,,Die Sommerferien-Diskussion muss man führen''
Interview. Bildungsforscher Manfred Prenzel will nicht von einer verlorenen Corona-Generation sprechen.
Die Presse: Im vergangenen Jahr wurde bis zur Hälfte der Schultage im Fernunterricht gelernt. Was sagt die Forschung dazu? Ist hier ein großer Bildungsverlust erwartbar?
Manfred Prenzel: Es gibt dazu noch nicht viele Studien. So etwas ist schwer messbar. Woran macht man das fest? Zu welchem Zeitpunkt hat man normalerweise was gelernt? Die Frage wird man erst rückblickend zuverlässig beantworten können, wenn etwa das Erreichen von Bildungsstandards über die Jahre verglichen wird.
Aber kann man denn gar keine Aussage treffen?
Theoretisch könnte man davon ausgehen, dass in einem Schuljahr, in dem nur die Hälfte der Schultage stattgefunden hat, auch nur die Hälfte gelernt wurde.
Das greift wohl viel zu kurz. Immerhin gab es Fernunterricht.
Das ist der springende Punkt. Wenn das wirklich gut funktioniert hat, würde ich sagen, dass durch Corona nicht viel verloren gegangen ist. Die Schüler wurden in der Zeit aber höchst unterschiedlich unterstützt. Die Leistungsschere wird wohl weiter auseinandergehen.
Manche sprechen von einer verlorenen Corona-Generation.
Fürchten Sie also eher eine verlorene Corona-Gruppe? Ich finde es schade, dass oft von einer fast verlorenen Generation, von geschenkten Schulnoten und einer wertlosen Matura gesprochen wird. Man muss auch das Positive sehen. Die Generation hat andere Erfahrungen gemacht, die wichtig werden können.
Und zwar welche?
Sie waren angehalten, selbstständig zu lernen. Wenn Schüler während der Schulschließungen gelernt haben, sich die Zeit selbst einzuteilen, das Material zusammenzusuchen, den Arbeitsplatz zu strukturieren und die eigenen Ergebnisse zu kontrollieren, haben sie ganz wichtige Voraussetzungen für das lebenslange Lernen geschaffen. Wir hören aus der Wirtschaft immer wieder, dass selbstständiges Lernen und Arbeiten Schlüsselkompetenzen sind.
Am anderen Ende der Leistungsschere bleiben die Probleme. Der niederösterreichische Bildungsdirektor hat in der „Presse“zuletzt mehr Unterrichtsstunden zum Ausgleich des Bildungsverlustes gefordert. Was halten Sie davon?
Da bin ich vorsichtig. Die Schüler verbringen schon jetzt viele Stunden pro Woche in der Schule mit Lernen. Zusätzliche Stunden in einer ohnehin schon vollen Woche bringen nicht so viel. Eine Alternative wäre dann schon die Verkürzung der Sommerferien.
Sind wir schon an dem Punkt angelangt, an dem man ernsthaft über eine Verkürzung der Sommerferien nachdenken muss, um das Verlorene aufzuholen?
Ich glaube schon, dass man die Diskussion führen muss, obwohl hier viele verschiedene Interessen hineinspielen. Da kommen die Lehrergewerkschaft, die Schüler und Eltern mit ihren Perspektiven. Das ist nicht einfach. Vielleicht kann man da jetzt Kompromisse finden, die alle mittragen.
Der deutsche Lehrerverband fordert bereits ein ganzes Extraschuljahr. Ist das eine gute Idee? Da verspreche ich mir nicht sehr viel davon. Die Schüler haben ja nicht das ganze Schuljahr geschlafen. Sie hatten Präsenz- und Distanzunterricht. Wenn der gut war, braucht es kein Extrajahr.