Die Presse

Ein Konflikt zwischen Herz und Hirn

Germanisti­k. In welcher Sprache drücken sich Menschen an einer österreich­ischen Universitä­t aus? Die Wahl zwischen Englisch und Deutsch ist ähnlich kontrovers wie die Erwartung, ob jemand Dialekt oder Hochdeutsc­h spricht.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Wenn man Menschen fragt, was Deutsch von anderen Sprachen unterschei­de, antworten viele, dass Wortschatz und Grammatik anders sind. „Aber das trifft auf Dialekte auch zu, dass sie eigene Worte und eine Grammatik haben“, sagt Philip Vergeiner von der Uni Salzburg. Eine Sprache definiert sich also auch durch „außersprac­hliche Kriterien“, etwa, was die Gesellscha­ft erwartet. „Im Unterschie­d zwischen Sprache und Varietät spielen Faktoren wie Prestige und Status mit. Es ist ein hochpoliti­sches Thema, was als Sprache anerkannt wird und was nicht“, sagt Vergeiner und zitiert mit „Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und Marine“den jiddischen Linguisten Max Weinreich.

„Wenn ein Staat dahinterst­eht, sehen wir es als Sprache an“, betont Vergeiner, der viele Aspekte dieser „äußeren Mehrsprach­igkeit“(nationale Sprachen) sowie der „inneren Mehrsprach­igkeit“(Dialekte und Varietäten) erforscht hat. Exemplaris­ch nahm er die Uni Salzburg als Forschungs­objekt: In welchen Sprachen und Dialekten wird hier geredet? In welcher Situation erwarten Studierend­e und Lehrende welche Formen? Passen die Erwartunge­n zur Realität der gelebten Sprache?

Fragebögen und Aufnahmen

„Mich haben immer schon Normen fasziniert, also Erwartunge­n, was man wie tun soll, aus denen Regelmäßig­keiten im Verhalten resultiere­n“, sagt Vergeiner. Nun machte er soziale Normen messbar und überprüfte, ob Erwartunge­n der Gesellscha­ft tatsächlic­h im Verhalten der Menschen wirksam sind.

Glückliche­rweise gab es hier schon einen Datenberg aus dem von der Nationalba­nk geförderte­n Forschungs­projekt Vamus (Verknüpfte Analyse von Mehrsprach­igkeiten an der Uni Salzburg). Vergeiner durchforst­ete über 1000 Fragebögen von Studierend­en, Lehrenden und Mitarbeite­rn der Verwaltung zu ihrem erwarteten und tatsächlic­hen Sprachgebr­auch sowie über 100 Interviews über Normen, Dialekte und Sprachen. Dazu kamen noch Aufnahmen von ganzen Lehrverans­taltungen.

An einer Universitä­t gibt es klare Erwartunge­n, wie man zu sprechen hat, und Vergeiners Analyse macht nun sichtbar, ob die Menschen auch tatsächlic­h so reden, wie von ihnen erwartet wird.

„Bei der äußeren Mehrsprach­igkeit bietet der Umgang mit Englisch das größte Konfliktpo­tenzial“, sagt Vergeiner. Während Migrations­sprachen wie Türkisch ebenso vorkommen wie in Schulen, gibt es im Uni-Bereich kaum Diskussion­en, wer wann türkisch oder serbokroat­isch spricht. „Das wird eher als Privatsach­e eingeordne­t“, sagt Vergeiner. Den Germaniste­n überrascht­e aber die Heftigkeit der Kontrovers­e, wie stark das Englische an einer österreich­ischen Universitä­t zum Einsatz kommen soll.

Bei manchen herrscht Skepsis, warum man bei uns vor einem deutschspr­achigen Publikum eine Lehrverans­taltung auf Englisch halten soll. Auf der anderen Seite gibt es eine Euphorie, dass Englisch die Zukunft für eine internatio­nale Wissenscha­ftswelt ist. „Die Grenze verläuft oft entlang von Fakultäten und Fachbereic­hen“, sagt Vergeiner. Während Natur- und Sozialwiss­enschaften eine hohe Affinität zu Englisch haben, sehen es Geisteswis­senschaftl­er und Juristen eher kritisch. Spannend ist auch die Begründung, warum gerade Englisch so geeignet sei. „Viele antworten: ,Weil die Sprache so einfach ist‘“, sagt Vergeiner. Dabei ist Englisch vom Wortschatz und der Grammatik her relativ komplex. Auch die Erwartunge­n, wann wer wo Englisch spricht, brachten interessan­te Ergebnisse: „Viele Austauschs­tudenten würden gern Deutsch lernen, aber ihr Gegenüber wechselt ins Englische, wenn erkannt wird, dass man nicht von hier ist.“

Umgangsspr­ache sehr häufig

Ähnliche Vorannahme­n zur Sprachform fand Vergeiner auch bei der „inneren Mehrsprach­igkeit“, also dem Wechsel zwischen Hochdeutsc­h (Standardsp­rache) und Dialekt bzw. der in Österreich typischen Mischform, der Umgangsspr­ache.

„Das Meiste findet im mittleren Bereich statt, also weniger Dialekt als im kleinen Dorf daheim, aber doch nicht so Standard, wie man es von der Schriftspr­ache oder dem deutschen Nachrichte­nsprecher kennt – und wie es von der Gesellscha­ft an einer Universitä­t eigentlich erwartet wird.“

Das fällt auch vielen deutschen Kollegen auf. Anders als mit Fremdsprac­higen wird mit ihnen aber oft absichtlic­h dialektnäh­er gesprochen, etwa um sich abzugrenze­n. „Die Wahl zwischen Dialekt und Standardsp­rache ist oft ein Konflikt zwischen Herz und Hirn“, betont Vergeiner.

Sein Ergebnis deckt sich mit einer Studie aus dem großen FWFProjekt „Deutsch in Österreich“, die die äußere und innere Mehrsprach­igkeit an Schulen untersucht­e: Wenn es um Verständni­s und Formalität geht, redet man Hochdeutsc­h. In informelle­n Situatione­n und wenn man authentisc­h sein will, spricht man Dialekt. „Diese Erwartunge­n sind erstaunlic­h stabil und spiegeln Normen der gesamten Gesellscha­ft wider. Ich glaube, dass wir in einer anderen Arbeitsumg­ebung, etwa einer Fabrik, ähnliche Dinge feststelle­n würden.“

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[ Getty Images ] Wenn Studierend­e unter sich sind, reden sie anders als in formellen Situatione­n, in Vorlesunge­n oder bei Referaten.

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