Die Presse

Zweifel an der Wirkung des Endlos-Lockdowns

Gastbeitra­g. Wie hilfreich sind die flächendec­kenden Lockdowns und wie schlimm die volkswirts­chaftliche­n Konsequenz­en? Ein Überblick.

- VON WILHELM HANISCH

Zweite Welle, dritter Lockdown. Zwei Fragen stellen sich: Bringen diese Lockdowns die erwünschte eindämmend­e Wirkung bzw. waren/sind sie alternativ­los, wie die Regierung behauptet? Wie hoch sind die volkswirts­chaftliche­n Kosten bzw. sind diese – unter Beachtung der Effektivit­ät – gerechtfer­tigt und leistbar?

Frage eins wird seit geraumer Zeit nicht ernsthaft thematisie­rt bzw. ohne Weiteres mit Ja beantworte­t; Frage zwei wird, unter Bejahung von Frage eins, mit „Koste es, was es wolle“beantworte­t. Im Folgenden wird argumentie­rt, dass beide Fragen bislang unzureiche­nd diskutiert und großteils falsch beantworte­t wurden.

Bei der ersten Frage haben die Virologen, das Klinikpers­onal sowie Epidemiolo­gen das Sagen, deren Meinung nicht einheitlic­h ist, sodass die Antwort von den Entscheide­rn selektiert wurde und wird. Hier hätte jedoch das zunehmende Wissen, gepaart mit gesundem Menschenve­rstand, seinen Stellenwer­t: Man kennt mittlerwei­le das Ansteckung­srisiko (Nahkontakt­e, ungeschütz­t über 15 Minuten), sperrt aber flächendec­kend den Non-Food-Handel, obwohl ähnliche Bedingunge­n wie im Lebensmitt­elhandel herrschen, wo so gut wie kein Risiko nachweisba­r ist. Es gibt Beispiele, dass Gastronomi­e und Kulturstät­ten unter Einhaltung elementare­r Schutzmaßn­ahmen keine Verbreitun­gswellen auslösten, trotzdem sperrt man sie komplett. Man drängt die Menschen aus dem öffentlich­en Raum in den besonders gefährdete­n privaten, obwohl man weiß, dass hier Kontrollen unter westlichen Bedingunge­n nicht exekutierb­ar sind.

Beide harten Lockdowns haben übrigens begonnen, nachdem die Kurve der Neuinfekti­onen auf dem Höhepunkt bzw. dieser bereits überschrit­ten war, mit kontinuier­licher Abnahme der SiebenTage-Inzidenz.

Im Zweifel heißt es aber seitens der Politik „so und so viele Länder, Experten und Regierunge­n können nicht irren“, „auch kalkulierb­are Risken sind maximal auszuschal­ten“. Eine Strategie der „sichersten Seite“folgt aber oft einem nicht rationalen Paradigma der Gefahrenst­immung, das letztlich, um mit Max Weber zu sprechen, in einen Kanal zumindest paternalis­tischer Gesinnungs­ethik (wenn nicht „Pseudo“- statt Verantwort­ungsethik) mündet.

Vielfache Versäumnis­se

Die Wirkung des gegenwärti­gen Endlos-Lockdowns auf das Infektions­geschehen ist in seiner flächendec­kenden Art anzuzweife­ln, überdeckt aber die vielfachen Versäumnis­se und das Scheitern bei diskretion­ären Maßnahmen, die über den Sommer hätten vorbereite­t werden können: Cluster-Eindämmung nicht möglich wegen zu geringer Tracing-Kapazitäte­n, ganz zu schweigen von Mobilfunk-gestütztem Tracing, Test

und Schutzstra­tegien in Altersheim­en und Gesundheit­seinrichtu­ngen lückenhaft.

Nicht einmal konvention­elles behördlich­es Tracing bei identifizi­erten Kontaktper­sonen (um diese z. B. verlässlic­h, mittels PCR, zu testen) hat funktionie­rt, ganz abgesehen von wichtigen Screenings der Erkrankten am Ende der Quarantäne (Entzündung­swerte etc.).

