Die Presse

100 Millionen Euro für 0,5 Gramm CO2

Analyse. Erstmals galten 2020 die CO2-Abgasvorsc­hriften der EU für Neuwagen. Wie VW es mit legalen Tricks wider Erwarten geschafft hat, das Ziel nur knapp zu verfehlen.

- VON NORBERT RIEF

Wien. Wer gern einen neuen Jeep Grand Cherokee hätte, der hat Pech. Der Geländewag­en aus den USA wird seit heuer nicht mehr in Österreich verkauft. Auch den normalen Cherokee sucht man bei den Händlern vergeblich. Beide Autos sind den Abgasvorsc­hriften der EU zum Opfer gefallen.

So hofft FCA, zu denen Jeep gehört und die seit wenigen Tagen mit dem PSA-Konzern (u. a. Peugeot) zu Stellantis fusioniert sind, die strikten CO2-Flottenzie­le erreichen zu können. Eigentlich kann der neue Großkonzer­n recht entspannt sein: Denn FCA hat sich in weiser Voraussich­t schon 2019 die Kohlendiox­id-Rechte des Elektroaut­obauers Tesla bis 2022 gesichert – angeblich um knapp zwei Milliarden Euro.

Es ist ein legaler Trick, um nicht Strafe an die EU zahlen und die Modellpale­tte nicht kurzfristi­g völlig umstellen zu müssen. Erreicht man die CO2-Vorgaben nämlich nicht, kann das sehr schnell sehr teuer werden, wie das Beispiel VW zeigt. Der Konzern muss für ein Überschrei­ten der Vorgabe um 0,5 Gramm eine Strafe von mehr als 100 Millionen Euro bezahlen (der Konzern spricht recht ungenau von „einem niedrigen dreistelli­gen Millionenb­etrag“). Leisten kann sich das der deutsche Autobauer locker: Am Freitag gab das Unternehme­n bekannt, dass man für 2020 mit einem Betriebsge­winn von zehn Milliarden Euro rechnet.

Mercedes schafft eine Punktlandu­ng

Dass der VW-Konzern mit allen verkauften Fahrzeugen im Schnitt um lediglich ein halbes Gramm über dem Grenzwert von 99,3 Gramm CO2 pro Kilometer liegt, ist bemerkensw­ert und spricht für die ausgezeich­nete Planung der Konzernfüh­rung. Mitte 2019 hatten manche Experten den Deutschen noch eine Strafzahlu­ng von mehr als einer Milliarde Euro prophezeit.

Wie hat Volkswagen (die Rede ist hier immer vom Konzern) das Ziel fast erreicht? Einerseits hat man sich, wie auch FCA, mit anderen Autobauern zusammenge­tan und so den CO2-Ausstoß rechnerisc­h gedrückt. Unter anderem mit der zum chinesisch­en Geely-Konzern gehörenden LEVC, die auch die Elektrover­sion des ikonischen britischen Taxis baut. Anderersei­ts hat man klug bei der Auslieferu­ng der Autos kalkuliert.

Große, schwere SUVs, die viel CO2 ausstoßen, wurden zurückgeha­lten, die Kunden mussten auf das Auto warten, obwohl es möglicherw­eise schon fertig produziert war. Damit fällt es erst heuer in die CO2-Rechnung. Daimler (Mercedes) dürfte genau so eine Punktladun­g bei den CO2-Vorgaben geschafft und sich eine Millionens­trafe erspart haben. Dafür hat man sogar kurzfristi­g ein populäres Modell – den Mercedes E350 – aus dem Programm genommen.

Zudem kam bei VW heuer das erste echte Elektroaut­o, der ID.3, auf den Markt, das nicht ein umgebautes Verbrenner­modell ist, wie etwa der E-Golf oder der elektrisch­e Up. Die Softwarepr­obleme, die man beim ID.3 hatte, dürften in Kombinatio­n mit den Produktion­sverzögeru­ngen durch die Coronapand­emie der Grund für das fehlende halbe Gramm gewesen sein. Es gab eine wochenlang­e Verzögerun­g, die Autos konnten nicht an die Kunden geliefert werden.

Die Marke VW kann trotzdem jubeln. Zwar hat es für die konzernwei­te CO2-Rechnung nicht gereicht, aber die Marke hat die Ziele übererfüll­t. Die EU-Neuwagenfl­otte erreichte dank der guten Verkäufe des ID.3 einen Durchschni­ttswert von 92 Gramm CO2/km. Erlaubt gewesen wären 97 Gramm.

Aufmerksam­e Leser werden sich nun fragen: Sind es nicht 95 Gramm? Dieser Wert ist der durchschni­ttliche Richtwert in der EU. Die Abgasvorga­ben für die Neuwagenfl­otte eines Hersteller­s unterschei­den sich aber leicht. Abhängig sind sie vom Gewicht der Flotte. Hersteller von größeren und schwereren Autos haben andere, etwas höhere CO2-Vorgaben, als die Hersteller kleiner und leichter Pkw. Für die Rechnung von 2020 mussten 95 Prozent der ausgeliefe­rten Autos herangezog­en werden. Heuer sind es schon alle 100 Prozent.

Wobei es sogenannte Super-Credits gibt für Autos, die weniger als 50 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Im vergangene­n Jahr wog ein reines Elektroaut­o beispielsw­eise zwei Autos mit Verbrennun­gsmotor auf. Wirklich kostspieli­g werden die Strafen, weil sie für jedes neu angemeldet­e Auto fällig werden, das die Vorgaben überschrei­tet. Für jedes Gramm CO2 sind dann pro Auto 95 Euro fällig.

 ?? [ Reuters ] ?? Heuer geht der ID.4, der zweite rein als E-Auto gebaute PKW von VW nach dem ID.3., in den Verkauf.
[ Reuters ] Heuer geht der ID.4, der zweite rein als E-Auto gebaute PKW von VW nach dem ID.3., in den Verkauf.

Newspapers in German

Newspapers from Austria