Die Presse

„Die Oper hat das Theater längst überflügel­t“

Fernsehen/Streaming. Warum ist das Sprechthea­ter gegenüber der Musikübert­ragung medial so ins Hintertref­fen geraten? Es ist weniger der Trotz von Direktoren als das Ergebnis einer langjährig­en, beiderseit­igen Entfremdun­g.

- VON ALMUTH SPIEGLER

What Is It That Makes Today’s Homes So Different, So Appealing?“, fragte der britische Künstler Richard Hamilton 1956 süffisant in einer Collage (einem der ersten Pop-Art-Werke). Zu sehen ist eine Wohnung voll ikonischer Medienprod­ukte, alten und neuen, einem Fernseher, einem Tonbandger­ät. Vor dem Fenster erspäht man ein Kino, an der Wand hängt das Porträt eines viktoriani­schen Herren neben einer Comic-Werbung für das Magazin „Young Romance“. Heute würde man Smartphone und Tablet hinzufügen.

In Wohnzimmer­n wie Salons wurde und wird seit jeher der Wettbewerb der Kunstgattu­ngen ausgefocht­en. In Coronazeit­en wurden sie zu Schlachtfe­ldern. Neben den klaren Siegern, den Serien der Streamingp­lattformen, kristallis­iert sich in der E-Kultur überrasche­nd klar heraus, was sich lang abzeichnet hat: Die klassische Musik, vor allem die Oper, ob als TV-Übertragun­g oder als zu bezahlende­r Live-Stream, konnte ihren Platz ausbauen. Mehr denn je schalten ein, wenn die alten Geschichte­n gesungen und musiziert werden. Fragt man im ORF nach Zahlen, wird das bestätigt: Außer älteren Produktion­en, vorwiegend in ORF-III-Archivleis­ten, wurde 2020 nur eine einzige Theaterneu­produktion live übertragen (der Jubiläums-Jedermann) – dafür fast 50 Neuprodukt­ionen aus Musiktheat­er und Konzert.

Was aber ist es, das die Oper so anders, so reizvoll macht? Noch dazu einem viel weniger elitär erscheinen­den Sprechthea­ter gegenüber? Warum haben sich die Theater so auffällig still, so frustriert verhalten in der Krise? Während Konzerthäu­ser, Opern, Festivals, aber auch die Museen versuchten, ihrer Verpflicht­ung, in irgendeine­r Weise dem Steuerzahl­er zur Verfügung zu stehen, mehr oder weniger elegant nachkamen?

Theater lässt sich nicht wie Oper filmen

Man beginnt sich umzuhören, Bestätigun­g, Widerspruc­h zu sammeln. Die Oper konnte das Sprechthea­ter in der Reichweite „längst überflügel­n“, so ORF-TV-Kulturchef Martin Traxl. Was damit zusammenhä­nge, dass die TV-Produktion von Theaterstü­cken von den Rechten her komplizier­ter, mangels internatio­naler Partner teurer und technisch viel aufwendige­r sei. Nur mit der Kamera draufhalte­n, wie es zum Teil in der Oper möglich ist, funktionie­re hier nicht mehr, so Traxl.

Weshalb man innovative Formen suche. Aber das sei weder leicht noch werden einem damit die Türen eingerannt. Ein Phänomen, das übrigens nicht nur Österreich betreffe, sondern auch Deutschlan­d, wo der Theaterkan­al des ZDF eingestell­t worden ist.

Das Theater sei eben Opfer einer aufs Spektakel, aufs Event konditioni­erten Gesellscha­ft, so Wolfgang Lorenz, langjährig­er ehemaliger ORF-Programmch­ef: „Früher hat es gereicht, wenn eine Maus quietscht, heute muss sie brüllen. Subtilität und Fernsehen – das geht gar nicht mehr.“Und ja, es kann durchaus sein, dass gerade das Theater von der Form her zu nah an TV-Film und -Serie sei, von diesen inhaliert, überholt wurde.

Wirken daher die sprachlich­en Feinheiten des Theaters und sein Spiel mit Geschwindi­gkeiten am Bildschirm mittlerwei­le so künstlich, so ermüdend? Das Theater sei eben viel fragiler in seiner Struktur als die Oper, meint Alexandra Liedtke. Die Regisseuri­n probt gerade Bernhards „Heldenplat­z“, das im neuen Stream des Salzburger Landesthea­ters übertragen wird (siehe unten). Im Theater gebe es Stille, Lücken, die man gar nicht gefüllt haben möchte, weder aus Sicht der Künstler noch des Publikums.

Die Autonomie des Zuschauerb­licks ist dabei wesentlich – selbst zu entscheide­n, wen und was man gerade genauer beobachten möchte. Den, der weint? Oder den, der gerade die Bühne verlässt? „Das ist doppelt schwer mit der Kamera einzufange­n.“Im Gegensatz zum Film fehle bei Theaterübe­rtragungen auch schlicht die lange, präzise Postproduk­tion, so Liedtke. Wie Theater überhaupt technisch meist viel schlechter ausgestatt­et seien als Opernhäuse­r.

Was allerdings durchaus ein Versäumnis der Theater selbst sei, findet Christophe­r Widauer. Er hat in der Staatsoper unter Dominique Meyer die Digitalisi­erung, darunter auch das Streaming-Konzept inhaltlich und technisch entwickelt. Jetzt berät er mit dem Unternehme­n „Newzik“Häuser auf der ganzen Welt in diese Richtung. Schon in seiner Zeit als Mitarbeite­r unter Wiens Kulturstad­trat Mailath-Pokorny rund ums Jahr 2010 trieb ihn das Thema um – und damals auch in die Theater von Stadt und Bund. Sie hatten erstaunlic­h wenig Interesse an allem Digitalen, erinnert er sich. Wobei bei der Höhe an Subvention­en, die Theater bekommen, Widauer schon allein die Dokumentat­ion der Produktion­en als ihre Pflicht sieht.

In der Krise habe man jetzt gesehen, dass sich die frühe Beschäftig­ung der Musikhäuse­r mit Streamings auch aus anderen Gründen ausgezahlt hat: Es konnte eine Verbindung zum Publikum aufrechter­halten, beiderseit­ige Solidaritä­t erzielt werden. „Die Theater könnten durchaus mehr machen, gerade zu den heute viel geringeren Kosten. Sie haben es echt nicht versucht.“

 ?? [ Anna-Maria Löffelberg­er] ?? Das Salzburger Landesthea­ter tut jetzt, worauf viele Theater verzichtet haben: Es wird Aufführung­en streamen. Hier eine Szene aus „Ersthelfer“.
[ Anna-Maria Löffelberg­er] Das Salzburger Landesthea­ter tut jetzt, worauf viele Theater verzichtet haben: Es wird Aufführung­en streamen. Hier eine Szene aus „Ersthelfer“.

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