Zweifel an der Wirkung des Endlos-Lockdowns
Gastbeitrag. Wie hilfreich sind die flächendeckenden Lockdowns und wie schlimm die volkswirtschaftlichen Konsequenzen? Ein Überblick.
Zweite Welle, dritter Lockdown. Zwei Fragen stellen sich: Bringen diese Lockdowns die erwünschte eindämmende Wirkung bzw. waren/sind sie alternativlos, wie die Regierung behauptet? Wie hoch sind die volkswirtschaftlichen Kosten bzw. sind diese – unter Beachtung der Effektivität – gerechtfertigt und leistbar?
Frage eins wird seit geraumer Zeit nicht ernsthaft thematisiert bzw. ohne Weiteres mit Ja beantwortet; Frage zwei wird, unter Bejahung von Frage eins, mit „Koste es, was es wolle“beantwortet. Im Folgenden wird argumentiert, dass beide Fragen bislang unzureichend diskutiert und großteils falsch beantwortet wurden.
Bei der ersten Frage haben die Virologen, das Klinikpersonal sowie Epidemiologen das Sagen, deren Meinung nicht einheitlich ist, sodass die Antwort von den Entscheidern selektiert wurde und wird. Hier hätte jedoch das zunehmende Wissen, gepaart mit gesundem Menschenverstand, seinen Stellenwert: Man kennt mittlerweile das Ansteckungsrisiko (Nahkontakte, ungeschützt über 15 Minuten), sperrt aber flächendeckend den Non-Food-Handel, obwohl ähnliche Bedingungen wie im Lebensmittelhandel herrschen, wo so gut wie kein Risiko nachweisbar ist. Es gibt Beispiele, dass Gastronomie und Kulturstätten unter Einhaltung elementarer Schutzmaßnahmen keine Verbreitungswellen auslösten, trotzdem sperrt man sie komplett. Man drängt die Menschen aus dem öffentlichen Raum in den besonders gefährdeten privaten, obwohl man weiß, dass hier Kontrollen unter westlichen Bedingungen nicht exekutierbar sind.
Beide harten Lockdowns haben übrigens begonnen, nachdem die Kurve der Neuinfektionen auf dem Höhepunkt bzw. dieser bereits überschritten war, mit kontinuierlicher Abnahme der SiebenTage-Inzidenz.
Im Zweifel heißt es aber seitens der Politik „so und so viele Länder, Experten und Regierungen können nicht irren“, „auch kalkulierbare Risken sind maximal auszuschalten“. Eine Strategie der „sichersten Seite“folgt aber oft einem nicht rationalen Paradigma der Gefahrenstimmung, das letztlich, um mit Max Weber zu sprechen, in einen Kanal zumindest paternalistischer Gesinnungsethik (wenn nicht „Pseudo“- statt Verantwortungsethik) mündet.
Vielfache Versäumnisse
Die Wirkung des gegenwärtigen Endlos-Lockdowns auf das Infektionsgeschehen ist in seiner flächendeckenden Art anzuzweifeln, überdeckt aber die vielfachen Versäumnisse und das Scheitern bei diskretionären Maßnahmen, die über den Sommer hätten vorbereitet werden können: Cluster-Eindämmung nicht möglich wegen zu geringer Tracing-Kapazitäten, ganz zu schweigen von Mobilfunk-gestütztem Tracing, Test
und Schutzstrategien in Altersheimen und Gesundheitseinrichtungen lückenhaft.
Nicht einmal konventionelles behördliches Tracing bei identifizierten Kontaktpersonen (um diese z. B. verlässlich, mittels PCR, zu testen) hat funktioniert, ganz abgesehen von wichtigen Screenings der Erkrankten am Ende der Quarantäne (Entzündungswerte etc.).
