Als Katholiken wegen ihrer „illiberalen Religion“unerwünscht waren
USA. Joe Biden ist der zweite katholische US-Präsident. Heute ist sein Glaube keine Sensation, aber das war nicht immer so. Eine vergessene Geschichte.
Wien/Washington. Als Joe Biden seinen Amtseid als US-Präsident ablegte, schwor er auf die Bibel, so wie es fast alle seine Vorgänger getan hatten. Die massive antike Heilige Schrift, die seine Frau Jill in beiden Händen hielt, stach jedoch ins Auge. Es ist eine besondere Ausgabe, mit langer Geschichte: Seit 1893 befindet sich dieses Buch im Familienbesitz der Bidens. Und seit einem halben Jahrhundert begleitet es die Karriere Joe Bidens. Auf diese Bibel schwor der Demokrat, als er Senator und Vizepräsident wurde.
Bidens Bibel schmückt ein kunstvolles, keltisches Kreuz. Der irischstämmige Präsident ist praktizierender Katholik – und nach John F. Kennedy erst der zweite katholische Staatschef der US-Geschichte. Der Glaube ist wichtiger Bestandteil von Bidens Leben, das von Verlusten und Tragödien gezeichnet ist. So wählte der Demokrat denn auch als Redner seiner Amtseinführung seinen Seelsorger und Freund: Der jesuitische Pater Leo O’Donovan sprach über Liebe und Werte. Der 87-jährige Ex-Präsident der elitären Georgetown-University sagte, man müsse Fehler der Vergangenheit anerkennen, bei Rassismus und Gleichberechtigung.
Fünfte Kolonne und zu viele Kinder
Die Worte bezogen sich freilich auf die unmittelbare Gegenwart. Aber vielleicht nicht nur: Bidens Katholizismus mag heutzutage höchstens eine interessante biografische Zusatzinformation sein, nicht mehr. Doch vor einigen Jahrzehnten noch war ein katholischer US-Präsident eine Sensation, vor nicht einmal einem Jahrhundert undenkbar. Dass Katholiken über Jahrhunderte diskriminiert und unerwünscht waren, haben nicht nur in den USA viele vergessen.
Schon die ersten puritanischen Siedler grenzten Katholiken aus – zeitweise verbannten sie diese aus den Kolonien. Der Hass und das Misstrauen gegenüber den Anhängern der „Hure von Babylon“(Papst) war groß, viele Siedler hatten religiöse Kriege und Verfolgung in Europa hinter sich gelassen. Wenig änderte sich nach der Gründung einer säkularen Republik: Über Jahrhunderte hinweg beargwöhnten nicht nur Puritaner und Baptisten, sondern auch die laizistischen Eliten Katholiken: Sie galten als verräterische „fünfte Kolonne“, als unzuverlässige Befehlsempfänger des Vatikans. „Papisten“seien nicht in liberale, demokratische Gesellschaften integrierbar – das verhindere die politische Prägung ihrer Religion, die strikte Hierarchie der Kirche mit einem autoritären Oberhaupt (dem Papst).
Angst vor „Unterwanderung“
Einen Höhepunkt erreichten die Vorurteile während der Massen-Migrationswelle 1840 bis 1924, als mehr als 30 Millionen europäische Einwanderer in die USA kamen – viele davon verarmte, ungebildete Katholiken aus Irland, Polen, Italien, Deutschland oder Österreich. Groß war die Angst vor einer kulturellen „Unterwanderung“– zumal diese Migranten meist viele Kinder hatten und nicht einmal Englisch sprachen. So warnte etwa Lyman Beecher, einflussreicher presbyterianischer Pfarrer: „Sie gefährden unsere Jobs, verbreiten Krankheiten, sind kriminell und planen einen Coup, um den Papst an die Macht zu bringen.“
Bücher und Pamphlete schilderten grauenvolle Geschichten über Kindermorde und sexuelle Versklavung in Klöstern und Kirchen. Besonders groß war der Widerstand gegen katholische Schulen, befürchtet wurde die Schaffung von Parallelgesellschaften. Die Spannungen eskalierten in Gewalt, Klöster und Kirchen wurden niedergebrannt, Katholiken angegriffen und ermordet. Die antikatholische „Know Nothing Party“kontrollierte in den 1850er-Jahren mehrere Kongresssitze und stellte sogar einen Präsidentschaftskandidaten auf. Der Ku-Klux-Klan, der Anfang des 20. Jahrhunderts an Einfluss gewann, schürte Ressentiments.
Doch auch dank ihrer demografischen Übermacht in den Metropolen der Ostküste gewannen die Katholiken an politischem Einfluss: 1918 wurde der von irischen Einwanderern abstammende Demokrat Al Smith Gouverneur von New York. Doch den Sprung ins Weiße Haus schaffte er 1928 nicht: Vorwürfe, er würde mehr auf den Papst in Rom als auf die US-Verfassung hören, trugen zu seiner Niederlage bei.
Es mussten Jahrzehnte – und ein weiterer Weltkrieg – vergehen, bis ein Katholik US-Präsident wurde: 1961 zog der US-Ire John F. Kennedy ins Weiße Haus ein. Vorbehalte gegen Katholiken waren nahezu vergessen, wohl auch wegen des Zweiten Weltkriegs, in dem Amerikaner unterschiedlicher Religionen Seite an Seite gekämpft hatten. Trotzdem musste Kennedy auch damals noch versichern: „Ich bin nicht der katholische Präsidentschaftskandidat. Ich bin demokratischer Kandidat, der katholisch ist.“
Der JFK-Mythos hat die letzten Vorurteile gelöscht, Katholiken sind fest in der Gesellschaft verankert. Vergessen die Zeit, als sie als Parias galten – als nicht integrierbare Migranten: „Es ist erstaunlich, wie alles unter den Teppich gewischt wurde“, schreibt der Historiker Kenneth Davis. „Es ist, als ob mit JFK der Vergangenheit verziehen wurde.“