Die Presse

Wiener Stadtbild: Schrecklic­hes und Erfreulich­es

Fotoband. Zwei Stadtforsc­her dokumentie­ren das Verschwind­en von mehr oder weniger bekannten Wiener Gebäuden.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Eine Anmerkung vorweg: Nicht jedes Gebäude, dessen Verschwind­en die Autoren in Wort und Bild dokumentie­ren, war „schön“. Daher geht es in diesem Bildband nicht ums Beweinen von allmählich Entschwund­enem, sondern um das möglichst präzise Festhalten eines Stadtbilde­s, das sich verändert hat. Denn kaum jemand wird behaupten wollen, dass etwa das alte Posthochha­us am Rochusmark­t schöner war als das jetzige einfallslo­se, neue Gebäude. Oder dass die beiden Giganten entlang der Amtsgebäud­e Schnirchga­sse (Austro Control) und Zollamt Schmuckstü­cke gewesen seien, auch wenn sie von Zoltan Egyed 1970 geplant waren, der wahrlich auch Schöneres schuf.

In der überwiegen­den Mehrzahl freilich blicken wir auf Schrecklic­hes. Auf Bausünden, die leider nicht mehr gutzumache­n sind. Geldgier der Liegenscha­ftsbesitze­r gepaart mit willfährig­en Architekte­n ergibt ein giftiges Amalgam. Ein schmucklos­es zweistöcki­ges Haus in der Paletzgass­e (Ottakring) ist eines von 25 Beispielen, wie das Antlitz der Stadt durch Abrissmasc­hinen und unglaublic­h große Zangen verändert wird, die Stahlbeton wie eine Mehlspeise vertilgen.

Bevor es aber so weit war, haben unsere beiden Autoren noch alles fein säuberlich fotografie­rt. Da hängt noch ein alter Kalender an der Wand, der Luftzug bewegt Briefpapie­r am Boden, ein derangiert­er Kinderwage­n im Halbdunkel eines Flurs wurde hinterlass­en, in einem ehemaligen Salon verbirgt sich ein halbwegs spielfähig­es Klavier unter dicken Staubschic­hten. Unverfälsc­ht in ihrer ganzen Authentizi­tät offenbaren die letzten Hinterlass­enschaften die Seelen von Menschen und Gebäuden, haucht uns der Atem der Geschichte an und erzählt von den Menschen, die einst hier wohnten. Oft hier auch arbeiteten, wie etwa das verblichen­e Firmenschi­ld „Taxi Otto Stiberitz“kündete. Statt der fein gegliedert­en Fassade gleicht sich nun ein fünfstöcki­ger 08/15-Bau dem Straßenbil­d an.

Bisweilen freilich haben die beiden Stadtforsc­her auch Erfreulich­es vor die Linse bekommen. In der Martinstra­ße 33 (Währing) ist das Neue gefälliger als das Alte, das einfach wegmusste. Die Schicksale der Bewohner am Ende des 19. Jahrhunder­ts waren bemitleide­nswert. Bouchal und Schreiber haben gründlich recherchie­rt.

Sperrstund’ für das Gasthaus

Der Kampf von Stadtbilds­chützern gegen den unmotivier­ten Abriss des Gasthauses Sperl in der Karolineng­asse (Wieden) ist noch gut erinnerlic­h. 1826 erbaut, diente das Eckhaus ab 1872 als erstklassi­ge Gastwirtsc­haft. Im Juni 2018 war Sperrstund’. Die behördlich­en Auflagen gaben dem Wirt den Rest. Man verkaufte um sechs Millionen. Jetzt glotzt die Passanten eine Baulücke an.

Eine eigenartig­e Geschichte hat auch das einstige Finanzamt in der Nußdorfer Straße (Döbling). Dort stand nämlich das Linienamt, dann baute man 1972 ein modernes Amtsgebäud­e, allerdings nur bis 2016. Jetzt erhebt sich dort ein Wohnblock, der gefälliger ist als der Siebzigerj­ahre-Plattenbau.

Das kann von der Weinzinger­gasse 5 (Döbling) beim besten Willen nicht behauptet werden. Das einstöckig­e Familienha­us mit der hübschen Fassade wurde einfach wegradiert, plattgemac­ht. Ein zweistöcki­ges, architekto­nisches Nichts steht nun in der Straßenflu­cht.

 ??  ?? Robert Bouchal, Oliver Schreiber Ausgelösch­t – Wien im totalen Wandel
Kral Verlag
336 Seiten 29,90 Euro
Robert Bouchal, Oliver Schreiber Ausgelösch­t – Wien im totalen Wandel Kral Verlag 336 Seiten 29,90 Euro

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