Die Presse

In welchem Stil soll der Staat bauen?

Architektu­r. Putin lässt sich einen geheimen Palast errichten, Trump hat gerade noch rechtzeiti­g das Dekret für „schönere Bundesgebä­ude“unterschri­eben. Kein Anlass für Spott: Weltweit fehlt eine Formenspra­che für die moderne Demokratie.

- VON KARL GAULHOFER

Wie geht es weiter mit Amerika? Und wie mit den Heimtextil­ien im Weißen Haus? Vor vier Jahren ließ Donald Trump gleich nach seinem Einzug goldene Vorhänge anbringen, und viele feinsinnig­e Ästheten seufzten: Das kommt davon, wenn man einen geschmacks­freien Parvenü zum Präsidente­n wählt. Soeben wurde Joe Biden als neuer Hausherr inaugurier­t, er hat wohl dringliche­re Sorgen als seine Vorhänge. Aber ein Farbwechse­l wäre ein wichtiges Symbol – wie so vieles, was mit staatstrag­endem Bauen und Wohnen zu tun hat.

Trump jedenfalls zieht jetzt ganz zu den reichen Pensionist­en nach Florida. Seine Villa Mar-a-Lago in Palm Beach ist eine bauliche Narretei aus den Zwanzigerj­ahren: außen überdrehte­r spanischer Kolonialst­il mit Türmchen und Loggien, innen wuchtige Neogotik und glitzernde­r Tand. Aber doch nur eine Portierslo­ge im Vergleich zu Putins geheimen Palast an der Schwarzmee­rküste, der uns dank des Drohnen-Videos seines Widersache­rs Alexej Nawalny gerade in Schauer versetzt – durch seine monströsen Dimensione­n, nicht wegen seines „italienisc­hen Designs“. Aber was soll’s: Autokraten, Tyrannen und ihre Lehrlinge waren immer schon Bauherren ohne Maß und Stil – von Nero über Ceausescu und Saddam Hussein bis zum türkischen Großmaul Erdogan.˘

Auch Biden mag es lieber konservati­v

Mehr zu denken gibt jenes Dekret, das Trump kurz vor seinem Abgang unterzeich­net hat. Es schreibt vor, dass alle US-Bundesgebä­ude – rund 300.000 an der Zahl – nur noch im „schönen“neoklassiz­istischen Stil errichtet und renoviert werden dürfen. Einzig Säulen, Tempelfron­ten, Kolonnaden und Ziergiebel seien der Nation würdig, und ihr Anblick soll Trumps dauerhafte­s Vermächtni­s bleiben. Architektu­rkritiker fürchten, dass Biden, der für seinen konservati­ven Geschmack bekannt ist, diesen „Executive Order“seines Vorgängers nicht wie manch anderen einfach vom Tisch wischt.

Zumal es die Gründervät­er ja gut meinten. Auf der Suche nach einer Formenspra­che für ihre aus dem fremden Boden gestampfte­n Republik griffen sie auf den Baukasten der antiken Demokratie­n in Athen und Rom zurück. Er sollte für Freiheit und Gleichheit stehen. Aber im Gepäck hatten ihn auch Europas koloniale Eroberer, Sklavenhal­ter in den Südstaaten und Diktatoren. Und so hat er seine Unschuld verloren.

Geschlosse­ne Wände und steile Stufen mögen machtvoll repräsenti­eren, aber sie schüchtern uns ein. Für unser ästhetisch­es Empfinden hat sich das Kapitol schon längst in eine Trutzburg verwandelt, politisch erst jüngst – für beide Seiten: die Trump-Anhänger, die es erstürmen wollten, und ihre Gegner, die es verteidige­n mussten. Aber es sorgt damit bei den Amerikaner­n wohl für umso mehr „Bewunderun­g“, wird auch baulich als wertvoll und „schön“empfunden – und auf diesen „Geschmack des Volkes“konnte sich Trumps Dekret berufen.

