Vorsichtige Erleichterung in Brüssel
Europäische Union. Nach vier Jahren desaströsen Verhältnisses zu Donald Trump hoffen die Spitzen der Union auf mehr Einvernehmen mit Joe Biden. Bei Sicherheit und Wirtschaft droht aber Zwietracht.
Brüssel. Washington lag noch in unruhigem Schlaf, da hatten die Spitzen der beiden wichtigsten EU-Institutionen bereits Freundschaftsgrüße über den Atlantik geschickt. Nach vier langen und „sehr obstruktiven“Jahren habe Europa wieder „einen Freund im Weißen Haus“, sagte Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, vor dem Europaparlament. „Ich freue mich darauf, Joe Biden unsere neue transatlantische Agenda vorzustellen“, fügte sie hinzu. Wie genau dieser Plan für die Zusammenarbeit mit den USA aussehen soll, präzisierte von der Leyen nicht. Auch Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rates, blieb vor dem Parlament freundlich und unverbindlich zugleich. Einen „Gründungspakt“für die gemeinsame Zusammenarbeit wolle er Biden vorschlagen, um die transatlantische Beziehung zu „verjüngen“. Fünf Aspekte solle diese Vereinbarung zwischen Brüssel und Washington ansprechen: die Förderung multilateraler Zusammenarbeit in der Welt, den Kampf gegen die Pandemie, die Klimapolitik, den Wiederaufbau der Wirtschaft, wobei fairerer Handel sichergestellt und der digitale Wandel gemeistert werden sollten, sowie ein Bündeln der Kräfte bei Sicherheit und Frieden.
Trumps Strafzölle bleiben vorerst
Doch sowohl von der Leyen als auch Michel ließen erkennen, dass sie sich keine Illusionen über einen etwaigen reibungslosen Neubeginn des Verhältnisses zu den USA machen. Erstens aufgrund der schweren gesellschaftlichen Spannungen im Land selbst, die Trump in seinen vier Jahren verstärkt hat. „Vielleicht werden wir nicht in der Lage sein, dunkle Mächte aus der Gesellschaft zu entfernen“, sagte von der Leyen im Hinblick auf totalitär geneigte und zu Gewalt bereite Trump-Anhänger. Andererseits gibt es zwischen der Union und Amerika vor allem in Fragen der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik grundsätzliche Konflikte. Trump hat sie vertieft, mit seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt sind sie jedoch nicht verschwunden. Nicht alle Probleme im EUUS-Verhältnis würden „auf wundersame Weise verschwinden“, sagte Michel.
Das betrifft in erster Linie die Handelspolitik, konkret die Barrage an Strafzöllen, die Trump auf europäische Güter verhängt hat. „Ich gehe nicht davon aus, dass die sofort abgeschafft werden. Das wird eine Verhandlung brauchen“, sagte Bernd Lange, SPD-Europaabgeordneter und Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament, am Dienstag. Prinzipiell ist er zuversichtlich: „Nicht alles wird anders, aber vieles wird besser.“Unverändert jedoch bleibe die politische Bedeutung der Löhne und Gehälter der US-Arbeitnehmer. Biden hat erklärt, im öffentlichen Beschaffungswesen das Prinzip „Kauft amerikanisch“zu verstärken. „Das kann zu Konflikten führen“, sagte Lange. „Aber es wird partnerschaftlich behandelt werden.“
Europas Wunsch, sich wegzuducken
Eine Schlüsselfrage wird der Umgang mit Chinas zusehends aggressivem Verhalten auf der Weltbühne sein. Bidens Regierung wird im Versuch, die globalen Machtansprüche der Kommunistischen Partei Chinas einzuhegen, auf Allianzen setzen – im Gegensatz zu Trump, der das solo unternahm und damit keinen Erfolg hatte. Europas Politiker würden sich aus dem Ringen zwischen Washington und Peking am liebsten heraushalten; auch große Mehrheiten der Bürger wünschen das, wie eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage des European Council on Foreign Relations zeigt.
Realistisch ist diese Vogel-Strauß-Taktik aber nicht, wie Hans Kundnani vom Forschungsinstitut Chatham House festhält: „Ob die Biden-Regierung es der EU erlaubt, für ihre Sicherheit auf die USA zu vertrauen, während sie sich ihnen in Sachen China und Russland widersetzt“, hänge davon ab, welche Denkrichtung sich in Bidens Team durchsetzen wird: die bedingungslosen Pro-Europäer, für die das transatlantische Bündnis ein Wert an sich ist, oder die kühlen Verfechter amerikanischer Interessen, für die das Verhältnis zu Europa ein Mittel zum Zweck ist.