Wie Conte mit einer „Minestrone-Koalition“überleben will
Analyse. Italiens Premier sucht Rückhalt bei einer wackligen, bunten Mehrheit: Stabiles Krisenmanagement wird dadurch aber kaum mehr möglich.
Wien/Rom. Giuseppe Conte kann aufatmen – aber die Verschnaufpause ist kurz. Das Vertrauen, das Italiens Senatoren nach einer Marathonsitzung bis tief in die Dienstagnacht hinein seiner Regierung aussprachen, ist äußerst zögerlich: Mit 156 Stimmen steht Contes Koalition inmitten einer Jahrhundertpandemie auf wackeligen Beinen und droht bei jedem Parlamentsvotum umgestoßen zu werden. Für eine stabile, absolute Mehrheit bräuchte er 161 Stimmen.
Aber Conte ist stur. Gekonnt hat er 2019 den Spagat vom Premier einer Anti-EU-Koalition (Lega und Fünf Sterne) zum Chef einer proeuropäischen Regierung (Fünf Sterne und Linksdemokraten) geschafft. Und auch nach dem Ausstieg der Partei von Matteo Renzi aus seinem Regierungsbündnis denkt der Überlebenskünstler nicht ans Aufgeben: „Nun müssen wir die Mehrheit solider machen“, eröffnete der Jurist am Mittwoch optimistisch den Stimmen-Bazar: Sein Ziel ist ein kunterbuntes Bündnis aus proeuropäischen Kräften. Er buhlt um Sozialisten, Liberale, Christdemokraten – und Überläufer, auch aus der Renzi-Partei. Geflirtet wird sogar mit Silvio Berlusconis Forza Italia. Mit Renzi persönlich dürfte Conte vorerst gebrochen haben.
EU besorgt über „Instabilität“
Zwei Wochen gibt sich der Premier Zeit, um seine neue, „solide“Mehrheit zu schmieden. Möglich ist eine Regierungsumbildung: Mit Spitzenjobs dürfte sich der eine oder andere neue Partner ins Bündnis locken lassen. Und die zwei vakanten Posten der RenziMinisterinnen müssen ohnehin neu besetzt werden.
Am Mittwoch wollte sich Conte mit Staatschef Sergio Mattarella beraten, begeistert ist man am Quirinal nicht von diesen labilen Verhältnissen zu Zeiten von Corona und Rezession. Doch eine Wahl mit lähmendem Wahlkampf gilt als noch unbeliebtere Option, auch wenn die rechtsnationale Opposition vehement darauf pocht: Lega-Chef Matteo Salvini schimpfte über die instabile „Regierung Minestrone“und verlangte die sofortige Parlamentsauflösung. Bei Wahlen hätte der Mitterechts-Block gute Siegeschancen.
Besorgt blickt die EU indes in Richtung Euro-Sorgenkind Italien. Instabile Koalitionen und wechselnde Allianzen in Rom sind zwar kein Novum. Doch diesmal ist die Situation anders: Das Land steht unter genauer Beobachtung, ist doch das hart von der Pandemie getroffene Italien größter Nutznießer des EU-Wiederaufbaufonds. „Ich hoffe, dass die politische Instabilität nicht die Arbeit am Recovery-Plan gefährdet“, mahnte EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Valdis Dombrovskis.
Rom muss demnächst Brüssel seinen Plan vorlegen, wie es die 209 Milliarden Euro EU-Coronahilfen ausgeben will. Ein Streit über die Verwendung dieser Gelder hatte die Regierung platzen lassen. Renzi hatte bis zuletzt Nachbesserungen gefordert, zudem pocht er darauf, günstige Kredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu beantragen, was die Fünf Sterne ablehnen. Die Regierung hat den RecoveryEntwurf zwar vergangene Woche abgesegnet, aber das grüne Licht des Parlaments steht noch aus. Conte muss nun den Plan zügig durch das Parlament bringen, um EU-Partner zu beruhigen.
Überleben bis zum Sommer
Insgesamt wird wohl Conte versuchen, von Tag zu Tag – von Abstimmung zu Abstimmung – zu (über-) leben. Seine Ziel dürfte sein, bis Ende Juli durchzukommen. Das ist im Interesse der beiden großen Regierungsparteien: Dann beginnt in Italien das „Weiße Semester“, die letzten sechs Monate der Amtszeit Sergio Mattarellas. Während dieser Zeit darf der Präsident das Parlament nicht auflösen. Im Jänner 2022 wählen dann die zwei Kammern den neuen Staatschef. Und das letzte Wort haben freilich die Parteien, die die Parlamentsmehrheit stellen.