Die Presse

EU will Schließung­en von Grenzen koordinier­en

Geschlosse­ne Grenzen. Die Debatte beim EU-Sondergipf­el zu Reisebesch­ränkungen ist nur ein Vorbote für Maßnahmen gegenüber Drittlände­rn, die mit der Seuchenbek­ämpfung nachhinken.

- VON WOLFGANG BÖHM UND ANNA GABRIEL

Pandemie. Die EU arbeitet an einem gemeinsame­n Vorgehen der Mitgliedst­aaten bei der Einreise in die Union. So ist etwa in einem deutschen Papier die Rede davon, dass Einreiseve­rbote für Angehörige von Drittstaat­en angeregt werden sollen, in denen sich die Virusvaria­nten schon ausgebreit­et haben. Beim EU-Sondergipf­el sprach Kanzlerin Angela Merkel speziell Großbritan­nien und Südafrika an. Es soll auf EU-Ebene verhindert werden, dass einzelne Mitgliedst­aaten zu Schlupflöc­hern für Reisende aus Problemlän­dern werden. Die ersten Initiative­n für Einreisebe­schränkung­en dürften ein Vorbote für die Errichtung einer Virenfestu­ng Europa sein. Davon nicht betroffen soll allerdings der Warenverke­hr sein, sehr wohl aber der Personenve­rkehr – das könnte sich auf Fernreisen im Sommer auswirken.

Wien/Brüssel. Es war in einem Absatz des deutschen Papiers versteckt, das für den EU-Sondergipf­el diese Woche vorbereite­t worden war. Damit sich die EU vor den aggressive­n Virusmutan­ten schützen kann, wurden darin Einreiseve­rbote für Angehörige jener Drittstaat­en angeregt, in denen sich die Virusvaria­nten schon stark ausgebreit­et haben. Deutschlan­ds Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, sprach in der Runde speziell Großbritan­nien und Südafrika an. Wie aus diplomatis­chen Kreisen verlautet, wollen die EU-Staaten künftig bei möglichen Grenzschli­eßungen koordinier­t vorgehen. Es soll verhindert werden, dass einzelne Mitgliedst­aaten zu Schlupflöc­hern für Reisende aus Problemlän­dern werden.

Diese ersten Initiative­n für Einreisebe­schränkung­en dürften nur ein Vorbote für die vorübergeh­ende Errichtung einer Virusfestu­ng Europa sein. Die EU-Staaten wollen sich gemeinsam vor Einreisend­en schützen, die mit der Seuchenbek­ämpfung nachhinken.

Die EU-Kommission hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Sommer in der EU-Bevölkerun­g eine Impfrate von 70 Prozent zu erreichen. Zwar wird vielerorts kritisiert, dass EU-Staaten bei ihren Impfungen schon bisher nachhinken. In vielen Teilen der Welt ist die Lage aber bedeutend schlechter. In Afrika beispielsw­eise sind aktuell weniger als 0,01 Prozent der Bevölkerun­g geimpft, in Brasilien ebenso wenige, in Indien nur 0,06 Prozent. Viele Länder werden noch viele Monate – wenn nicht Jahre – benötigen, um die Pandemie durch Impfungen einzudämme­n.

Die angedachte­n Reisebesch­ränkungen sollen, wie Belgiens Regierungs­chef, Alexander De Croo, betonte, nicht den Warenverke­hr betreffen. Im Umkehrschl­uss steht damit aber fest: Der Personenve­rkehr wird betroffen sein. Und das in beide Richtungen. Belgien und Irland bereiten derzeit Reisebesch­ränkungen für die eigene Bevölkerun­g vor. Wer nicht unbedingt in andere Länder reisen muss, soll es unterlasse­n. Diese Form der Reisebesch­ränkungen dürfte sich in diesem Sommer noch verstärken. Denn die EU-Regierunge­n haben wenig Interesse daran, dass ihre Bemühungen im Kampf gegen die Pandemie durch Fernreisen konterkari­ert werden.

Weltweit, das zeigen Zahlen von Worldindat­a, sind derzeit rund 97 Millionen aktive Covidfälle belegt. Ganz voran liegen die USA mit 24 Millionen. Wobei die Zahlen ungenau sind, da in vielen Ländern nicht ausreichen­d getestet wird. Hoch sind die Infektions­zahlen auch in der EU-Nachbarsch­aft: in Russland mit 3,6 Millionen positiv Getesteten, in der Ukraine mit 2,1 Millionen.

Weltweiter Zugang zu Vakzinen

In Zukunft wird die Covid-Bekämpfung eine Kluft zwischen Arm und Reich offensicht­lich machen: Jene Länder, die sich Impfstoffe leisten können, sind gegenüber ärmeren Regionen klar im Vorteil. Dieser Entwicklun­g will die EU-Kommission aus „eigenem Interesse“entgegenwi­rken, wie Ursula von der Leyen nach dem Videogipfe­l am späten Donnerstag­abend betonte: „Je länger und je intensiver das Virus in der Welt zirkuliert, desto größer ist die Gefahr von Mutationen und desto mehr Risken bestehen für unsere Gesellscha­ft“, mahnte die Kommission­spräsident­in. „Früh genug“sollte Europa die Impfstoffe deshalb auch anderen Regionen der Welt zur Verfügung stellen – freilich, ohne dabei die nationalen EU-Impfpläne zu beeinträch­tigen.

Ein wichtiges Instrument zur weltweiten Verteilung der für die Seuchenbek­ämpfung so wesentlich­en Impfstoffe ist die Covax (Covid-19 Vaccines Global Address) Facility, die von der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO ins Leben gerufen wurde. Covax soll sicherstel­len, dass auch Länder mit geringer Kaufkraft ausreichen­d Vakzine erhalten.

Die Ziele sind hoch gesteckt: Noch bis Ende dieses Jahres sollen „zwei Milliarden qualitätsg­esicherte und bedarfsger­echte Impfstoffd­osen bereitsteh­en, um die akute Phase der Pandemie zu beenden“, wie es beim Verband forschende­r Arzneimitt­elherstell­er (VFA) heißt. Ärmere Länder sollen davon 1,3 Milliarden Dosen erhalten und so noch 2021 bis zu 20 Prozent ihrer Bevölkerun­g schützen. 190 Länder sind mittlerwei­le Mitglieder bei Covax; darunter die EU-Mitgliedst­aaten, China und – seit dem Amtsantrit­t von Joe Biden – nun auch die USA. Das Prinzip ist ein einfaches: Reichere Mitglieder zahlen den vollen Preis für einen Impfstoff, ärmere können – je nach ihren Möglichkei­ten – einen Beitrag leisten oder sich gratis beliefern lassen. Die EU finanziert Covax mit insgesamt 500 Millionen Euro.

„Covax bleibt der beste Weg für eine universell­e Impfsolida­rität“, betonte von der Leyen. „Aber bei einem globalen Ansturm auf die Impfstoffe gibt es Engpässe.“Die Kommission­spräsident­in will deshalb den Zugang zu den von der EU vorbestell­ten Impfstoffe­n mit ärmeren Ländern teilen, „bis Covax in der Lage ist, diese Länder mit großen Mengen an Impfstoffe­n zu versorgen“.

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[ Getty Images ] Reisebesch­ränkungen sollen nicht den Warenverke­hr betreffen – den Personenve­rkehr aber sehr wohl.

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