser Song ist direkter, packender: die fiebrige Vision vier junger Iren, die sich nach dem weiten Land sehnen, in das viele ihrer Ahnen aus Not emigriert waren.
Simon & Garfunkel: „America“
Gleich noch ein Sehnsuchtslied: Ein junges, zärtlich verspieltes Liebespaar auf der Fahrt durch und auf der Suche nach Amerika. „On the road“, wie Jack Kerouac. Natürlich im Greyhound Bus und per Autostopp. Am Ende zählen die beiden die Autos auf dem New Jersey Turnpike und konstatieren: „They’ve all come to look for America.“Amerika als Inbegriff der Reise, am besten westwärts, in die untergehende Sonne.
Lana Del Rey: „Looking for America“
54 Jahre nach Simon & Garfunkel begibt sich Lana Del Rey auf die Suche nach Amerika, reist von New York nach San Francisco und wieder zurück. „I’m looking for my own version of America“, singt sie, „one without the gun, no bombs in the sky.“Aber wie es sich gehört für eine melancholische Romantikerin, ist ihr ideales Amerika nur ein Traum. Die Gegenkultur-Euphorie, die man bei Simon & Garfunkel hörte, ist verblasst.
Don McLean: „American Pie“
Der Sixties-Topos einer auf dem Geist des Rock ’n’ Roll basierenden „counterculture“wird hier überaus wort- und anspielungsreich beschrieben. Und zwar dezidiert im Rückblick. Im doppelten Rückblick: Der Refrain meint den Flugzeugabsturz, bei dem 1959 etliche Rock’n’Roll-Pioniere, darunter Buddy Holly, starben. Und in einer Strophe wird das Altamont-Festival 1969 beschworen, der tragische Gegenpol zu Woodstock, bei dem Hells Angels einen Afroamerikaner erschossen. Diese Strophe ließ Madonna in ihrer misslungenen Coverversion aus.
Falco: „America“
Sehnte sich auch Hans Hölzel nach Amerika? Vielleicht. Aber sich den Amerikanern deshalb anzubiedern – das kam für einen Falco nicht infrage. „Komm habts mi langsam gern, wenn ’s meine Records trotzdem kaufen tätets, tät es mich net stören“, richtete er ihnen aus. Und verkauft einem USTouristen ein Wachauerlaberl mit zehn Deka Polnischer als „wonderful Wiener Schnitzel“. So geht kultureller Austausch! Und der zieht sich bis in einzelne Wörter, wenn Falco etwa „cash“wie „keusch“klingen lässt. Oder umgekehrt? Zur Inauguration passender Satz: „Zeigts uns den nächsten Präsidenten, und mir san live dabei. Oder auch nicht.“
Frank Zappa:
„Hungry Freaks, Daddy“
Die Gegenkultur brauchte ein Feindbild. Da ist es: der spießige „Mister America“, der seinen „supermarket dream“im Kopf hat und – wie Bob Dylans Mr. Jones – einfach nicht kapiert, was passiert. Und da sind sie schon, die hungrigen Freaks, die „left-behinds of the Great Society“, und rufen ihm schmutzige Dinge nach, dem Mister America. Als dessen Neffen kann man wohl den Lackaffen in „Bobby Brown“sehen, der erklärt, er sei „the American dream“. Na, so macht man sich nicht beliebt bei Frank Zappa . . .
Rihanna: „American Oxygen“
Einer der subtilsten Songs über den amerikanischen Traum: Die Sängerin aus Barbados verherrlicht ihn nicht und verdammt ihn nicht. Sie sieht ihn einfach konsequent aus der Sicht der arbeitssuchenden Immigranten, der heutigen und wohl auch der einstigen: „We sweat for a nickel and a dime, turn it into an empire.“Am Ende steht die Proklamation: „This is the new America. We are the new America.“
Green Day: „American Idiot“
Noch ein Feindbild. Natürlich wurde dieser so plakative wie effektive Punk-Song in Donald Trumps Ära gern auf diesen bezogen, aber er ist 2004 entstanden, als George W. Bush gerade im Wahlkampf war. Sänger Billie Joe Armstrong behauptet, er habe den Song als Reaktion auf „That’s How I Like It“von der Südstaaten-Band Lynyrd Skynyrd geschrieben, in dem es etwa heißt: „American flag it makes me proud.“Die Antwort darauf: „Maybe I’m the faggot America, I’m not a part of a redneck agenda.“
Patti Smith: „Babelogue“
Subtiler mit Feindbildern spielt Patti Smith in diesem atemlosen Rap, der auf dem Album „Easter“ohne Pause im genauso furiosen Song „Rock ’n’ Roll Nigger“mündet. Wie dieser ist „Babelogue“eine poetische Anmaßung: Patti Smith fantasiert u. a. einen „crazy and sleepy Comanche“unter ihrer Kopfhaut. Dann proklamiert sie (und das wirkte auch schon vor 9/11 provokant): „In heart I am a Moslem. In heart I am an American artist, and I have no guilt.“Eine schöne Definition der Künstlerin.
Randy Newman:
„ . . . Albert Einstein in America“
„Sigmund Freud’s Impersonation of Albert Einstein in America“verstört nicht nur durch seinen Titel. Wie so oft bei Randy Newman beginnt es nett, ja idyllisch: Albert Einstein stellt sich vor und freut sich, „here in the land of the brave and the free“angekommen zu sein. Die zweite Strophe versetzt den Physiker zurück ins Jahr 1905 und in die Schweiz. Und dann kommt auch schon der Refrain, mit extra viel Schmalz arrangiert: „America, America, god shed his grace on thee, you have whipped the Filipino, now you rule the Western sea“(gemeint ist wohl der Philippinisch-Amerikanische Krieg 1899–1902). Dann stürzt Newman in wilde Obsessionen, nach denen auch die letzte Zeile, so rührend sie gesungen wird, nicht mehr unschuldig klingt: „May all your Christmasses be white.“
James Brown: „Living in America“
Auch wenn man das versprochene Land nicht sucht, könne man es finden, singt James Brown. Er schwärmt von „super highways“und „all night radio“, zählt die „old familiar names“auf: New Orleans, Detroit City, Dallas. Eine Heimatvermessung, eine völlig unzynische Hymne auf Amerika, auch musikalisch ohne Dissonanzen. Manche kritisierten, dass der Afroamerikaner Brown ein Land, das seine Vorfahren versklavt hatte, so unkritisch besinge. Doch ihm, der „Say it loud, I’m black and proud“proklamiert hatte, war gerade die Selbstverständlichkeit wichtig: Dieses Land ist auch mein Land.
Childish Gambino: „This Is America“
Ist es wirklich selbstverständlich, dass Amerika auch seinen dunkelhäutigen Bürgern gehört? Die Polizeimorde an Schwarzen ließen viele daran zweifeln – und führten zum Entstehen der Bewegung Black Lives Matter. Der schon im Mai 2018 erschienene Track des Rappers Childish Gambino (auch bekannt als Schauspieler Donald Glover) wurde nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd ein zweites Mal zum Renner. Er steckt voller Brüche und Anspielungen, malt ein chaotisches, bald lockendes, bald abstoßendes Amerika, mit Schlagsätzen wie: „You just a black man in this world, you just a barcode.“Das soll nicht so bleiben.