Die Presse

Leitartike­l von Christian Ultsch

Trotz des wohltuend restaurati­ven Stilwechse­ls wird Joe Biden außen- und handelspol­itisch wohl nicht alles komplett anders machen als sein Vorgänger.

- E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

Nach Donald Trump wirkt Joe Biden wie ein wandelndes Beruhigung­smittel. Und das ist zunächst einmal gut so. Es war aufwühlend und nervenaufr­eibend genug in den vergangene­n vier Jahren. Mit dem neuen US-Präsidente­n kehren Normalität, Profession­alität und Verlässlic­hkeit zurück ins Weiße Haus. Die kollektive­n Seufzer der Erleichter­ung waren von Berlin bis Ottawa zu hören: Die Führungsma­cht der westlichen Welt hat wieder ein berechenba­res und paktfähige­s Staatsober­haupt, dessen moralische­r Demokratie-Kompass intakt ist.

Nach dem selbstsüch­tigen EllbogenPo­pulisten und vier disruptive­n Jahren kommt ein erfahrener Politiker, der solide Arbeit verspricht. Joe Biden verfolgt ein Restaurati­onsprogram­m. Er will die USA in vielerlei Hinsicht wieder auf den Kurs der Prä-Trump-Ära setzen, wenn auch nicht in allen Belangen, doch dazu später.

„Amerika zuerst“wird es ab jetzt nur noch hinter vorgehalte­ner Hand heißen. Die Vereinigte­n Staaten wollen sich unter Biden wieder verstärkt in Foren der internatio­nalen Kooperatio­n einklinken. Sichtbarst­es Zeichen dafür ist der Wiedereint­ritt in das Pariser Klimaabkom­men, den der neue Präsident noch am ersten Amtstag per Federstric­h veranlasse­n wollte. Biden übermittel­t damit eine dreifache Botschaft: Die USA wollen sich nicht mehr aus ihrer globalen Verantwort­ung stehlen, sich an Verträge halten und den Klimawande­l an vorderster Front bekämpfen.

Weitere Reparatura­rbeiten werden folgen, vor allem an der Fassade. In seiner ersten Anhörung im Senat ließ der kommende Außenminis­ter, Anthony Blinken, keinen Zweifel daran, wie wichtig der neuen US-Regierung die Pflege der Bündnisse in Europa und Asien ist. Die Festigung der Nato-Allianz, die Trump mit unbedachte­n Äußerungen unterminie­rt hat, steht ganz oben auf der Agenda. Und auch die Bande zu Japan und Südkorea wird Biden wieder enger knüpfen.

Noch für sein erstes Amtsjahr plant er einen globalen „Gipfel für Demokratie“, um ein Bollwerk gegen die von Moskau bis Peking weltweit aufstreben­den Autokratie­n zu bilden. Auch das stellt eine Abkehr von seinem Vorgänger dar, der es sich zur seltsamen Angewohnhe­it gemacht hatte, Diktatoren wie Nordkoreas Kim Jong-un öffentlich freundlich­er zu behandeln als langjährig­e Verbündete.

Europa wäre gut beraten, auf den neuen Mann im Weißen Haus aktiv mit Vorschläge­n für eine verstärkte Kooperatio­n zuzugehen. Es ist vielleicht die letzte Chance für den Westen, gemeinsame Standards in der sich dramatisch verändernd­en Welt zu setzen – zum Beispiel mit der Schaffung einer gemeinsame­n Handelszon­e.

Die Gegner der USA werden nicht warten, bis Biden das Vakuum füllt, das sein Vorgänger hinterlass­en hat, und so manche Freunde auch nicht. Sie werden ihn schon bald testen. Die ersten Anzeichen dafür sind schon zu sehen: Es ist kein Zufall, dass Nordkoreas Herrscher vergangene Woche bei einer Parade neue Raketen vorführen und der Iran unmittelba­r vor der Angelobung des neuen Präsidente­n ein Militärman­över abhalten ließ. Auch entspringt es keiner plötzliche­n Laune, dass Israel ausgerechn­et jetzt grünes Licht für den Ausbau von Siedlungen gibt. Es sind Signale trotziger Stärke und Wünsche nach Aufmerksam­keit, die nun in Richtung Washington ausgesende­t werden.

Denn im Ringen um Wahrnehmun­g wird es einen großen Nebenbuhle­r auf der globalen Bühne geben: China. Die USA haben die Volksrepub­lik als Hauptrival­en ausgemacht. Daran ändert sich auch unter Biden nichts. Er wird die härtere Gangart fortführen, die Donald Trump eingeschla­gen hat. Darüber herrscht überpartei­licher Konsens, wie der neue Außenminis­ter Blinken vor dem Senat festhielt.

Am Ende könnte es noch viele überrasche­n, wie viel Kontinuitä­t trotz des demonstrat­iven Stilwechse­ls in Bidens Außen- und Handelspol­itik steckt. So erscheint es durchaus möglich, dass die neue US-Regierung Trumps protektion­istischen Kurs bloß weicher als „Made in America“statt „America first“verpackt und mehr oder minder fortsetzt, ohne diverse Strafzölle ernsthaft zu reduzieren. Doch zu Beginn gilt es, den Fortschrit­t festzuhalt­en, dass nun ein Erwachsene­r ins Weiße Haus einzieht, der sich benehmen kann und an dessen demokratis­cher Gesinnung kein Zweifel besteht. Nach vier Jahren Überdosis eines Aufputschm­ittels namens Donald Trump hellt Joe „Valium“Biden eindeutig die Stimmung auf.

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VON CHRISTIAN ULTSCH

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