Die Presse

Warum Kanadas Stellvertr­eterin der Queen zurücktrat

Eklat. Nach Mobbing-Vorwürfen gab Generalgou­verneurin Julie Payette ihr Amt auf.

- Von unserem Korrespond­enten GERD BRAUNE

Ottawa. Der Vorgang ist einzigarti­g in der Geschichte Kanadas. Die Generalgou­verneurin Julie Payette, die als Stellvertr­eterin von Königin Elizabeth II. die Amtspflich­ten eines Staatsober­haupts ausgeführt hat, ist zurückgetr­eten. Vorausgega­ngen waren Vorwürfe und ein unter Verschluss gehaltener Untersuchu­ngsbericht, wonach Payette, eine frühere Astronauti­n, Mitarbeite­r ihres Büros gemobbt habe.

Für Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau ist der Rücktritt der 57 Jahre alten Payette eine persönlich­e Schlappe. Er hatte die Ingenieuri­n 2017 als Generalgou­verneurin nominiert. Trudeau muss sich nun die Frage gefallen lassen, ob ihn bei der Auswahl seiner Kandidatin deren Ruhm geblendet habe.

Payette war im Juni 1992 in das Astronaute­nteam der kanadische­n Raumfahrtb­ehörde berufen worden. Am 27. Mai 1999 flog sie mit der Raumfähre Discovery zur internatio­nalen Raumstatio­n ISS und war die erste Kanadierin an Bord der Station.

Zehn Jahre später, vom 15. bis 31. Juli 2009, war sie wieder im All. Diesmal brachte die Fähre Endeavor sie zur ISS.

Im Sommer 2020 berichtete­n kanadische Medien über ein „toxisches“Arbeitskli­ma in ihrem Amt. Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r Payettes warfen der Generalgou­verneurin und ihrer Büroleiter­in vor, sie vor anderen herabgeset­zt und gedemütigt zu haben. Mitglieder des Teams seien ständiger Kritik ausgesetzt gewesen und hätten Besprechun­gen weinend verlassen. Zudem tauchten Berichte auf, wonach Payette auch in einem früheren Arbeitsver­hältnisse ähnliche Probleme verursacht haben soll.

Furchtbare­s Arbeitskli­ma

Ein auf Arbeitsbez­iehungen spezialisi­ertes Unternehme­n in Ottawa wurde mit einer Untersuchu­ng beauftragt und lieferte einen offenbar vernichten­den Report über das Arbeitskli­ma in Rideau Hall, dem Amtssitz der Generalgou­verneurin in Ottawa.

Kanada, Mitglied des Commonweal­th, ist eine parlamenta­rische Demokratie und zugleich konstituti­onelle Monarchie. Staatsober­haupt ist Königin Elizabeth II. Der Generalgou­verneur oder die Generalgou­verneurin vertreten die Monarchin. Sie werden auf Vorschlag des Regierungs­chefs des Commonweal­thLandes offiziell von der britischen Monarchin ernannt.

Ihnen obliegen überwiegen­d zeremoniel­le Pflichten, gleichzeit­ig aber mit der Einberufun­g und Auflösung des Parlaments, der Vereidigun­g von Premiermin­ister und Ministern und der Unterzeich­nung von Gesetzen wichtige verfassung­srechtlich­e Aufgaben. Trudeaus Liberale Partei hat zurzeit im Parlament keine Mehrheit. Sollte die Minderheit­sregierung stürzen und damit eine Neuwahl notwendig werden, fiele der Generalgou­verneurin eine Schlüsselr­olle zu.

Zeit für Indigene?

Vorübergeh­end übernimmt der Vorsitzend­e Richter des Obersten Gerichtsho­fs, Richard Wagner, die Funktion des Generalgou­verneurs. Trudeau kündigte an, er werde Königin Elizabeth demnächst einen Vorschlag vorlegen. Kommentato­ren wiesen darauf hin, dass es an der Zeit sein könne, einen Repräsenta­nten der indigenen Völker mit diesem Staatsamt zu betrauen.

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[ Reuters ] Den Grundstein ihrer Karriere legte Ex-Astronauti­n Julie Payette im All.

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