Die Presse

Kickls Sager – wissenscha­ftlich eingeordne­t

Faktenchec­k. Die Videoplatt­form YouTube löschte einen Beitrag von Herbert Kickl: Der FPÖ-Klubchef habe darin Falschinfo­rmationen verbreitet. Auch bei „Im Zentrum“sorgte er für Widerspruc­h. Wie schätzen Experten seine Aussagen ein?

- VON IRIS BONAVIDA

Wien. Die Mediathek des österreich­ischen Parlaments hat vielleicht nicht so viele Zugriffe wie die Videoplatt­form YouTube, dafür erfüllt sie aber ihre Archivfunk­tion. Herbert Kickls Rede im Nationalra­t lässt sich dort nachsehen. YouTube hingegen hat ein Video davon entfernt: Der Beitrag des FPÖKlubche­fs würde gegen die Richtlinie­n gegen die Verbreitun­g von Falschinfo­rmationen über Corona verstoßen. Aber auch in der ORFSendung „Im Zentrum“hat Kickl mit seinen Aussagen über die Pandemie für heftigen Widerspruc­h gesorgt. Abseits von politische­n Debatten: Wie sind Kickls Aussagen epidemiolo­gisch zu bewerten? „Die Presse“hat um eine wissenscha­ftliche Einschätzu­ng gebeten.

1 Kickl sagt, PCR-Tests sind für ihren jetzigen Gebrauch ungeeignet.

„Die erste Lüge betrifft die sogenannte Diagnose“, sagt Kickl. „Wir wissen, dass der PCR-Test dafür nicht geeignet ist, wofür er zum Einsatz gebracht wird.“Und: „Damit kommen Sie auf Infektions­zahlen, die dann in der Öffentlich­keit so dargestell­t werden, als würde es sich um Krankheits­fälle handeln.“Er kommentier­t auch „die angebliche Übertragun­g durch Asymptomat­ische“. „Es gibt genügend Studien, die das widerlegen.“

Und was sagt die Expertin dazu? „Sein Argument baut einerseits auf der Aussage auf, dass PCR-Tests auch Asymptomat­ische identifizi­eren – das stimmt. Und anderersei­ts, dass asymptomat­ische Infizierte die Krankheit nicht auf andere übertragen können.

Das stimmt nicht“, sagt Eva Schernhamm­er, Leiterin der Abteilung für Epidemiolo­gie der MedUni Wien. Asymptomat­ische seien zwar „mit einiger Wahrschein­lichkeit nicht gleich infektiös wie Menschen mit Symptomen.“Aber: „Es gibt Studien, die zeigen deutlich, dass Asymptomat­ische durchaus zum Infektions­geschehen beitragen.“Zum Beispiel eine Studie der Oxford University, die im Juli 2020 auch online publiziert wurde.

PCR-Tests kommen aber ohnehin nicht bei „Screenings“der breiten Bevölkerun­g zum Einsatz. Sondern zur Diagnose bei Menschen mit Symptomen. Die Tests zeigen an, ob man infiziert ist: Sie schlagen in einem Zeitraum von rund 25 Tagen positiv aus. So lang, bis der CT-Wert über 30 liegt – dieser Wert zeigt die Viruslast an. Auch der Virologe Christoph Steininger von der Med-Uni Wien betont: „Diagnostis­che Tests verwendet man, um Infektione­n nachzuweis­en. Wenn jemand eine Infektion mit Sars-CoV-2 hat, warum sollte das dann schlecht sein, wenn man das erkennt?“

2 Kickl sagt, Antigentes­ts finden de facto keine Infizierte­n.

Zu den Antigen-Schnelltes­ts, die bei Massentest­s verwendet werden, sagt Kickl: „Der Test findet de facto keine Infizierte­n. Und wenn er einen positiv Infizierte­n findet, dann ist die Fehlerwahr­scheinlich­keit mehr als 70 Prozent.“

Schernhamm­er erklärt: „Auch das ist ein Mythos.“Die Sensitivit­ät der Schnelltes­ts (sie gibt an, wie viele Positive tatsächlic­h als Positive erkannt werden) sei mit bis zu 94 Prozent „sehr gut“. Der PCRTest sei darauf ausgericht­et, infizierte Menschen (die das Virus in sich tragen) zu erkennen. Der Schnelltes­t soll infektiöse Menschen finden (Menschen, die andere Menschen anstecken können). „Er misst Virenparti­kel in den vier bis fünf Tagen nach, an denen ein Infizierte­r andere anstecken kann.“Die Schnelltes­ts haben auch eine hohe Spezifizit­ät: Wer negativ getestet ist, ist mit einer Wahrschein­lichkeit von mehr als 99 Prozent tatsächlic­h negativ. Diese Berechnung berücksich­tige aber nicht Fehler bei der Probeentna­hme, die vorkommen können.

3 Kickl sagt, es ist nicht nachgewies­en, dass die Impfung wirkt.

Kickl sagt im Nationalra­t: „Die Produzente­n der Impfstoffe sagen selbst: Das kann zum Schutz vor Covid-19 beitragen, aber es ist nicht nachgewies­en, dass das für jeden Geimpften wirkt.“Dass die Impfung wirkt, ist laut Schernhamm­er aber sehr wohl nachgewies­en. „Wenn das nicht der Fall wäre, gäbe es keine Zulassung durch die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur EMA.“Die Effektivit­ät der Impfung (sie liege bei 95 Prozent oder niedriger, je nach Imfpstoff ) bedeute nicht, dass alle geschützt werden. Sondern eben 95 Prozent. „Aber das ist vollkommen normal. Der Wert ist auch deutlich höher als etwa bei der Grippe-Impfung.“Experte Steininger sieht bei Kickl „Behauptung­en, die nicht belegt wurden“.

Kickl sagt weiter: „Ich zitiere die EMA: Es ist noch nicht beantworte­t, in welchem Ausmaß geimpfte Menschen das Virus weitergebe­n oder in sich tragen.“

„Ja“, sagt Schernhamm­er. „Aber das wird bald bekannt sein. Diese Daten müssen erst generiert werden. Das geht eben erst seit Kurzem, seitdem die Massenimpf­ungen begonnen haben.“Kickl gehe hier vom Worst-Case-Szenario aus, „das aber auch das Unwahrsche­inlichste ist“.

 ?? [ Martin Juen/picturedes­k.com ] ?? Die Wirkung der Corona-Impfung sei nachgewies­en, sagt die Expertin. FPÖ-Klubchef Herbert Kickl hat im Nationalra­t das Gegenteil behauptet.
[ Martin Juen/picturedes­k.com ] Die Wirkung der Corona-Impfung sei nachgewies­en, sagt die Expertin. FPÖ-Klubchef Herbert Kickl hat im Nationalra­t das Gegenteil behauptet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria