Wiener Stadtbild: Schreckliches und Erfreuliches
Fotoband. Zwei Stadtforscher dokumentieren das Verschwinden von mehr oder weniger bekannten Wiener Gebäuden.
Eine Anmerkung vorweg: Nicht jedes Gebäude, dessen Verschwinden die Autoren in Wort und Bild dokumentieren, war „schön“. Daher geht es in diesem Bildband nicht ums Beweinen von allmählich Entschwundenem, sondern um das möglichst präzise Festhalten eines Stadtbildes, das sich verändert hat. Denn kaum jemand wird behaupten wollen, dass etwa das alte Posthochhaus am Rochusmarkt schöner war als das jetzige einfallslose, neue Gebäude. Oder dass die beiden Giganten entlang der Amtsgebäude Schnirchgasse (Austro Control) und Zollamt Schmuckstücke gewesen seien, auch wenn sie von Zoltan Egyed 1970 geplant waren, der wahrlich auch Schöneres schuf.
In der überwiegenden Mehrzahl freilich blicken wir auf Schreckliches. Auf Bausünden, die leider nicht mehr gutzumachen sind. Geldgier der Liegenschaftsbesitzer gepaart mit willfährigen Architekten ergibt ein giftiges Amalgam. Ein schmuckloses zweistöckiges Haus in der Paletzgasse (Ottakring) ist eines von 25 Beispielen, wie das Antlitz der Stadt durch Abrissmaschinen und unglaublich große Zangen verändert wird, die Stahlbeton wie eine Mehlspeise vertilgen.
Bevor es aber so weit war, haben unsere beiden Autoren noch alles fein säuberlich fotografiert. Da hängt noch ein alter Kalender an der Wand, der Luftzug bewegt Briefpapier am Boden, ein derangierter Kinderwagen im Halbdunkel eines Flurs wurde hinterlassen, in einem ehemaligen Salon verbirgt sich ein halbwegs spielfähiges Klavier unter dicken Staubschichten. Unverfälscht in ihrer ganzen Authentizität offenbaren die letzten Hinterlassenschaften die Seelen von Menschen und Gebäuden, haucht uns der Atem der Geschichte an und erzählt von den Menschen, die einst hier wohnten. Oft hier auch arbeiteten, wie etwa das verblichene Firmenschild „Taxi Otto Stiberitz“kündete. Statt der fein gegliederten Fassade gleicht sich nun ein fünfstöckiger 08/15-Bau dem Straßenbild an.
Bisweilen freilich haben die beiden Stadtforscher auch Erfreuliches vor die Linse bekommen. In der Martinstraße 33 (Währing) ist das Neue gefälliger als das Alte, das einfach wegmusste. Die Schicksale der Bewohner am Ende des 19. Jahrhunderts waren bemitleidenswert. Bouchal und Schreiber haben gründlich recherchiert.
Sperrstund’ für das Gasthaus
Der Kampf von Stadtbildschützern gegen den unmotivierten Abriss des Gasthauses Sperl in der Karolinengasse (Wieden) ist noch gut erinnerlich. 1826 erbaut, diente das Eckhaus ab 1872 als erstklassige Gastwirtschaft. Im Juni 2018 war Sperrstund’. Die behördlichen Auflagen gaben dem Wirt den Rest. Man verkaufte um sechs Millionen. Jetzt glotzt die Passanten eine Baulücke an.
Eine eigenartige Geschichte hat auch das einstige Finanzamt in der Nußdorfer Straße (Döbling). Dort stand nämlich das Linienamt, dann baute man 1972 ein modernes Amtsgebäude, allerdings nur bis 2016. Jetzt erhebt sich dort ein Wohnblock, der gefälliger ist als der Siebzigerjahre-Plattenbau.
Das kann von der Weinzingergasse 5 (Döbling) beim besten Willen nicht behauptet werden. Das einstöckige Familienhaus mit der hübschen Fassade wurde einfach wegradiert, plattgemacht. Ein zweistöckiges, architektonisches Nichts steht nun in der Straßenflucht.