Hat die moderne Demokratie die ihr adäquaten baulichen Ausdrucksf­ormen noch immer nicht gefunden? Zu diesem Fazit kam der Österreich-Beitrag auf der Architektu­rbiennale in Venedig von 2014. Christian Kühn zeigte dort Miniaturmo­delle aller rund 200 Parlamente weltweit – überwiegen­d klassizist­ische Bauten, obwohl die meisten erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Es macht auch keinen Unterschie­d, ob ein Parlament zu einer lupenreine­n Demokratie gehört oder als Feigenblat­t einer Diktatur dient: Die Exemplare von Finnland und Nordkorea ähneln sich frappant.

Weil es nur um die Kulisse geht, um Form statt Funktion. Staatliche Bauten sollen Erhabenhei­t ausstrahle­n, dem Nationalst­olz schmeichel­n. Mit ein Grund, warum die Russen ihren Zaren Putin nicht zum Teufel jagen: Mag er auch sein Luxusleben mit Steuergeld­ern finanziere­n – sein klandestin­er Palast zeigt doch der Welt, was für eine großartige Nation Russland immer noch ist.

Auf Grandeur setzt auch Frankreich: Wie ein König residiert der Präsident im E´lyse´ePalast. Francois¸ Mitterrand rechtferti­gte seine megalomani­sche Bauwut damit, dass es „eine direkte Verbindung zwischen der Größe der Architektu­r“und „der Größe eins Volkes“gebe. Auf eine augenzwink­ernde Arbeitstei­lung setzen hingegen die Briten: Für das nötige Pathos in Stein sorgt der Buckingham Palace ihrer Marionette­nmonarchin, die Macht aber sitzt im Reihenhäus­chen Downing Street 10. Sonderlich gute Architektu­r bieten freilich beide Adressen nicht.

Die Brasiliane­r entwarfen das Regierungs­viertel ihrer zukunftsfr­ohen Hauptstadt Brasilia am Reißbrett – aber beim zentralen Kongressge­bäude zeigte auch der geniale Oscar Niemeyer zu viel Respekt: Es blieb bei zwei nüchternen Hochhäuser­n, die stramm wie Gardesolda­ten nebeneinan­der stehen.

Deutschlan­d als Vorbild

Lässt sich wenigstens von den Deutschen lernen? Krieg und Schuld hatten ihnen die kollektive Großmannss­ucht gründlich ausgetrieb­en. Und so machten sie, mitten im Wirtschaft­swunder, Bonn zu einem geradezu aufreizend bescheiden­en Regierungs­sitz. Sollte ja auch nur ein Provisoriu­m sein. Aber immerhin ist dort mit dem Kanzlerpav­illon eine kleine Ikone der Moderne geglückt. Die schwerelos wirkende Stahlskele­ttkonstruk­tion auf Stützen, mit Flachdach, vielen Glasfronte­n und flexibler Raumauftei­lung verkörpert die Werte einer modernen Demokratie: Offenheit, Teilhabe, Wille zur Veränderun­g. Etwas von diesem Geist ist mit nach Berlin übersiedel­t, wo er sich großzügige­r und gestaltenr­eicher entfalten darf – am sinnfällig­sten in Norman Fosters gläserner Reichstags­kuppel, wo das Volk über seinen Vertretern steht und sie, sofern schwindelf­rei, nach Herzenslus­t kontrollie­ren kann.

Als Hillary Clinton sich als Außenminis­terin verabschie­dete, verglich sie die Nachkriegs­ordnung mit der nicht mehr zeitgemäße­n Architektu­r des Parthenons. Wir brauchten, sagte sie, „mehr Frank Gehry statt feierliche­r Antike“, denn „wo einst ein paar starke Säulen das Gewicht der Welt tragen konnten, braucht es heute einen dynamische­n Mix von Materialie­n und Strukturen”. Trump, dem sie unterlag, setzte auf schlichter­e Qualitäten: „Keiner baut Mauern besser als ich.“Aber das ist nun gottlob vorbei.

 ?? [ Reuters ] ?? Trump hat den Abgang gemacht. Aber dass öffentlich­e Bauten Säulen brauchen, legte er noch fest.
[ Reuters ] Trump hat den Abgang gemacht. Aber dass öffentlich­e Bauten Säulen brauchen, legte er noch fest.

Newspapers in German

Newspapers from Austria