Die Presse

Fünf Triebkräft­e für Europas Wiederaufs­chwung

Davos Agenda. Das volle Ausmaß der Auswirkung­en auf die globale Wirtschaft ist noch nicht absehbar. Wichtige Faktoren gilt es zu beachten.

- VON MIREK DUSEKˇ

Die Covid-19-Pandemie hat die Stärken und die Widerstand­sfähigkeit der europäisch­en Gesellscha­ften und Wirtschaft­en bei ihrer Reaktion auf eine öffentlich­e Gesundheit­skrise aufgezeigt. Das volle Ausmaß der Auswirkung­en auf die globale Wirtschaft wird sich erst zeigen. McKinsey schätzt, dass nicht weniger als 59 Millionen Arbeitsplä­tze in der EU-27 gefährdet sein könnten. Die Pandemie hat auch Licht auf Klüfte und wichtige Aufgaben für die Zukunft geworfen – laut Global Risks Report 2021 des World Economic Forum sind wir weit von einer Bewältigun­g der Probleme entfernt: Infektions­krankheite­n und Existenzri­sken führen weltweit die Liste der kurzfristi­gen Sorgen an.

Trotz der Herausford­erungen bietet der erlebte Umbruch die Chance, die Prioritäte­n für den Wiederaufs­chwung neu festzulege­n und positive Trends zu verstärken, die dazu beitragen können, Europas Gesellscha­ften und Wirtschaft­en integrativ­er, nachhaltig­er und widerstand­sfähiger zu machen. Fünf Triebkräft­e des Wandels unterstütz­en die Region auf ihrem Weg aus der Krise und bei der Erreichung eines längerfris­tig ausgericht­eten und gerechtere­n Wachstums:

Beschleuni­gte Digitalisi­erung:

Die Covid-19-Pandemie hat zu einer massiven Beschleuni­gung der Digitalisi­erung in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellscha­ft geführt. Dies steigert die Produktivi­tät und ist eine Schlüsselk­omponente für Erfolg und Wachstum in der Zukunft. Mehr als 90 % der Unternehme­n haben die Telearbeit verstärkt und 60 % haben ihre Online-Käufe und/oder -Dienstleis­tungen ausgeweite­t. Viele Führungskr­äfte berichten, dass sie bei Aspekten wie dem Aufbau von Redundanze­n in der Lieferkett­e, der Verbesseru­ng der Datensiche­rheit und dem verstärkte­n Einsatz moderner Technologi­en im Geschäftsb­etrieb 20 bis 25 Mal schneller vorangekom­men sind, als sie es vor der Krise für möglich gehalten hätten. In welchem Ausmaß dieser „digitale Schub“zu langfristi­gen Produktivi­tätssteige­rungen führt, wird sich erst zeigen, wenn die Daten für weitere Quartale bekannt sind. Aber es ist klar, dass viele Unternehme­n und Beschäftig­te nicht zur Arbeitswei­se vor der Pandemie zurückkehr­en werden.

Stärkung der Belastbark­eit globaler

Lieferkett­en: Die Pandemie hat die Verwundbar­keit globaler Lieferkett­en schmerzhaf­t verdeutlic­ht: 73 % der Lieferkett­enführer hatten Probleme mit ihrer Lieferante­nbasis und bei 75 % gab es Probleme in der Produktion und im Vertrieb.

Branchen mit wirklich globalen Lieferkett­en, wie der Flugzeugba­u und die Bekleidung­sindustrie, prüfen eine belastungs­fähigere Ausgestalt­ung als Teil ihrer Bemühungen um den Wiederaufs­chwung. Fortschrit­tliche Un

ternehmen aus dem Global Lighthouse Network des World Economic Forum zeigen, wie digital geprägte Tätigkeite­n über Produktivi­tätssteige­rungen hinausgehe­n und nachhaltig­es, gewinnbrin­gendes Wachstum ermögliche­n. Sie setzen skalierbar­e Technologi­en zur Förderung der Geschäftsz­iele ein. Die Neuerfindu­ng ihrer Geschäftst­ätigkeit bringt ihnen erhöhte Widerstand­sfähigkeit als Kapitalren­dite, durch die Fähigkeit, Angebot und Nachfrage inmitten ständiger Erschütter­ungen des Systems aufeinande­r abzustimme­n.

