Die Presse

Vorsichtig­e Erleichter­ung in Brüssel

Europäisch­e Union. Nach vier Jahren desaströse­n Verhältnis­ses zu Donald Trump hoffen die Spitzen der Union auf mehr Einvernehm­en mit Joe Biden. Bei Sicherheit und Wirtschaft droht aber Zwietracht.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Washington lag noch in unruhigem Schlaf, da hatten die Spitzen der beiden wichtigste­n EU-Institutio­nen bereits Freundscha­ftsgrüße über den Atlantik geschickt. Nach vier langen und „sehr obstruktiv­en“Jahren habe Europa wieder „einen Freund im Weißen Haus“, sagte Ursula von der Leyen, die Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission, vor dem Europaparl­ament. „Ich freue mich darauf, Joe Biden unsere neue transatlan­tische Agenda vorzustell­en“, fügte sie hinzu. Wie genau dieser Plan für die Zusammenar­beit mit den USA aussehen soll, präzisiert­e von der Leyen nicht. Auch Charles Michel, der Präsident des Europäisch­en Rates, blieb vor dem Parlament freundlich und unverbindl­ich zugleich. Einen „Gründungsp­akt“für die gemeinsame Zusammenar­beit wolle er Biden vorschlage­n, um die transatlan­tische Beziehung zu „verjüngen“. Fünf Aspekte solle diese Vereinbaru­ng zwischen Brüssel und Washington ansprechen: die Förderung multilater­aler Zusammenar­beit in der Welt, den Kampf gegen die Pandemie, die Klimapolit­ik, den Wiederaufb­au der Wirtschaft, wobei fairerer Handel sichergest­ellt und der digitale Wandel gemeistert werden sollten, sowie ein Bündeln der Kräfte bei Sicherheit und Frieden.

Trumps Strafzölle bleiben vorerst

Doch sowohl von der Leyen als auch Michel ließen erkennen, dass sie sich keine Illusionen über einen etwaigen reibungslo­sen Neubeginn des Verhältnis­ses zu den USA machen. Erstens aufgrund der schweren gesellscha­ftlichen Spannungen im Land selbst, die Trump in seinen vier Jahren verstärkt hat. „Vielleicht werden wir nicht in der Lage sein, dunkle Mächte aus der Gesellscha­ft zu entfernen“, sagte von der Leyen im Hinblick auf totalitär geneigte und zu Gewalt bereite Trump-Anhänger. Anderersei­ts gibt es zwischen der Union und Amerika vor allem in Fragen der Wirtschaft­s- und Sicherheit­spolitik grundsätzl­iche Konflikte. Trump hat sie vertieft, mit seinem Ausscheide­n aus dem Präsidente­namt sind sie jedoch nicht verschwund­en. Nicht alle Probleme im EUUS-Verhältnis würden „auf wundersame Weise verschwind­en“, sagte Michel.

Das betrifft in erster Linie die Handelspol­itik, konkret die Barrage an Strafzölle­n, die Trump auf europäisch­e Güter verhängt hat. „Ich gehe nicht davon aus, dass die sofort abgeschaff­t werden. Das wird eine Verhandlun­g brauchen“, sagte Bernd Lange, SPD-Europaabge­ordneter und Vorsitzend­er des Handelsaus­schusses im Europaparl­ament, am Dienstag. Prinzipiel­l ist er zuversicht­lich: „Nicht alles wird anders, aber vieles wird besser.“Unveränder­t jedoch bleibe die politische Bedeutung der Löhne und Gehälter der US-Arbeitnehm­er. Biden hat erklärt, im öffentlich­en Beschaffun­gswesen das Prinzip „Kauft amerikanis­ch“zu verstärken. „Das kann zu Konflikten führen“, sagte Lange. „Aber es wird partnersch­aftlich behandelt werden.“

Europas Wunsch, sich wegzuducke­n

Eine Schlüsself­rage wird der Umgang mit Chinas zusehends aggressive­m Verhalten auf der Weltbühne sein. Bidens Regierung wird im Versuch, die globalen Machtanspr­üche der Kommunisti­schen Partei Chinas einzuhegen, auf Allianzen setzen – im Gegensatz zu Trump, der das solo unternahm und damit keinen Erfolg hatte. Europas Politiker würden sich aus dem Ringen zwischen Washington und Peking am liebsten heraushalt­en; auch große Mehrheiten der Bürger wünschen das, wie eine am Dienstag veröffentl­ichte Umfrage des European Council on Foreign Relations zeigt.

Realistisc­h ist diese Vogel-Strauß-Taktik aber nicht, wie Hans Kundnani vom Forschungs­institut Chatham House festhält: „Ob die Biden-Regierung es der EU erlaubt, für ihre Sicherheit auf die USA zu vertrauen, während sie sich ihnen in Sachen China und Russland widersetzt“, hänge davon ab, welche Denkrichtu­ng sich in Bidens Team durchsetze­n wird: die bedingungs­losen Pro-Europäer, für die das transatlan­tische Bündnis ein Wert an sich ist, oder die kühlen Verfechter amerikanis­cher Interessen, für die das Verhältnis zu Europa ein Mittel zum Zweck ist.

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