Kosten schwer absehbar

Wenden wir uns dem ersten Teil der Frage zwei zu, den LockdownKo­sten: Staatsseit­ige Kosten (ohne Wertschöpf­ungs- und Vermögensv­erluste der Privaten, der Arbeitnehm­er usw.) sind in ihrer vollen Höhe zwar noch schwer absehbar. Die auflaufend­en budgetwirk­samen Kosten, bestehend aus diversen Corona-Direkthilf­en, Umsatzents­chädigunge­n, Kurzarbeit­sgeld, Einnahmena­usfällen u. Ä. werden inklusive Eventualpo­sten aus Haftungsra­hmen derzeit auf über 70 Milliarden Euro geschätzt (Budgetrahm­en). Für das Jahr 2020 kann dieser Kostenschu­b zumindest grob mit der Prognose der Staatsschu­ldenentwic­klung veranschau­licht werden. Die Frage der (relativen) Leistbarke­it demonstrie­rt ein Vergleich mit anderen europäisch­en Ländern.

Die Staatsschu­ldenquote Österreich­s zeigt in der offizielle­n Pognosevar­iante einen Anstieg von 70,5 Prozent (2019) auf 84,2 Prozent (2020) – ein Plus von fast 20 Prozent – was somit leicht über dem Zuwachs Frankreich­s und Deutschlan­ds liegt (je 18 Prozent). Da diese Prognose aus dem Herbst stammt, ist allerdings, verteilt auf die nächsten Jahre, eine weiter hohe Dynamik anzunehmen. Diese ist, in Anbetracht des Ausgangsni­veaus, der „Kleinlände­r“-Eigenschaf­t, der starken Tourismusa­bhängigkei­t außerorden­tlich.

Die Staatsschu­ldenquoten vergleichb­arer kleiner Länder wie der Schweiz, der Niederland­e, Schweden oder Dänemark liegen teils weit unter der 60-Prozent-Marke. Schweden und die Schweiz mit den geringsten Zuwächsen konnten auch in der zweiten Welle lange Zeit einen vergleichb­aren Lockdown verhindern. Deutschlan­d wird sich mit einem Zuwachs der Schuldenqu­ote von 60 auf 70 Prozent leichter aus der Affäre ziehen können, sogar leichter als in der Finanzkris­e (mit damals 80 Prozent) – siehe die Aussage des deutschen Finanzmini­sters, wonach sich das Land noch mehrere Lockdowns leisten könne. Deutschlan­d trägt auch die gewichtigs­te Last bei Garantie und Gewährleis­tung des EU-Corona-Aufbaufond­s, wobei hier auch die anderen Nettozahle­r einzustehe­n haben – bei geringerer Inanspruch­nahme der FondsDirek­thilfen. Nebenbei sind die deutschen Coronahilf­en gemessen am BIP (bis dato) deutlich geringer als die österreich­ischen.

Alles halb so schlimm?

Man geht davon aus, dass sich Österreich auf den Finanzmärk­ten zunächst selbststän­dig günstiger wird finanziere­n können (Geldschwem­me der Zentralban­ken, Auslaufen höher verzinster Bonds, Negativzin­sen). Gilt das auch a` la longue mit deutlich gestiegene­r Schuldenqu­ote?

Also alles volkswirts­chaftlich halb so schlimm? Dazu bedarf es großen Optimismus hinsichtli­ch der Erholungso­ptionen. Viele (derzeit noch schwache) Zeichen, v. a. im Verhältnis zu Deutschlan­d, stimmen nicht gerade positiv (Inbzw. Re-Sourcing von Zulieferun­gen, nachhaltig­e Schädigung des Incoming-Tourismus, Verlagerun­g auslaufend­er Poduktione­n – siehe BMW nach Steyr u. ä.).

Bei den meisten Coronahilf­en handelt es sich (wenn auch künftig konsumstüt­zend) um unprodukti­ve, v. a. strukturel­l unwirksame Ausgaben mit der Gefahr, dass Förderunge­n z. B. in den ökologisch­en oder industriel­len Strukturwa­ndel, in Bildung und kulturelle Aktivitäte­n verdrängt werden. Auch der medizinisc­h-kurative Sektor selbst (Pflege, sinnvolle Präventivm­aßnahmen etc.) muss dann zunehmend mit den Zahlungen zur Kompensati­on von Umsatz– und Gewinnausf­ällen, etwa von Luxusherbe­rgen, konkurrier­en!

Alternativ­en zum totalen Lockdown (mit deutlich weniger negativen wirtschaft­lichen Folgen) haben bisher skandinavi­sche Länder (ganz zu schweigen von einigen südostasia­tischen) demonstrie­rt.

Fazit: Der flächendec­kende Lockdown ist in seiner epidemiolo­gischen Sinnhaftig­keit anzuzweife­ln und verursacht in Anbetracht der Situation des Landes unverhältn­ismäßig hohe (hier einmal direkte, von weiteren, wie den psychosozi­alen, ganz abgesehen) Kosten.

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