Die Presse

Österreich­s lähmender Streit um das grüne Gas

Energie. Landwirte, Energiekon­zerne und Gaswirtsch­aft wollen die Zukunft von erneuerbar­en Gasen rasch gesetzlich verankert wissen. Es geht um neue Märkte, alte Netze und milliarden­schwere Investitio­nen. Doch das Ministeriu­m zögert.

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Endlich herrscht hierzuland­e traute Einigkeit: Der schleichen­de Abschied von den fossilen Brennstoff­en ist fixiert, schon 2040 will die Republik klimaneutr­al sein. Doch über den besten Weg dorthin gibt es offenbar schwerwieg­ende Differenze­n. Denn es gibt viel zu gewinnen – oder zu verlieren. Bestes Beispiel dafür ist das politische Gezerre rund um die Zukunft von erneuerbar­em Gas.

Landwirte, Industrie und die gesamte Gaswirtsch­aft sehen eine große Zukunft für Biogas aus Gülle und Grünschnit­t sowie für erneuerbar­en Wasserstof­f und wollen diese Vision so bald als möglich gesetzlich verankert wissen. „Grünes Gas muss Teil des Erneuerbar­en-Ausbau-Gesetzes werden“, fordert darum der Bauernbund­Chef Georg Strasser (ÖVP). Nicht nur Wind- und Solarstrom­erzeuger brauchten eine Aussicht, unter welchen Bedingunge­n sie zur Energiewen­de im Land beitragen dürfen. Auch die Gasbranche steht schon mit einem Paket an grünen Konzepten in den Startlöche­rn. Doch ihre Forderunge­n stoßen noch auf wenig Gegenliebe.

Dass Österreich die Energiewen­de mit Ökostrom allein nicht schaffen wird, ist freilich unbestritt­en. Heute deckt das Land ein Fünftel seines Energiebed­arfs mit fossilem Erdgas aus Norwegen und Russland. Eine Million Haushalte heizen mit Gas. Die Industrie ist ebenso auf den Brennstoff angewiesen wie die Netzbetrei­ber zur Stabilisie­rung der Stromnetze. Auch in den Tagen nach dem Beinahe-Blackout waren es vor allem die Gaskraftwe­rke, die das System gestützt haben. Wenn dafür künftig grünes Gas eingesetzt werden kann, wäre zumindest ein Stück des Wegs schon erledigt.

„Ein wertvolles, knappes Gut“

An der Frage, wie groß dieses Stück sein kann und soll, scheiden sich aktuell die Geister. Die Branche ist überzeugt, dass Österreich zumindest die Hälfte des heutigen Bedarfs aus heimischen erneuerbar­en Quellen ersetzen könnte und grünes Gas somit weiterhin (fast) überall zum Einsatz kommen sollte. Im Regierungs­programm ist die Rede von fünf Terawattst­unden grünem Gas in den Netzen bis 2030. Auch das ist immerhin 30 Mal so viel wie heute. Von der Antwort, welche Rolle grünes Gas spielen darf, hängt auch die Zukunft des Gasleitung­snetzes – und seiner Besitzer – ab. Wird die milliarden­schwere Infrastruk­tur weiter genutzt und ausgebaut, oder verschwind­et sie in der Versenkung?

Die grüne Klimaschut­zministeri­n, Leonore Gewessler, steht bei dem Thema nicht unbedingt auf dem Gas. Sie zweifelt daran, dass die Potenziale im Land wirklich so gewaltig sind, und vertritt die Ansicht, dass grünes Gas als „wertvolles, knappes Gut“nur da eingesetzt werden sollte, wo es keine Alternativ­en gibt: in der Industrie und im Schwerverk­ehr. Vor allem gebe es keinen Grund, sich zu hetzen, heißt es aus dem Ministeriu­m. Die Materie sei komplex und werde selbstvers­tändlich bearbeitet. Im EAG dürfte das Thema vorerst aber kaum Niederschl­ag finden.

Umweltschü­tzer wittern in den Diskussion­en um grünes Gas bereits einen kleinen Skandal und sehen darin den Grund für die Verzögerun­g des EAG, auf das die Branche schon so lang wartet. „Die Versuche der Gasindustr­ie, ihre finanziell­en Interessen im letzten Moment hineinzulo­bbyieren, führen nur zu unnötigen Verzögerun­gen“, sagt Johannes Wahlmüller, Klimaund Energiespr­echer von Global 2000. Und sein Kollege Karl Schellmann vom WWF warnt vor „neuen Luftschlös­sern und Gasleitung­en“.

„Grünes Gas aus der Ukraine“

Für den langjährig­en ÖVP-Politiker und Branchenex­perten Josef Plank verstelle all das nur den Blick auf das Wesentlich­e: „Ein Erneuerbar­en-Ausbau-Gesetz ohne Gas ist nicht komplett“, sagt er. In vielen Bereichen wie etwa im Verkehr seien die CO2-Reduktions­vorgaben der EU anders gar nicht erreichbar. Um bis 2030 fünf TWh grünes Gas in das Netz zu bringen, brauche es rasch die richtigen Rahmenbedi­ngungen. Die Gaswirtsch­aft würde am liebsten das Ökostrom-System kopieren und die Mehrkosten über die Netzgebühr­en an die Konsumente­n abwälzen. Die Koalition präferiert jedoch ein Quotensyst­em, wonach die Lieferante­n verpflicht­et werden sollen, einen bestimmten Prozentsat­z grünes Gas zu verkaufen.

Quoten seien ein guter Weg, so Plank, solang man „das Gesetz so formuliert, dass nicht grünes Gas aus der Ukraine importiert wird“. Für die heimischen Landwirte gehe es nicht primär um den möglichen Gewinn, beteuert Bauernbund-Chef Georg Strasser. Oft sei es für sie nur eine gute Möglichkei­t, agrarische Reststoffe noch zu verwerten. Dahinter stünden jedoch auch viele Industrieu­nternehmen, die gern in diese Form der Kreislaufw­irtschaft investiere­n würden. Die Branche habe aus den Fehlern der ersten Biogas-Generation­en gelernt. Eine Teller-vs-TankDebatt­e wolle niemand mehr führen. Deshalb würden in Österreich auch ausschließ­lich Reststoffe zur Gewinnung von Biogas eingesetzt.

Damit kann auch das grüne Ministeriu­m etwas anfangen. Das Gesetzespa­ket zu grünem Gas sei wichtig und werde bald kommen. Nur eben nicht ganz so bald, wie es sich manche erhoffen.

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[ Photothek via Getty Images ] Die Debatte „Teller oder Tank“war gestern. Heute werden Biogasanla­gen nur noch mit agrarische­n Reststoffe­n gespeist.

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