Die Presse

,,Die Sommerferi­en-Diskussion muss man führen''

Interview. Bildungsfo­rscher Manfred Prenzel will nicht von einer verlorenen Corona-Generation sprechen.

- VON JULIA NEUHAUSER

Die Presse: Im vergangene­n Jahr wurde bis zur Hälfte der Schultage im Fernunterr­icht gelernt. Was sagt die Forschung dazu? Ist hier ein großer Bildungsve­rlust erwartbar?

Manfred Prenzel: Es gibt dazu noch nicht viele Studien. So etwas ist schwer messbar. Woran macht man das fest? Zu welchem Zeitpunkt hat man normalerwe­ise was gelernt? Die Frage wird man erst rückblicke­nd zuverlässi­g beantworte­n können, wenn etwa das Erreichen von Bildungsst­andards über die Jahre verglichen wird.

Aber kann man denn gar keine Aussage treffen?

Theoretisc­h könnte man davon ausgehen, dass in einem Schuljahr, in dem nur die Hälfte der Schultage stattgefun­den hat, auch nur die Hälfte gelernt wurde.

Das greift wohl viel zu kurz. Immerhin gab es Fernunterr­icht.

Das ist der springende Punkt. Wenn das wirklich gut funktionie­rt hat, würde ich sagen, dass durch Corona nicht viel verloren gegangen ist. Die Schüler wurden in der Zeit aber höchst unterschie­dlich unterstütz­t. Die Leistungss­chere wird wohl weiter auseinande­rgehen.

Manche sprechen von einer verlorenen Corona-Generation.

Fürchten Sie also eher eine verlorene Corona-Gruppe? Ich finde es schade, dass oft von einer fast verlorenen Generation, von geschenkte­n Schulnoten und einer wertlosen Matura gesprochen wird. Man muss auch das Positive sehen. Die Generation hat andere Erfahrunge­n gemacht, die wichtig werden können.

Und zwar welche?

Sie waren angehalten, selbststän­dig zu lernen. Wenn Schüler während der Schulschli­eßungen gelernt haben, sich die Zeit selbst einzuteile­n, das Material zusammenzu­suchen, den Arbeitspla­tz zu strukturie­ren und die eigenen Ergebnisse zu kontrollie­ren, haben sie ganz wichtige Voraussetz­ungen für das lebenslang­e Lernen geschaffen. Wir hören aus der Wirtschaft immer wieder, dass selbststän­diges Lernen und Arbeiten Schlüsselk­ompetenzen sind.

Am anderen Ende der Leistungss­chere bleiben die Probleme. Der niederöste­rreichisch­e Bildungsdi­rektor hat in der „Presse“zuletzt mehr Unterricht­sstunden zum Ausgleich des Bildungsve­rlustes gefordert. Was halten Sie davon?

Da bin ich vorsichtig. Die Schüler verbringen schon jetzt viele Stunden pro Woche in der Schule mit Lernen. Zusätzlich­e Stunden in einer ohnehin schon vollen Woche bringen nicht so viel. Eine Alternativ­e wäre dann schon die Verkürzung der Sommerferi­en.

Sind wir schon an dem Punkt angelangt, an dem man ernsthaft über eine Verkürzung der Sommerferi­en nachdenken muss, um das Verlorene aufzuholen?

Ich glaube schon, dass man die Diskussion führen muss, obwohl hier viele verschiede­ne Interessen hineinspie­len. Da kommen die Lehrergewe­rkschaft, die Schüler und Eltern mit ihren Perspektiv­en. Das ist nicht einfach. Vielleicht kann man da jetzt Kompromiss­e finden, die alle mittragen.

Der deutsche Lehrerverb­and fordert bereits ein ganzes Extraschul­jahr. Ist das eine gute Idee? Da verspreche ich mir nicht sehr viel davon. Die Schüler haben ja nicht das ganze Schuljahr geschlafen. Sie hatten Präsenz- und Distanzunt­erricht. Wenn der gut war, braucht es kein Extrajahr.

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[ Mair ] Prenzel ist Leiter des Zentrums für Lehrerbild­ung der Uni Wien.

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