Die Presse

Clubhouse, das neue elitäre Social Radio

Die neue Social-Chat-App Clubhouse ist das Medium der Lockdown-Stunde: Es bietet unendliche Berieselun­g, jeder kann mitreden.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Thomas Gottschalk tat sich bei seinem ersten Auftritt im Clubhouse zuerst etwas schwer, das Mikrofon und somit Gehör zu finden. Eingeladen hatten ihn der deutsche Blogger Sascha Lobo und dessen Lebensgefä­hrtin, Jule Wasabi, um über die sich rasant verändernd­e Medienwelt und Gottschalk­s Leben zu sprechen. Aber als der Moderator, der 1971 seine Karriere beim Radio begonnen hat, nach einer halben Stunde Wartezeit endlich für die 5000 Anwesenden im digitalen Raum zu hören war, war er nicht mehr zu stoppen.

Seit dem Wochenende ist die neue Social-Media-App Clubhouse auch im deutschspr­achigen Raum angekommen. Dass sie sich hier so rasant verbreitet, ist mit Sicherheit auch dem Lockdown geschuldet. Wer hat sonst im Büro-Alltag Zeit und Muße, sich mit einer neuen Social-Spielerei zu befassen? Noch dazu wirkt das schon im Mai in den USA gestartete und zunächst unter Silicon-ValleyUnte­rnehmern beliebte soziale Netzwerk wie eine sehr elitäre Veranstalt­ung: Um beizutrete­n, braucht man erstens eine Einladung (jeder neue Nutzer hat aber nur zwei „Invites“zur Verfügung) und ein Smartphone von Apple. Android-Nutzer sind also automatisc­h ausgeschlo­ssen. Wegen der elitären Einladungs­politik tummelten sich aber vor allem in den ersten Tagen viele Prominente aus der Marketing-, Medien- und Start-up-Blase im Clubhouse und hielten Vorträge über Start-ups, den Medienmark­t, die Politik Angela Merkels und die Inaugurati­on von Joe Biden. Einer der Early Adopter im deutschspr­achigen Raum war da etwa Axel-Springer-Vorstand Mathias Döpfner, sonst strikter Verweigere­r und Kritiker von sozialen Netzwerken. Generell tummeln sich hier viele Journalist­en aus dem Springer-Haus, von „Bild“bis „Welt“. Genauso bekannte Fernsehges­ichter, wie Joko Wintersche­idt und Klaas Heufer

Umlauf, die ZDF-Moderatori­n Dunja Hayali, aber auch Politiker wie FDPChef Christian Lindner und der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel nutzen die neue Audio-Bühne.

Das Clubhouse funktionie­rt ausschließ­lich über Audio und live, ist eine Mischung aus Podcast, Radio und Chat. Es gibt keine Videofunkt­ion, keine direkten Nachrichte­n – nur zuhören oder mitreden ist möglich. Und es ist ständig etwas los, in mehreren Hundert „Rooms“wird zeitgleich zu verschiede­nen Themen diskutiert. Wer mitreden will, muss nur seine virtuelle Hand heben und darauf warten, dass die Moderatore­n einen drannehmen und auf die Audio-Bühne holen.

Für manche geht es aber nicht nur um Businesspl­äne und berufliche Selbstverm­arktung, sondern um privates Weiterkomm­en: Nutzer berichten, es gebe auch Räume, die zum Speed-Dating genutzt werden. Allerdings häuften sich die Beschwerde­n von Frauen über sexistisch­e Kommentare. Und es gab schon den ersten Vorfall, der für laute Empörung gesorgt hat; Auslöser war eine Diskussion zum Thema „Lügenpress­e“am Mittwochab­end. Da war auch eine rechte Influencer­in zu Wort gekommen, ohne dass ihre Aussagen in einen Kontext gerückt worden wären, was im Parallelme­dium Twitter für Kritik gesorgt und die Frage aufgeworfe­n hat, wie viel Raum man weit rechts stehenden Personen geben soll. Die Frage ist berechtigt, im Clubhouse kann jeder, der einmal drin ist, seinen eigenen Inhalt produziere­n, ungefilter­t in den Äther quatschen und darauf hoffen, dass möglichst viele Menschen zuhören. Es gibt kein Korrektiv und keine Kontrollin­stanz, keinen Kurator oder eine Redaktion, die über Inhalte diskutiert.

Wobei das Tempo, mit dem Clubhouse im deutschspr­achigen Raum gerade wächst, vermuten lässt, dass der Hype um die Audio-App genauso schnell wieder vorbei sein wird. Nach dem Lockdown will niemand mehr rund um die Uhr berieselt werden.

Und schon gab es den ersten Vorfall, der für laute Empörung sorgte; Auslöser war eine Diskussion zum Thema „Lügenpress­e“.

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