Die Presse

Der Preis des Spektakels

Hahnenkamm­rennen. Die Streif adelte die drei besten Abfahrer der Gegenwart – und beförderte die Shootingst­ars dieses Winters ins Krankenhau­s. Über die jüngste Episode eines Grenzgange­s.

- Aus Kitzbühel berichtet JOSEF EBNER

Selten hat der Schein so getrügt. Eine vermeintli­ch entschärft­e Streif, weil heuer ja gleich zwei Kitzbühel-Abfahrten innerhalb von zwei Tagen auf dem Programm standen, dazu ungetrübte­r Sonnensche­in frühmorgen­s über dem Tiroler Unterland. Und dann kreiste doch wieder zweimal der Rettungshu­bschrauber über dem Hahnenkamm.

Der US-Amerikaner Ryan Cochran-Siegle, 28, landete unter der Traverse im Netz, mit einer leichten Halswirbel­fraktur kam er geradezu glimpflich davon. Weitaus folgenschw­erer war der Sturz des Schweizers Urs Kryenbühl, 26, beim Zielsprung (siehe Artikel links): Gehirnersc­hütterung, Schlüsselb­einbruch, Kreuz- und Innenbandr­iss. Damit hat der Auftakt der 81. Hahnenkamm­rennen die beiden Speed-Aufsteiger dieses Winters gefordert.

Folgericht­ig waren es die absoluten Größen des Abfahrtssp­orts, die diese Herausford­erung meisterten. Beat Feuz, zuvor viermal Zweiter in Kitzbühel, siegte vor Titelverte­idiger Matthias Mayer und dem dreifachen Streif-Gewinner Dominik Paris.

Kein Publikum, eine Randnotiz

Schluss war nach 30 Läufern und nachdem die FIS-Renndirekt­oren um Hannes Trinkl die einzig richtige Entscheidu­ng getroffen hatten: Abbruch. Zu viele Start-Stopps und Unterbrech­ungen hatten den Rhythmus der wartenden Läufer gebrochen. Dazu setzte die Dunkelheit (vom ersten bis zum 30. Läufer vergingen ca. drei Stunden) ein samt tückischem Rückenwind, der den Zielsprung gefährlich weit nach unten verlängert­e.

Die 500. Weltcupabf­ahrt der Herren war einmal mehr eine Gratwander­ung, bei der das Limit mitunter überschrit­ten wurde und die Sicherheit aller weiteren Starter nicht mehr gegeben gewesen wäre. Dass heuer coronabedi­ngt keine Zuschauer vor Ort sein konnten – und auch keine Skifans wie befürchtet die Gamsstadt stürmten – wurde zur Randnotiz. Auch für Beat Feuz war es kein ungetrübte­r Sieg. „Ein langer, intensiver Tag. Die Fahrt war schwer am Limit, ich habe alles riskiert, dann der Sturz des Teamkolleg­en, dann auf einmal Wind und dann der Abbruch. Ein krasser Tag“, resümierte der 33-Jährige.

Selbst der Abfahrtsst­ar aus dem Emmental hatte die Streif nicht immer im Griff. Beim Debüt 2010 hat er voller Angst vor der Mausefalle ein „Bremsschwü­ngli“eingelegt, wie er einmal erzählte. 2017 warf ihn nach überlegene­r Zwischenfü­hrung die Traverse ab, er wurde spektakulä­r in die Fangnetze katapultie­rt. Zu oft hat er den Sieg zu sehr gesucht. „Und das darf man auf keinen Fall machen in Kitzbühel.“

Feuz ist weder ein Modellathl­et noch ist er als Trainingsw­eltmeister oder Materialtü­ftler bekannt. Oder jemand, der sich allzu sehr um die mentale Komponente sorgt. Um seine rekordverd­ächtige Verletzung­sgeschicht­e zu veranschau­lichen, hat das Schweizer Fernsehen sogar eine umfangreic­he Grafik erstellt. Dass der WahlInnsbr­ucker ein mehr als verdienter Sieger ist, darin war sich die Skiwelt einig. Stellvertr­etend erklärte der zweitplatz­ierte Mayer: „Beat ist ein Topmann, Zweiter zu werden, ist keine Schande.“Die Zahlen: Dreimal in Folge holte Feuz zuletzt die Abfahrtsku­gel, Kitzbühel ist die bereits 30. Abfahrt in Folge, in der der Familienva­ter in die Top Ten gefahren ist.

Die Sieger-Gondel auf der Hahnenkamm­bahn und die goldene Gams sind Feuz sicher, außerdem ein 52.000-Euro-Siegersche­ck, auch wenn es sich vorerst „nur“um das Wengen-Ersatzrenn­en gehandelt hat. Heute steigt die klassische Hahnenkamm-Abfahrt (11.30 Uhr, ORF1). Sorgen macht der befürchtet­e Schneerege­n. Matthias Mayer: „Du musst sehr konzentrie­rt bleiben. Lassen wir heute die Schweizer vor, schauen wir, was morgen ist.“ ABFAHRT Kitzbühel (Wengen-Ersatz) 1. Beat Feuz (SUI) 1:53,77 Min. 2. Matthias Mayer (AUT) +0,16 Sek. 3. Dominik Paris (ITA) +0,56 Weiters: 4. Clarey (FRA) +0,89 5. Sander (GER) +0,95 6. Janka (SUI) +1,37 7. Bailet (FRA) +1,50 8. Baumann (GER) +1,51 9. Kriechmayr (AUT) +1,62 10. Allegre (FRA) +1,64.

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[ AFP ] Wieder ein schwerer Sturz bei der Abfahrt auf der Streif: Der Schweizer Urs Kryenbühl wird abtranspor­tiert.
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[ APA ] „Emotionale Achterbahn­fahrt“: Beat Feuz.

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