Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte
Spione. Im ausbrechenden Kalten Krieg wurde der Kampf gegen die rote Gefahr zum Kitt für Agenten und Spione aus früher verfeindeten Lagern. Einer der Brennpunkte: Südtirol
Als Hotspots für Spione und Geheimdienste gelten normalerweise Großstädte und nicht ländliche Gegenden. Eine Ausnahme ist Südtirol. In dem Transitraum entlang von Etsch und Eisack, einem Ort brutal ausgetragener Nationalitätenkonflikte, tummelten sich in der Nachkriegszeit Nachrichtendienste, durchdrangen sich Spionage und Gegenspionage, entfaltete sich das ganze Potpourri geheimdienstlichen Handwerks.
Manchmal ist eine entlegene Almhütte als Übergabeort von Geheimdienstmaterial idealer als ein Kaffeehaus in einer großen Stadt wie Berlin oder Wien. Man traf hier ja auch auf eine Bevölkerung, die es gegenüber der Zentralregierung an Loyalität vermissen ließ. Die mächtige CIA traf hier auf kommunistische Umtriebe, Rom spionierte die Separatisten im „Befreiungsausschuss Südtirol“aus, es gab „Könige des Doppelspiels“, Diener beider Herren, Leute mit mörderischer Vergangenheit, ehemalige SS-Angehörige und Kriegsverbrecher, Alpha-Tiere aus allen Lagern.
Nur Spezialisten schaffen es, in diesem Netz von Agenten und Informanten, Treffpunkten und Übergabemethoden den Durchblick zu schaffen. Ein Topexperte ist der Historiker und Journalist Christoph Franceschini. Er erschließt in seinem neuen Buch einen reichhaltigen Fundus von Primärquellen, er kennt die Personalakten der Dienste, Akten der Justizbehörden und des amerikanischen Nationalarchivs und spürt Zeitzeugen auf. Trotz der Komplexität der Quellen gelingt es dem Autor, seine „Heimatgeschichte des Klandestinen“durch einen klugen Aufbau des reichhaltigen Materials lesbar zu machen, die damalige Denkungsart, den Zeitgeist zu veranschaulichen.
Hotspot für US-Geheimdienste
Für amerikanische Geheimdienste war Südtirol in der Nachkriegszeit einer der Hotspots. Die Hauptaufgabe des Counter Intelligence Corps (CIC) war eigentlich die Fahndung nach Kriegsverbrechern. Im ausbrechenden Kalten Krieg änderten sich die Zielsetzungen grundlegend. Nun galt es, den kommunistischen Feind mit allen Mitteln zu bekämpfen, und sei es auch durch die Anwerbung von Ex-Nazis mit Erfahrung im Nachrichtenwesen.
Doch warum operierten die Amerikaner bevorzugt in Südtirol? Italien mit seiner starken KP schien ihnen gefährdet. Operieren konnten sie von den besetzten Ländern Deutschland und Österreich. Linz und Gmunden wurden CIC-Zentren. Special Agent Joseph Peter Luongo befehligte hier 800 Leute. Mitglied des Netzwerks war auch ein Geistlicher, Pater Franz Pobitzer, ein ehemaliger Faschist, der engen Kontakt mit dem österreichischen Bischof Alois Hudal hatte, der ebenfalls CIC-Informant war. Hudal gilt als einer der wichtigsten Fluchthelfer unzähliger Nazigrößen.
An wichtiger Stelle stand Karl Theodor Hass, ehemaliger SS-Sturmbannführer, der 1943 an der Befreiung Mussolinis und an der Massenerschießung in den Ardeatinischen Höhlen beteiligt war. Hass wurde nun in Gmunden ausgebildet, man nützte seine Italien-Kontakte aus. Als es für Hass wegen seiner Kriegsverbrechen brenzlig wurde, verschaffte ihm die CIC eine neue Identität. Anfang der 50er-Jahre näherte sich Hass dem deutschen Geheimdienst an und diente dort unter Leuten, die einst dem Widerstand gegen Hitler angehört hatten.
