Corona-Rekord beim Impf-Champion
Israel. In keinem anderen Land sind bisher so viele Bürger geimpft worden. Zugleich registrierten die Behörden so viele Infektionen wie nie. Nun hat die Regierung den Lockdown weiter verlängert.
Jerusalem. In den weltweiten Covid-19-Statistiken besetzt Israel gleich zwei erste Plätze – mit scheinbar gegensätzlicher Botschaft. Zum einen hat das Land den größten Anteil seiner Bevölkerung geimpft: Bis Mittwoch hatte nach Angaben des Onlineportals „Our World in Data“der Universität Oxford jeder vierte Israeli mindestens eine der beiden erforderlichen Dosen des Pfizer-Impfstoffs erhalten (in Österreich betrug die Rate anderthalb Prozent). Zugleich liegt Israel jedoch auch in einer weniger schmeichelhaften Kategorie unter den Spitzenreitern: bei der Infektionsrate der Bevölkerung. Erstmals zählte das Land Anfang der Woche über 10.000 neue Coronafälle pro Tag.
Die Rate kommt zwar auch dadurch zustande, dass Israel weltweit die viertmeisten Tests pro Einwohner durchführt. Doch auch die absoluten Zahlen beunruhigen: Über tausend kritische Krankheitsfälle gibt es derzeit, Spitäler klagen über Überlastung. Ein Vorfall vergangene Woche wurde zum Symbol für die Überforderung des Pflegepersonals: Ein 47-jähriger Coronapatient starb im Tel Aviver Ichilov-Krankenhaus, weil sein Beatmungsrohr verrutscht war – und die Pfleger den Fehler offenbar nicht rechtzeitig bemerkten.
Sperren bis Ende Jänner
Die Regierung hat deshalb am Dienstag eine Verlängerung des bereits mehrwöchigen Lockdowns beschlossen. Bis Ende Jänner sollen die derzeitigen Ausgangs- und Kontaktsperren gelten. Sämtliche
Schulen blieben geschlossen ebenso wie die meisten Geschäfte. Ohne triftigen Grund dürfen die Menschen sich maximal einen Kilometer vom Wohnsitz entfernen. Zudem muss nun jeder, der ein Flugzeug Richtung Israel besteigen will, einen negativen Coronatest vorzeigen. „Es wäre einfacher, den großen Sprung der Erkrankungsrate zu ignorieren und einfach alles zu öffnen“, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, „doch das würde viele Leben kosten.“
Experten begründen die hohe Infektionsrate sowohl mit den neuen Mutationen, die das Virus ansteckender machen, als auch mit der schwachen Durchsetzung des Lockdowns. In manchen Fällen geschehen die Verstöße mit dem Segen lokaler Autoritäten: Der Bürgermeister von Ramat Gan etwa, einer Stadt bei Tel Aviv, hat öffentlich erklärt, Restaurants, die Take-away-Service anbieten, Geschäfte, die nicht als „essenziell“gelten und dennoch öffnen, nicht zu bestrafen – obwohl beides den Vorgaben widerspricht.
Ultraorthodoxe Regelbrecher
Die eklatantesten Verstöße jedoch kommen in ultraorthodoxen Städten vor: Dort halten Dutzende Schulen ihren Betrieb aufrecht, dokumentiert in Fotos und Videos, offenbar ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Anfang dieser Woche fand in Bnei Berak, einer ultraorthodoxen Stadt bei Tel Aviv, eine Hochzeit mit Hunderten Teilnehmern statt. Zwar gibt es zugleich viele Strenggläubige, die sich an die Regeln halten. Dennoch spiegeln sich die wiederholten Verstöße in der Gemeinde in den Infektionszahlen wider: Diejenigen Städte mit dem höchsten Anteil der positiven Tests in Israel sind überwiegend von Ultraorthodoxen bewohnt.
Am 23. März finden in Israel Neuwahlen statt. Unabhängig von ihrem Ausgang steht fest, dass Netanjahu zu einer möglichen Koalitionsbildung auf zwei ultraorthodoxe Parteien angewiesen ist. Kritiker vermuten darin den Grund dafür, dass der Staat die frommen Regelbrecher vergleichsweise schonend behandelt. Die Nichtregierungsorganisation Hofsheet („Frei“) meldete diese Woche, dass Polizisten in arabischen und säkularen Städten mehr Strafzettel für Lockdown-Verstöße verteilen als in ultraorthodoxen.
Die jüngsten Vorfälle scheinen Netanjahu jedoch zum Umdenken zu bewegen. Erstmals adressierte er am Dienstag die ultraorthodoxen Regelbrecher direkt: „Ich rufe alle Bürger dazu auf, damit aufzuhören, das Gesetz zu brechen, selbst jene, die an der skandalösen Hochzeit in Bnei Berak teilgenommen haben“, sagte er. „Das ist Blutvergießen. Ich rufe die Polizei dazu auf, sämtliche Gesetzesbrecher mit eiserner Faust zu behandeln – egal, wer sie sind.“