Ein Ex-Spion in den Mühlen der Behörden
Mordanschlag. Ein Teppichhändler, der angibt, für den türkischen Geheimdienst MIT gearbeitet zu haben, ist eilig nach Italien abgeschoben worden. Er könnte aber wieder einreisen – um sich seinem Spionageprozess zu stellen.
Wien. Wenn ein Spion in Österreich zwischen die Mühlsteine der Behörden gerät, kann das zu kuriosen Resultaten führen: Der türkischstämmige Teppich- und Stoffhändler Ö. marschierte am 15. September des Vorjahres zur Wiener Polizei. Der 53-Jährige erzählte, dass er vom türkischen Geheimdienst MIT den Auftrag bekommen habe, die kurdischstämmige Wiener Landtagsabgeordnete Berivan Aslan (Grüne) zu töten oder zu verletzen. Die daraufhin einsetzenden Aktivitäten mehrerer Behörden gipfelten einerseits in einer Anklage gegen den Mann. Andererseits in einer Abschiebung.
Wie konnte es zu so widersprüchlichen Entwicklungen kommen? Zunächst muss man wissen: Von seiner Anwältin Veronika Ujvarosi und auch von Co-Anwalt Daniel Mozga wird Ö. als Whistleblower eingestuft. Ö. selbst unterstreicht dies: Er habe den österreichischen Behörden helfen wollen, habe aber den Eindruck, „dass der Staat Österreich an meiner Information nicht interessiert ist“.
Nach seinen Enthüllungen habe er sich ein paar Tage in Wohnungen aufgehalten, die ihm von der Polizei zugewiesen wurden. Staatsschützer (BVT) luden Ö. viermal zu Zeugeneinvernahmen. Im deren Verlauf drehte der Wind. Ö. galt fortan als Beschuldigter und wurde als solcher noch fünfmal einvernommen.
Spion für eine fremde Macht
Es hatte zwar weder ein Attentat noch einen Attentatsversuch gegeben, aber das Vergehen des militärischen Nachrichtendienstes für einen fremden Staat sei dennoch erfüllt – meint(e) die Staatsanwaltschaft Wien. Denn: Ö. habe immerhin „für eine fremde Macht, nämlich die Republik Türkei“(Zitat Anklageschrift), einen militärischen Nachrichtendienst unterstützt. Indem er sich bereit hielt, indem er auf Anweisung des MIT nach Österreich reiste und von einem für den MIT tätigen Mann „den Auftrag erhielt, die Politikerin Aygül Berivan Aslan umzubringen oder wenigstens zu verletzen“.
Aber warum sprang Ö. ab? Die Anklagebehörde vermutet, dass der 53-Jährige fürchten musste, nach dem Anschlag vom türkischen Geheimdienst fallen gelassen zu werden. Eines wird jedenfalls deutlich: Die Staatsanwaltschaft hält Ö. nicht bloß für einen
Spinner oder für jemanden, der aus Eigennutz Dinge erfindet, sondern sieht in ihm tatsächlich einen (früheren) Agenten.
Ö. nährt diese Einschätzung. Er erklärt, seit 1991 Kontakte zum türkischen Geheimdienst zu haben. Und er hat vier mutmaßlich an dem Mordkomplott beteiligte Männer aus dem Dunstkreis des MIT „hochgehen“lassen. Gegen diese wird nun wegen versuchter Anstiftung zum Mord ermittelt. Im Verhör gab Ö. an, Hintermänner hätten ihm gesagt, „dass Österreich eine Lektion erteilt werden müsse, zumal sich Bundeskanzler Sebastian Kurz auf europäischer Ebene gegen die Türkei auflehne“.
Als all dies bekannt geworden war, wanderte der Teppichhändler in U-Haft. Indessen mahlten auch die Mühlen des Innenministeriums. Das ebendiesem weisungsgebundene Bundesasylamt sammelte fremdenrechtliche Gründe für ein Aufenthaltsverbot von Ö.
Dezember 2000: Im Innenressort staunte man, als man erfuhr, dass Ö. aus der U-Haft entlassen werden sollte. Obwohl schon ein Termin für den Spionageprozess (4. Februar) feststand. Die Staatsanwaltschaft wollte, dass Ö. als freier Mann zu seinem Prozess kommt. Begründung für die Freilassung nach drei Monaten U-Haft: Bei einer Strafdrohung von maximal zwei Jahren wäre eine noch längere U-Haft unverhältnismäßig gewesen.
Dann musste es schnell gehen, fand das Innenressort. Man holte Ö. quasi von der U-Haft ab und schob ihn nach Italien ab. Ö. hat die italienische Staatsbürgerschaft. Und arbeitete zuletzt in Mailand.
Zwei Ministerien, zwei Ansätze
Im Abschiebebescheid (in dem übrigens etliche Absätze doppelt vorkommen) wird Ö. beschieden: „Von Ihnen geht erwiesenermaßen eine erhebliche Gefährdung der nationalen Sicherheit der Republik Österreich aus.“Somit nimmt auch das Innenressort den Mann als Gefährder ernst.
Hat ÖVP-Innenminister Karl Nehammer der grünen Justizministerin (bzw. dem aktuellen Justizminister, Werner Kogler) einen Angeklagten „entzogen“? Eher nein. Denn Ö. kann einen Antrag auf Wiedereinreise stellen. Gewährt man ihm freies Geleit, wird er dies tun, signalisierte zuletzt Anwältin Ujvarosi. Der Prozesstermin wurde vorsichtshalber abberaumt. Einen neuen gibt es noch nicht.