EU will Schließungen von Grenzen koordinieren
Geschlossene Grenzen. Die Debatte beim EU-Sondergipfel zu Reisebeschränkungen ist nur ein Vorbote für Maßnahmen gegenüber Drittländern, die mit der Seuchenbekämpfung nachhinken.
Pandemie. Die EU arbeitet an einem gemeinsamen Vorgehen der Mitgliedstaaten bei der Einreise in die Union. So ist etwa in einem deutschen Papier die Rede davon, dass Einreiseverbote für Angehörige von Drittstaaten angeregt werden sollen, in denen sich die Virusvarianten schon ausgebreitet haben. Beim EU-Sondergipfel sprach Kanzlerin Angela Merkel speziell Großbritannien und Südafrika an. Es soll auf EU-Ebene verhindert werden, dass einzelne Mitgliedstaaten zu Schlupflöchern für Reisende aus Problemländern werden. Die ersten Initiativen für Einreisebeschränkungen dürften ein Vorbote für die Errichtung einer Virenfestung Europa sein. Davon nicht betroffen soll allerdings der Warenverkehr sein, sehr wohl aber der Personenverkehr – das könnte sich auf Fernreisen im Sommer auswirken.
Wien/Brüssel. Es war in einem Absatz des deutschen Papiers versteckt, das für den EU-Sondergipfel diese Woche vorbereitet worden war. Damit sich die EU vor den aggressiven Virusmutanten schützen kann, wurden darin Einreiseverbote für Angehörige jener Drittstaaten angeregt, in denen sich die Virusvarianten schon stark ausgebreitet haben. Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, sprach in der Runde speziell Großbritannien und Südafrika an. Wie aus diplomatischen Kreisen verlautet, wollen die EU-Staaten künftig bei möglichen Grenzschließungen koordiniert vorgehen. Es soll verhindert werden, dass einzelne Mitgliedstaaten zu Schlupflöchern für Reisende aus Problemländern werden.
Diese ersten Initiativen für Einreisebeschränkungen dürften nur ein Vorbote für die vorübergehende Errichtung einer Virusfestung Europa sein. Die EU-Staaten wollen sich gemeinsam vor Einreisenden schützen, die mit der Seuchenbekämpfung nachhinken.
Die EU-Kommission hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Sommer in der EU-Bevölkerung eine Impfrate von 70 Prozent zu erreichen. Zwar wird vielerorts kritisiert, dass EU-Staaten bei ihren Impfungen schon bisher nachhinken. In vielen Teilen der Welt ist die Lage aber bedeutend schlechter. In Afrika beispielsweise sind aktuell weniger als 0,01 Prozent der Bevölkerung geimpft, in Brasilien ebenso wenige, in Indien nur 0,06 Prozent. Viele Länder werden noch viele Monate – wenn nicht Jahre – benötigen, um die Pandemie durch Impfungen einzudämmen.
Die angedachten Reisebeschränkungen sollen, wie Belgiens Regierungschef, Alexander De Croo, betonte, nicht den Warenverkehr betreffen. Im Umkehrschluss steht damit aber fest: Der Personenverkehr wird betroffen sein. Und das in beide Richtungen. Belgien und Irland bereiten derzeit Reisebeschränkungen für die eigene Bevölkerung vor. Wer nicht unbedingt in andere Länder reisen muss, soll es unterlassen. Diese Form der Reisebeschränkungen dürfte sich in diesem Sommer noch verstärken. Denn die EU-Regierungen haben wenig Interesse daran, dass ihre Bemühungen im Kampf gegen die Pandemie durch Fernreisen konterkariert werden.
Weltweit, das zeigen Zahlen von Worldindata, sind derzeit rund 97 Millionen aktive Covidfälle belegt. Ganz voran liegen die USA mit 24 Millionen. Wobei die Zahlen ungenau sind, da in vielen Ländern nicht ausreichend getestet wird. Hoch sind die Infektionszahlen auch in der EU-Nachbarschaft: in Russland mit 3,6 Millionen positiv Getesteten, in der Ukraine mit 2,1 Millionen.
Weltweiter Zugang zu Vakzinen
In Zukunft wird die Covid-Bekämpfung eine Kluft zwischen Arm und Reich offensichtlich machen: Jene Länder, die sich Impfstoffe leisten können, sind gegenüber ärmeren Regionen klar im Vorteil. Dieser Entwicklung will die EU-Kommission aus „eigenem Interesse“entgegenwirken, wie Ursula von der Leyen nach dem Videogipfel am späten Donnerstagabend betonte: „Je länger und je intensiver das Virus in der Welt zirkuliert, desto größer ist die Gefahr von Mutationen und desto mehr Risken bestehen für unsere Gesellschaft“, mahnte die Kommissionspräsidentin. „Früh genug“sollte Europa die Impfstoffe deshalb auch anderen Regionen der Welt zur Verfügung stellen – freilich, ohne dabei die nationalen EU-Impfpläne zu beeinträchtigen.
Ein wichtiges Instrument zur weltweiten Verteilung der für die Seuchenbekämpfung so wesentlichen Impfstoffe ist die Covax (Covid-19 Vaccines Global Address) Facility, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO ins Leben gerufen wurde. Covax soll sicherstellen, dass auch Länder mit geringer Kaufkraft ausreichend Vakzine erhalten.
Die Ziele sind hoch gesteckt: Noch bis Ende dieses Jahres sollen „zwei Milliarden qualitätsgesicherte und bedarfsgerechte Impfstoffdosen bereitstehen, um die akute Phase der Pandemie zu beenden“, wie es beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) heißt. Ärmere Länder sollen davon 1,3 Milliarden Dosen erhalten und so noch 2021 bis zu 20 Prozent ihrer Bevölkerung schützen. 190 Länder sind mittlerweile Mitglieder bei Covax; darunter die EU-Mitgliedstaaten, China und – seit dem Amtsantritt von Joe Biden – nun auch die USA. Das Prinzip ist ein einfaches: Reichere Mitglieder zahlen den vollen Preis für einen Impfstoff, ärmere können – je nach ihren Möglichkeiten – einen Beitrag leisten oder sich gratis beliefern lassen. Die EU finanziert Covax mit insgesamt 500 Millionen Euro.
„Covax bleibt der beste Weg für eine universelle Impfsolidarität“, betonte von der Leyen. „Aber bei einem globalen Ansturm auf die Impfstoffe gibt es Engpässe.“Die Kommissionspräsidentin will deshalb den Zugang zu den von der EU vorbestellten Impfstoffen mit ärmeren Ländern teilen, „bis Covax in der Lage ist, diese Länder mit großen Mengen an Impfstoffen zu versorgen“.