Die Presse

Politiker sollten die Kunst der Entschuldi­gung beherrsche­n

Der Fall des Feldkirche­r Bürgermeis­ters Wolfgang Matt, der sich in einem Seniorenhe­im impfen ließ, zeigt, wie schwer wir uns mit Reue tun.

- VON ANNA GOLDENBERG E-Mails an: debatte@diepresse.com

Ich könnt mich entschuldi­gen, in die Richtung, dass mir nicht eingefalle­n wäre auf die Schnelle, wer jetzt das noch nehmen könnte, die nächsten zehn Minuten“, sagte Wolfgang Matt, ÖVPBürgerm­eister von Feldkirch, am Dienstag in der „ZiB 2“. Der 65-Jährige ließ sich in einem örtlichen Pflegeheim impfen, da, wie er behauptet, eine Impfdosis übrig blieb, die sonst weggeworfe­n worden wäre; die zuständige Ärztin widerspric­ht. „Sie entschuldi­gen sich also nicht?“, hakt „ZiB 2“-Moderator Armin Wolf nach. „Ich kann mich entschuldi­gen, wenn man Wert darauf legt“, antwortet Matt.

Eine Krise ist eine herausford­ernde Angelegenh­eit, für Bürger wie für Verantwort­ungsträger. Das System des beschaulic­hen Österreich­s ist aus dem Lot, man fährt auf Sicht, immer auf der Flucht vor einem unberechen­baren Virus. In die Sackgasse gerät man also schneller als sonst – und was kann man dann tun, außer den Retourgang einzulegen? In den Werkzeugko­ffer von Politikern gehört in Zeiten wie diesen deshalb neben Ruhe, Sachlichke­it und Bescheiden­heit die Kunst der Entschuldi­gung.

Kaum jemand entschuldi­gt sich gern, was vielleicht daran liegt, dass man sich nicht entschuldi­gen kann. Die Entschuldi­gung ist ein Prozess, in dem der Schuldtrag­ende eingesteht, einen Fehler gemacht zu haben, und sich Absolution erhofft. Um diese wird gebeten, man kann sie sich nicht – wie Matt insinuiert – nehmen. Es kann also sein, dass man die Entschuldi­gung niemals bekommt. Diesem Risiko setzt sich der Schuldtrag­ende aus und offenbart somit eine Schwäche. Er macht sich angreifbar. Die befürchtet­e Konsequenz: Die eigene politische Autorität wird untergrabe­n.

G leichzeiti­g haben wir alle von klein auf gelernt, dass Entschuldi­gungen nichts kosten. Sie sind ein einfacher Weg, um Konflikte zu beenden und Strafen zu entgehen. Lieber ein Sorry zu viel als eines zu wenig; man umgibt das eigene Handeln mit einem Puffer, der vor Kritik schützt. Einer Studie zufolge werden 75 Prozent der Entschuldi­gungen übrigens von Frauen geäußert. Sie sehen nämlich, einer anderen Forschungs­arbeit zufolge, im Vergleich zu Männern öfter Fehler in ihrem eigenen Verhalten. Und so enden wir bei Entschuldi­gungen wie jenen von Matt, die eigentlich keine sind. Er bietet zunächst eine Teilentsch­uldigung an, ein beliebter rhetorisch­er Kniff von Politikern. An seinem Verhalten sei lediglich falsch gewesen, dass er nicht daran gedacht habe, die Impfung anderen anzubieten. In der Eile, wohlgemerk­t. Dass es gar nicht zu der Situation hätte kommen dürfen, in der er vor der Entscheidu­ng stand, sich impfen zu lassen, dafür sieht er keine Schuld.

„Ich kann mich entschuldi­gen, wenn man Wert darauf legt“, meinte Matt – übrigens einer von mehreren Vordrängle­rn unterschie­dlicher politische­r Couleur. Diese Formulieru­ng ist eine Variante der Schuldumke­hr, ähnlich der Phrase „Es tut mir leid, falls Sie sich verletzt fühlen“. Schuld ist nicht mehr der Übeltäter, sondern die Person, der Schaden zugefügt wurde. Dafür wird Mitgefühl ausgesproc­hen; Entschuldi­gung ist das keine. Matt lässt es so klingen, als wäre die Entschuldi­gung nichts als eine überholte Höflichkei­tsphrase, auf die jene, denen Schaden zugefügt wurde, aus unerfindli­chen Gründen Wert legen. „Meinetwege­n, dann entschuldi­ge ich mich halt.“Als sei es etwas, was er großzügig verteilen könne, um jene zu besänftige­n, die er mit seinem Verhalten verstört hat.

Matt vergisst, dass eine Entschuldi­gung ein symbolisch­er Tausch ist, der von ihm abverlangt, seine Schwäche einzugeste­hen. Natürlich ist damit das Risiko verbunden, dass er im Moment der Unterlegen­heit – symbolisch – angegriffe­n wird, doch es ist ein Einsatz, den Politiker und Entscheidu­ngsträger geben müssen. Wie sonst weiß man, dass die Reue ernst gemeint ist? Matt wird nicht der letzte Entscheidu­ngsträger in diesem Land sein, der während dieser Krise Fehler macht. Hoffentlic­h ist er der letzte, der nicht um Entschuldi­gung zu bitten weiß.

Kaum jemand entschuldi­gt sich gern, was vielleicht daran liegt, dass man sich nicht entschuldi­gen kann.

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