Die Koordinaten hatten sich verschoben: Zwei Jahre nach Kriegsende arbeiteten ehemalige Feinde eng zusammen. Franceschini beschreibt diese einigermaßen schockierenden Fakten ganz nüchtern, man vermeint, einen Thriller zu lesen. Exakt recherchierte Biografien muten an wie Handlungsstränge in klassischen Geheimdienstromanen. Wenig effektiv mutet an, dass sich Geheimdienste ein und desselben Landes gegenseitig beargwöhnten und bespitzelten, etwa die US-Partnerdienste CIC und CIA. Gemeinsam ist ihnen allen: Sie hatten keine Scheu vor Nazis und Faschisten, sie wurden zu Hunderten engagiert.
1959 feierte man in Tirol 150 Jahre Freiheitskrieg unter Andreas Hofer. Es war das Jahr, in dem der „Befreiungsausschuss Südtirol“(BAS) zum neuen Tiroler Befreiungskampf blies. Ziel war die Selbstbestimmung Südtirols und Rückkehr zu Österreich. CIA und CIC hatten schon 1960 wichtige Informanten an der BAS-Spitze sitzen. Es kam zu den Sabotageaktionen von 1961, die Feuernacht vom 11. auf den 12. Juni, mit der Zerstörung von Stromanlagen.
Die Zeit des Südtirol-Terrorismus machte die Region erst richtig interessant für die USA. Am Morgen des 23. Juni 1961 lag das tägliche „Central Intelligence Bulletin“auf dem Schreibtisch von Präsident John F. Kennedy. Unter den zehn Problemzonen der Welt tauchte an diesem Tag auch Südtirol auf. Die politischen Auswirkungen auf die Stabilität des NATO-Verbündeten machten den USA Sorgen.
Molden und Pfaundler
Dass die CIA bestens über den BAS informiert war, geht nach Franceschini zurück auf Fritz Molden und Wolfgang Pfaundler. Beide kannten sich aus dem österreichischen Widerstand. Molden, Besitzer eines Presseimperiums, war nicht nur der Hauptfinanzier des BAS, sondern spielte auch bei der Waffenbeschaffung eine wichtige Rolle und schrieb Berichte über Südtirol für die CIA. Molden wies später jeden Zusammenhang mit der CIA zurück. Fazit Franceschini: „Der Mann, der so viel Geld in den BAS investiert hat, ist mit größter Wahrscheinlichkeit Fritz Molden. Er dürfte deshalb auch die Quelle für die CIA sein, die über Südtirol und den BAS berichtet.“
Der Nordtiroler Publizist und Fotograf Wolfgang Pfaundler plante von Anfang an einen Partisanenkampf in Südtirol nach dem Vorbild der Befreiungskriege in Zypern und Algerien. Er sammelte Gewehre, Munition und Sprengstoff, ein von ihm angemietetes Zimmer in Innsbruck war das Lager dafür. Der brisante Inhalt wurde entdeckt, weil die Vermieterin Nachschau hielt. Die Polizei wusste jetzt, dass Anschläge einer illegalen Gruppe geplant waren. Doch BASSympathisanten in der Innsbrucker Exekutive unterschlugen Beweismittel, Pfaundler wurde vor Gericht freigesprochen.
Seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert wurde die Frage, ob die verschiedenen Nachrichtendienste durch eigene, fingierte Anschläge selbst aktiv in den Südtirol-Terrorismus eingegriffen haben. Es gibt Akten dazu aus der Spitze des italienischen Innenministeriums, ein Hinweis darauf, zu welchen für einen demokratischen Staat untragbaren Methoden man griff, um den SüdtirolTerrorismus in den Griff zu bekommen. Im September 1964 mordete der Agent Christian Kerbler im Staatsauftrag. In einer Heuhütte schoss er auf die Südtirol-Attentäter Jörg Klotz und Luis Amplatz. Amplatz war auf der Stelle tot, Klotz floh mit einer Wunde in der Brust über die Berge. „Wir und die Terroristen haben eines gemeinsam“, so einer der Gesprächspartner von Christoph Franceschini, „am Ende haben wir uns alle beide die Hände schmutzig gemacht.“