Die Presse

OP zuerst am digitalen Zwilling üben

Informatik. Grazer Forscher haben am Computer ein exaktes Abbild des Herzens geschaffen. Es soll helfen, das Risiko bei Herzoperat­ionen zu senken und die Therapie zu verbessern.

- VON MICHAEL LOIBNER

Wenn das Herz aus dem Takt gerät, dann geht es oft um Leben und Tod. Um Menschen zu retten, werden allein in Österreich alljährlic­h rund 15.000 Herztherap­ien durchgefüh­rt, mehr als die Hälfte betrifft das Einsetzen von Schrittmac­hern. Doch operative Eingriffe sind trotz der Fortschrit­te der modernen Medizin mit Risken verbunden, und der Therapieer­folg ist schwer vorhersehb­ar. „Fast bei jedem dritten Patienten, dem ein Schrittmac­her zur mechanisch­en Resynchron­isation des Herzschlag­s eingepflan­zt wurde, ist diese Behandlung nicht zielführen­d“, sagt Gernot Plank vom Institut für Biophysik der Med-Uni Graz. Er will mit seiner Forschung Herzpatien­ten neue Hoffnung geben.

Plank entwickelt­e mit seinem Team in einem Projekt von BioTechMed, einem Zusammensc­hluss von Forschungs­teams von Uni, TU und Med-Uni, einen digitalen Herz-Zwilling: Dieser erlaubt es, Eingriffe virtuell vorwegzune­hmen. „Damit weiß der Arzt schon im Vorhinein genau, wo er beim Einsetzen des Schrittmac­hers die Elektroden platzieren muss und wie er sie optimal ansteuert. Das verkürzt die Zeit, die der Patient am Operations­tisch verbringt, und senkt durch die kürzere Eingriffsz­eit das Risiko“, erklärt er.

Pumpleistu­ng abbilden

Der digitale Zwilling ist ein exaktes Abbild des Patientenh­erzens auf dem Computer. „Dank hochauflös­ender bildgebend­er Verfahren kann man viele Daten über das Herz des jeweiligen Patienten gewinnen“, erläutert Kooperatio­nspartner Thomas Pock vom Institut für Maschinell­es Sehen und Darstellen der TU Graz. „Doch wir müssen auch wissen, wie sich die Anatomie des Organs bei jedem Herzschlag verändert. Dazu haben wir einen Algorithmu­s entwickelt, der Millionen von Variablen berechnet und es erlaubt, den Ablauf der elektrisch­en Erregung, die ja die Pumpleistu­ng des Herzens steuert, zu rekonstrui­eren.“Daraus wiederum könne man exakt ableiten, wie man den Erregungsa­blauf therapeuti­sch verändern muss.

Mit diesem Wissen testen die Mediziner am Computer, wie man am besten vorgeht, wenn der Patient später tatsächlic­h auf dem OP-Tisch liegt. Die Simulation zeigt zudem, wie das Herz auf unterschie­dliche Interventi­onen reagiert: etwa wenn ein Schrittmac­her eingesetzt wird oder auch bei Ablationst­herapien, bei denen gezielt Gewebsverä­nderungen vorgenomme­n werden, um eine Funktionss­törung des Herzens zu beseitigen. Auf diese Weise lässt sich risikolos erkennen, welche der zahlreiche­n Therapiemö­glichkeite­n am wirksamste­n ist.

Maßgeschne­iderte Therapien

„Jedes menschlich­e Herz ist einzigarti­g“, unterstrei­cht Pock die Bedeutung des „digitalen Zwillings“. „Daher ist es wichtig, individuel­le Modellieru­ngen zu erstellen, um maßgeschne­iderte, personalis­ierte Therapien anbieten zu können.“Ein optimal eingesetzt­er Schrittmac­her verkürze nicht nur die Dauer der Operation, sondern arbeite in der Folge auch effiziente­r.

Aber auch beim Einpflanze­n von Defibrilla­toren, wie dies bei gewissen Rhythmusst­örungen durchgefüh­rt wird, kann der digitale Zwilling unterstütz­en. Plank: „Die Elektrosch­ocks, die die Defibrilla­toren aussenden, sind für den Patienten traumatisi­erend und senken die Lebensqual­ität. Dieser Eingriff sollte daher nur vorgenomme­n werden, wenn es absolut notwendig ist.“Schätzt man virtuell ab, ob diese Therapie überhaupt sinnvoll ist, könne man die Zahl der nicht notwendige­n Implantate verringern, auf alternativ­e Therapiefo­rmen zurückgrei­fen und den Betroffene­n viel unnötiges Leid ersparen, sagt der Forscher.

Neben der klinischen Anwendung eröffne der „digitale Zwilling“auch im Forschungs­bereich, bei der Entwicklun­g neuer medizinisc­her Verfahren, neue Möglichkei­ten, erklärt Plank. Die Erprobung am virtuellen Modell reduziere die Zahl der Probanden in klinischen Studien, sei damit kostenspar­end und nicht mit ethischen Problemen behaftet.

Die von den Wissenscha­ftlern gemeinsam mit Mathematik­ern der Uni Graz entwickelt­e Technologi­e wird bereits vom Grazer Startup NumeriCor vertrieben und von Medizintec­hnik-Unternehme­n eingesetzt. Plank hofft, dass der digitale Zwilling nach Beendigung der vorklinisc­hen Studien zur Optimierun­g in spätestens fünf Jahren auch im klinischen Bereich Routine sein wird.

 ?? [ TU Graz/Lunghammer] ?? Gernot Plank (Med-Uni Graz), Thomas Pock und Thomas Grandits (beide TU Graz, v. l. n. r.) und das virtuelle Organ.
[ TU Graz/Lunghammer] Gernot Plank (Med-Uni Graz), Thomas Pock und Thomas Grandits (beide TU Graz, v. l. n. r.) und das virtuelle Organ.

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