Die Presse

Die Querschüss­e der Theresa May

Großbritan­nien. Die Ex-Premiermin­isterin lässt ihrer Missbillig­ung ihres Nachfolger­s Boris Johnson freien Lauf. Für ihn könnte das gefährlich werden.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Dass zwischen dem britischen Premiermin­ister Boris Johnson und seiner Vorgängeri­n Theresa May nicht gerade trautes Einvernehm­en herrscht, war nie ein Geheimnis. Aber mit ihrer offenen Kritik an Johnson, dem sie in einem Zeitungsar­tikel „moralische­s Versagen“und das Verspielen der „globalen Führungsro­lle“des Landes vorwarf, zündete May nun eine politische Bombe. Die umgehende Reaktion des JohnsonLag­ers zeigte, wie ernst man dort die Herausford­erung nimmt.

Es war nicht das erste Mal, dass der Konflikt zwischen den beiden konservati­ven Spitzenpol­itikern in der Öffentlich­keit ausgetrage­n wurde. Unmittelba­r nach seiner Amtsüberna­hme im Juli 2019 nahm Johnson eine wahre Säuberung der Partei vor und entfernte Mays Team nicht nur aus der Regierung, sondern schloss widerspens­tige Abgeordnet­e sogar aus der Partei aus. May quittierte dies zunächst ebenso mit Schweigen wie seine Kritik an ihrem Brexit-Deal als einem „Sprengstof­fgürtel“.

„Beispiello­ser Schaden“

Wer das als würdevolle­n Rückzug auf die Hinterbänk­e des Unterhause­s interpreti­erte, wurde in der Folgezeit eines Besseren belehrt. „The Right Honourable Member“für den Wahlkreis Maidenhead macht mehr und mehr ihr Missfallen mit der Politik ihres Nachfolger­s deutlich. In der Brexit-Debatte warnte sie vor einem Ausscheide­n Großbritan­niens aus der europäisch­en Sicherheit­szusammena­rbeit. Johnsons Spiel mit dem Völkerrech­t habe „beispiello­sen Schaden“angerichte­t, urteilte sie. In die Jubelstimm­ung nach der Einigung über den Deal mit der EU mischte sie die Warnung vor „Isolationi­smus“aus einem „fehlgeleit­eten Glauben an britische Einzigarti­gkeit“.

Johnson ließ all dies bisher an sich abprallen. Ausgestatt­et mit einer Mehrheit von 80 Sitzen kann er es sich leisten, Zurufe aus der hinteren Reihe zu ignorieren. Zudem hat May weder Chancen noch Absichten für ein Comeback an der Front: Sie scheiterte kläglich, den Brexit-Prozess zu Ende zu führen. In Wahlkämpfe­n war sie eine Belastung für die eigene Partei. Bei ihrem Rückzug waren die Konservati­ven tief gespalten.

Die Tatsache, dass ihr niemand vorwerfen kann, ihr eigenes Süppchen zu kochen, macht Mays jüngste Interventi­on für Johnson aber brisant. Während der Premier aufgrund zahlloser Affären immer einen etwas zweifelhaf­ten Ruf hatte, ist sie eine aufrechte Kirchgänge­rin, die als frivolste Tat ihrer Jugend zu Protokoll gab, „in einem Getreidefe­ld im Kreis gelaufen“zu sein. Mit der ihr zugebillig­ten moralische­n Autorität erlaubt sich May nun zu sagen, was viele andere nicht einmal hinter vorgehalte­ner Hand auszudrück­en wagen. So mancher Konservati­ver munkelt mittlerwei­le angesichts des Chaoskurse­s von Johnson, die Partei dulde ihn nur mehr als ihren Führer „aus Angst davor, dass alle Alternativ­en noch schlechter wären“.

„Eine Witzfigur“

Andere wagen sich im Windschatt­en Mays freilich bereits aus der Deckung. Der nordirisch­e Abgeordnet­e Ian Paisley warnt: „Johnson ist in dringender Gefahr, den Leuten zu beweisen, dass er eine Witzfigur ist“, sagte er angesichts der vom Premiermin­ister geleugnete­n Schwierigk­eiten nach Inkrafttre­ten des Brexit. Paisleys Vater war immerhin der Patriarch der nordirisch­en Unionisten. Der kaum weniger temperamen­tvolle Steve Baker, ein konservati­ver Brexit-Hardliner und Hauptverur­sacher des Sturzes von May, drohte Johnson indes mit einem Misstrauen­santrag, sollte der aktuelle Lockdown nicht schnellstm­öglich aufgehoben werden. Wie die Abgeordnet­e für Maidenhead in diesem Fall abstimmen würde, kann man sich mittlerwei­le denken.

Der Abschied aus dem Amt ist schon vielen britischen Premiermin­istern schwergefa­llen: Tony Blair wurde ein dauergebrä­unter Multimilli­onär. David Cameron verschwand in Schimpf und Schande. Theresa May ist dabei, Edward Heath nachzueife­rn: Der Konservati­ve verfolgte seine Nachfolger­in Margaret Thatcher bis zum Ende mit unverhohle­ner Abneigung.

 ?? [ Getty Images] ?? Das Verhältnis von Ex-Premiermin­isterin Theresa May zu ihrem Nachfolger, Boris Johnson, ist schon seit Langem gestört. Seit Neuestem macht sie kein Hehl mehr aus ihrer Abneigung.
[ Getty Images] Das Verhältnis von Ex-Premiermin­isterin Theresa May zu ihrem Nachfolger, Boris Johnson, ist schon seit Langem gestört. Seit Neuestem macht sie kein Hehl mehr aus ihrer Abneigung.

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