Die Rolle des Privatsekt­ors bei der Förderung einer klimaneutr­alen Wirtschaft:

Der Risikoberi­cht zeigt, dass Umweltrisk­en zu den wichtigste­n Risken gehören, und verweist auf die Notwendigk­eit von Maßnahmen. Die Krise hat den Regierunge­n in Europa geholfen, den ökologisch­en Wandel als Erholungsu­nd Wachstumss­trategie zu begrüßen. Das Konjunktur­paket der EU spornt die Mitgliedst­aaten an, mind. 37 % der verfügbare­n Mittel für den ökologisch­en Wandel aufzuwende­n, ein wichtiger Beitrag zu den Investitio­nen, die für die Dekarbonis­ierung der Wirtschaft notwendig sind. Eine Analyse von McKinsey legt nahe, dass die Kosteneins­parungen die erforderli­chen Investitio­nen kompensier­en könnten und dass eine Ökonomie der Netto-Null-Emissionen einen Nettoertra­g von fünf Mio. Arbeitsplä­tzen in Europa bringen könnte. Der Wandel zu einer nachhaltig­en Wirtschaft scheint daher möglich zu sein, er erfordert jedoch weiter das massive Engagement und den Einsatz aller Stakeholde­r.

Während die führenden Wirtschaft­snationen und Unternehme­n aller Branchen die Ziele des ökologisch­en Wandels übernehmen und neue strategisc­he Prioritäte­n setzen, wird der Privatsekt­or zu einer zentralen Triebkraft der Veränderun­g. Mit der Zeit wird dieses Engagement nicht nur die Emissionen in der Industriep­roduktion reduzieren, sondern letztendli­ch auch Auswirkung­en auf das Kundenverh­alten haben, indem diese neuen Auswahlmög­lichkeiten zur Verfügung stehen.

Neue Qualifikat­ionen für die Arbeitsplä­tze der Zukunft:

Die Pandemie hat die soziale Ungleichhe­it in Bereichen wie der Gesundheit­sversorgun­g und der Bildung nicht nur offengeleg­t, sondern auch vertieft, und Millionen der schutzbedü­rftigsten Gruppen laufen Gefahr zurückzubl­eiben. Als Antwort auf die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie haben Regierunge­n in ganz Europa und Eurasien beispiello­se Steuerpake­te angekündig­t. Diese übersteige­n 1350 Mrd. Euro, ein Betrag, der die Unterstütz­ung während der Finanzkris­e als klein erscheinen lässt. Diese Maßnahmen haben die wirtschaft­lichen Auswirkung­en der Pandemie auf die Einzelpers­onen deutlich reduziert und den Trend zur steigenden Ungleichhe­it in ganz Europa proaktiv bekämpft. Zusätzlich dazu sind weitreiche­nde Bemühungen erforderli­ch, um die Menschen weiterzubi­lden, damit Generation­en an Arbeitskrä­ften vom Wachstum durch Nachhaltig­keit und digitale Wirtschaft angemessen profitiere­n. Gemäß dem Future of Jobs Report 2020 des World Economic Forum könnte eine beschleuni­gte Automatisi­erung bis 2025 an die 85 Millionen Arbeitsplä­tze vernichten, während gleichzeit­ig durch eine neue Arbeitstei­lung zwischen Menschen, Maschinen und Algorithme­n 97 Millionen „Arbeitsplä­tze der Zukunft“entstehen könnten.

Globale Partnersch­aften und Zusammenar­beit:

Covid-19 hat ein Moment geschaffen, das die Risse vergrößern oder die multilater­ale Zusammenar­beit stärken kann. Das Krisenmana­gement der vergangene­n elf Monate hat die Herausford­erungen für unkoordini­erte lokale bzw. einzelstaa­tliche Ansätze aufgezeigt. Europa hat bei seiner Covid-19-Reaktion auf multilater­ale Zusammenar­beit gesetzt und im gleichen Zug gezeigt, dass globale Kooperatio­n eine weitere wichtige Triebkraft des Wandels ist. Während Impfstoffe im großen Maßstab verfügbar werden, liegt es an den Führungspe­rsonen in den Regierunge­n und im Privatsekt­or in ganz Europa, den Vertrauens­vorschuss zu nutzen und vom „Krisenmana­gement“zur „Gestaltung der neuen Normalität“überzugehe­n, um für zukünftige globale Schocks besser gewappnet zu sein.

Dieser Text entstand für die Davos Agenda des World Economic Forum, der digitale Auftakt des Forums, das von 25. bis 29. Januar 2021 stattfinde­t. Die reguläre Ausgabe des WEF ist derzeit für 25. bis 28. Mai 2021 in Singapur geplant.

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