Kosten schwer absehbar
Wenden wir uns dem ersten Teil der Frage zwei zu, den LockdownKosten: Staatsseitige Kosten (ohne Wertschöpfungs- und Vermögensverluste der Privaten, der Arbeitnehmer usw.) sind in ihrer vollen Höhe zwar noch schwer absehbar. Die auflaufenden budgetwirksamen Kosten, bestehend aus diversen Corona-Direkthilfen, Umsatzentschädigungen, Kurzarbeitsgeld, Einnahmenausfällen u. Ä. werden inklusive Eventualposten aus Haftungsrahmen derzeit auf über 70 Milliarden Euro geschätzt (Budgetrahmen). Für das Jahr 2020 kann dieser Kostenschub zumindest grob mit der Prognose der Staatsschuldenentwicklung veranschaulicht werden. Die Frage der (relativen) Leistbarkeit demonstriert ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern.
Die Staatsschuldenquote Österreichs zeigt in der offiziellen Pognosevariante einen Anstieg von 70,5 Prozent (2019) auf 84,2 Prozent (2020) – ein Plus von fast 20 Prozent – was somit leicht über dem Zuwachs Frankreichs und Deutschlands liegt (je 18 Prozent). Da diese Prognose aus dem Herbst stammt, ist allerdings, verteilt auf die nächsten Jahre, eine weiter hohe Dynamik anzunehmen. Diese ist, in Anbetracht des Ausgangsniveaus, der „Kleinländer“-Eigenschaft, der starken Tourismusabhängigkeit außerordentlich.
Die Staatsschuldenquoten vergleichbarer kleiner Länder wie der Schweiz, der Niederlande, Schweden oder Dänemark liegen teils weit unter der 60-Prozent-Marke. Schweden und die Schweiz mit den geringsten Zuwächsen konnten auch in der zweiten Welle lange Zeit einen vergleichbaren Lockdown verhindern. Deutschland wird sich mit einem Zuwachs der Schuldenquote von 60 auf 70 Prozent leichter aus der Affäre ziehen können, sogar leichter als in der Finanzkrise (mit damals 80 Prozent) – siehe die Aussage des deutschen Finanzministers, wonach sich das Land noch mehrere Lockdowns leisten könne. Deutschland trägt auch die gewichtigste Last bei Garantie und Gewährleistung des EU-Corona-Aufbaufonds, wobei hier auch die anderen Nettozahler einzustehen haben – bei geringerer Inanspruchnahme der FondsDirekthilfen. Nebenbei sind die deutschen Coronahilfen gemessen am BIP (bis dato) deutlich geringer als die österreichischen.
Alles halb so schlimm?
Man geht davon aus, dass sich Österreich auf den Finanzmärkten zunächst selbstständig günstiger wird finanzieren können (Geldschwemme der Zentralbanken, Auslaufen höher verzinster Bonds, Negativzinsen). Gilt das auch a` la longue mit deutlich gestiegener Schuldenquote?
Also alles volkswirtschaftlich halb so schlimm? Dazu bedarf es großen Optimismus hinsichtlich der Erholungsoptionen. Viele (derzeit noch schwache) Zeichen, v. a. im Verhältnis zu Deutschland, stimmen nicht gerade positiv (Inbzw. Re-Sourcing von Zulieferungen, nachhaltige Schädigung des Incoming-Tourismus, Verlagerung auslaufender Poduktionen – siehe BMW nach Steyr u. ä.).
Bei den meisten Coronahilfen handelt es sich (wenn auch künftig konsumstützend) um unproduktive, v. a. strukturell unwirksame Ausgaben mit der Gefahr, dass Förderungen z. B. in den ökologischen oder industriellen Strukturwandel, in Bildung und kulturelle Aktivitäten verdrängt werden. Auch der medizinisch-kurative Sektor selbst (Pflege, sinnvolle Präventivmaßnahmen etc.) muss dann zunehmend mit den Zahlungen zur Kompensation von Umsatz– und Gewinnausfällen, etwa von Luxusherbergen, konkurrieren!
Alternativen zum totalen Lockdown (mit deutlich weniger negativen wirtschaftlichen Folgen) haben bisher skandinavische Länder (ganz zu schweigen von einigen südostasiatischen) demonstriert.
Fazit: Der flächendeckende Lockdown ist in seiner epidemiologischen Sinnhaftigkeit anzuzweifeln und verursacht in Anbetracht der Situation des Landes unverhältnismäßig hohe (hier einmal direkte, von weiteren, wie den psychosozialen, ganz abgesehen) Kosten.