Österreichs lähmender Streit um das grüne Gas
Energie. Landwirte, Energiekonzerne und Gaswirtschaft wollen die Zukunft von erneuerbaren Gasen rasch gesetzlich verankert wissen. Es geht um neue Märkte, alte Netze und milliardenschwere Investitionen. Doch das Ministerium zögert.
Wien. Endlich herrscht hierzulande traute Einigkeit: Der schleichende Abschied von den fossilen Brennstoffen ist fixiert, schon 2040 will die Republik klimaneutral sein. Doch über den besten Weg dorthin gibt es offenbar schwerwiegende Differenzen. Denn es gibt viel zu gewinnen – oder zu verlieren. Bestes Beispiel dafür ist das politische Gezerre rund um die Zukunft von erneuerbarem Gas.
Landwirte, Industrie und die gesamte Gaswirtschaft sehen eine große Zukunft für Biogas aus Gülle und Grünschnitt sowie für erneuerbaren Wasserstoff und wollen diese Vision so bald als möglich gesetzlich verankert wissen. „Grünes Gas muss Teil des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes werden“, fordert darum der BauernbundChef Georg Strasser (ÖVP). Nicht nur Wind- und Solarstromerzeuger brauchten eine Aussicht, unter welchen Bedingungen sie zur Energiewende im Land beitragen dürfen. Auch die Gasbranche steht schon mit einem Paket an grünen Konzepten in den Startlöchern. Doch ihre Forderungen stoßen noch auf wenig Gegenliebe.
Dass Österreich die Energiewende mit Ökostrom allein nicht schaffen wird, ist freilich unbestritten. Heute deckt das Land ein Fünftel seines Energiebedarfs mit fossilem Erdgas aus Norwegen und Russland. Eine Million Haushalte heizen mit Gas. Die Industrie ist ebenso auf den Brennstoff angewiesen wie die Netzbetreiber zur Stabilisierung der Stromnetze. Auch in den Tagen nach dem Beinahe-Blackout waren es vor allem die Gaskraftwerke, die das System gestützt haben. Wenn dafür künftig grünes Gas eingesetzt werden kann, wäre zumindest ein Stück des Wegs schon erledigt.
„Ein wertvolles, knappes Gut“
An der Frage, wie groß dieses Stück sein kann und soll, scheiden sich aktuell die Geister. Die Branche ist überzeugt, dass Österreich zumindest die Hälfte des heutigen Bedarfs aus heimischen erneuerbaren Quellen ersetzen könnte und grünes Gas somit weiterhin (fast) überall zum Einsatz kommen sollte. Im Regierungsprogramm ist die Rede von fünf Terawattstunden grünem Gas in den Netzen bis 2030. Auch das ist immerhin 30 Mal so viel wie heute. Von der Antwort, welche Rolle grünes Gas spielen darf, hängt auch die Zukunft des Gasleitungsnetzes – und seiner Besitzer – ab. Wird die milliardenschwere Infrastruktur weiter genutzt und ausgebaut, oder verschwindet sie in der Versenkung?
Die grüne Klimaschutzministerin, Leonore Gewessler, steht bei dem Thema nicht unbedingt auf dem Gas. Sie zweifelt daran, dass die Potenziale im Land wirklich so gewaltig sind, und vertritt die Ansicht, dass grünes Gas als „wertvolles, knappes Gut“nur da eingesetzt werden sollte, wo es keine Alternativen gibt: in der Industrie und im Schwerverkehr. Vor allem gebe es keinen Grund, sich zu hetzen, heißt es aus dem Ministerium. Die Materie sei komplex und werde selbstverständlich bearbeitet. Im EAG dürfte das Thema vorerst aber kaum Niederschlag finden.
Umweltschützer wittern in den Diskussionen um grünes Gas bereits einen kleinen Skandal und sehen darin den Grund für die Verzögerung des EAG, auf das die Branche schon so lang wartet. „Die Versuche der Gasindustrie, ihre finanziellen Interessen im letzten Moment hineinzulobbyieren, führen nur zu unnötigen Verzögerungen“, sagt Johannes Wahlmüller, Klimaund Energiesprecher von Global 2000. Und sein Kollege Karl Schellmann vom WWF warnt vor „neuen Luftschlössern und Gasleitungen“.
„Grünes Gas aus der Ukraine“
Für den langjährigen ÖVP-Politiker und Branchenexperten Josef Plank verstelle all das nur den Blick auf das Wesentliche: „Ein Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz ohne Gas ist nicht komplett“, sagt er. In vielen Bereichen wie etwa im Verkehr seien die CO2-Reduktionsvorgaben der EU anders gar nicht erreichbar. Um bis 2030 fünf TWh grünes Gas in das Netz zu bringen, brauche es rasch die richtigen Rahmenbedingungen. Die Gaswirtschaft würde am liebsten das Ökostrom-System kopieren und die Mehrkosten über die Netzgebühren an die Konsumenten abwälzen. Die Koalition präferiert jedoch ein Quotensystem, wonach die Lieferanten verpflichtet werden sollen, einen bestimmten Prozentsatz grünes Gas zu verkaufen.
Quoten seien ein guter Weg, so Plank, solang man „das Gesetz so formuliert, dass nicht grünes Gas aus der Ukraine importiert wird“. Für die heimischen Landwirte gehe es nicht primär um den möglichen Gewinn, beteuert Bauernbund-Chef Georg Strasser. Oft sei es für sie nur eine gute Möglichkeit, agrarische Reststoffe noch zu verwerten. Dahinter stünden jedoch auch viele Industrieunternehmen, die gern in diese Form der Kreislaufwirtschaft investieren würden. Die Branche habe aus den Fehlern der ersten Biogas-Generationen gelernt. Eine Teller-vs-TankDebatte wolle niemand mehr führen. Deshalb würden in Österreich auch ausschließlich Reststoffe zur Gewinnung von Biogas eingesetzt.
Damit kann auch das grüne Ministerium etwas anfangen. Das Gesetzespaket zu grünem Gas sei wichtig und werde bald kommen. Nur eben nicht ganz so bald, wie es sich manche erhoffen.