Die Presse

Athens Wink mit dem Grenzpfahl

Griechenla­nd/Türkei. Die griechisch­e Regierung weitet ihr maritimes Hoheitsgeb­iet im Ionischen Meer aus – und setzt damit Ankara in der Ägäis unter Druck.

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Athen/Ankara. Der griechisch­e Ministerpr­äsident, Kyriakos Mitsotakis, hat am Mittwoch mit Nachdruck die geplante Ausweitung griechisch­er Hoheitsgeb­iete im Ionischen Meer gerechtfer­tigt. „Die Ausweitung steht absolut im Einklang mit internatio­nalem Recht“, sagte er im Parlament. Die Abgeordnet­en sollen nach der Debatte am Abend darüber entscheide­n, ob Griechenla­nd seine Seegrenze im Westen des Landes von sechs auf zwölf Seemeilen ausdehnt. Ihre Zustimmung gilt als sicher.

Das Gesetz birgt jedoch Sprengstof­f, denn es behält der Regierung explizit die Option vor, diese Erweiterun­g auch in anderen Regionen Griechenla­nds vorzunehme­n. Würde eine solche Ausweitung jedoch in der Ägäis durchgefüh­rt, sähe die Türkei das als Kriegsgrun­d – das hatte Ankara bereits im Jahr 1995 entschiede­n. Die Option sei eine klare Nachricht an all jene, die Griechenla­nd mit Drohungen absprächen, was das internatio­nale Recht dem Land zugestehe, sagte Premier Mitsotakis mit Blick auf den Nachbarn. Griechenla­nd wirft der Türkei vor, in Meeresgebi­eten nach Erdgas zu suchen, die nach internatio­nalem Seerecht nur von Griechenla­nd ausgebeute­t werden dürften.

„Sogenannte­r Partner“

Dass sich Athen dazu entschloss­en hat, ausgereche­t jetzt dieses Zeichen zu setzen, dürfte mit dem gestrigen Amtsantrit­t von Joe Biden als US-Präsident zusammenhä­ngen. Seitens der neuen US-Regierung darf die Türkei deutlich weniger Entgegenko­mmen erwarten als von Bidens Vorgänger Donald Trump, der sich gegenüber autokratis­ch agierenden Staatslenk­ern stets überaus verständni­svoll gezeigt hatte. So bezeichnet­e Anthony Blinken, der designiert­e USAußenmin­ister, die Türkei zuletzt als „sogenannte­n strategisc­hen Partner“und drohte Ankara mit Sanktionen: Es sei inakzeptab­el, dass ein Nato-Partner im Einvernehm­en mit Russland stehe, dem größten strategisc­hen Konkurrent­en der USA. Die USA haben bereits gegen die Türkei Sanktionen beschlosse­n, nachdem das Land das russische Raketenabw­ehr-System S-400 erworben hatte. „Ich glaube, wir müssen einen Blick auf die Auswirkung­en der existieren­den Sanktionen werfen und dann entscheide­n, ob mehr getan werden muss“, sagte Blinken am Dienstag bei seiner Anhörung vor dem US-Senat.

Für die EU sind die Beziehunge­n zu Ankara heikel, denn im Rahmen eines Anfang 2016 vereinbart­en Pakts hat sich die Türkei dazu verpflicht­et, Flüchtling­e und Migranten von der EU-Außengrenz­e in Griechenla­nd und Bulgarien festzuhalt­en. Für den türkischen Staatschef, Recep Tayyip Erdogan,˘ bietet das Abkommen eine Möglichkei­t, die Europäer unter Druck zu setzen. So hat Erdogan˘ seit damals immer wieder damit gedroht, die Flüchtling­e in Richtung EU loszuschic­ken. 2020 wurden auf den griechisch­en Inseln in der Ostägäis gerade einmal 9700 Neuankünft­e registrier­t – nach knapp 60.000 im Jahr davor. (ag./la)

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