Die Presse

Der schwierige Weg zu Vätern aus dem Patriarcha­t

Migrations­forschung. Was passiert, wenn ein Projekt keine Erfolgsges­chichte ist? Man kann trotzdem daraus lernen. Das zeigte sich in der Südtiroler Initiative „Papa grenzenlos“, in der Männer mit Migrations­hintergrun­d erreicht werden sollten.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Ein Mann sagt am Telefon zu, sich am Projekt beteiligen zu wollen, ist aber momentan beschäftig­t. Später geht er nicht mehr ans Telefon. Als er wieder abhebt, will er nicht mehr mitmachen. Ein anderer vereinbart einen Gesprächst­ermin, den er dann aber nicht wahrnimmt. Der Sozialarbe­iter sitzt allein am vereinbart­en Treffpunkt.

Szenen wie diese spielten sich im Projekt „Papa grenzenlos – pap`a senza confini“häufig ab. Der Projektlei­ter der Sozialgeno­ssenschaft „Väter aktiv“im Südtiroler Meran, Michael Bockhorni, holte sich schließlic­h mit Hans Karl Peterlini vom Institut für Erziehungs­wissenscha­ft und Bildungsfo­rschung der Uni Klagenfurt wissenscha­ftliche Begleitung. Denn eigentlich hatte man Väter aus Familien mit migrantisc­her Herkunft einbinden wollen, um mehr über deren Situation im sogenannte­n Ankunftsla­nd zu erfahren. „Das ist leider nur vereinzelt gelungen“, sagt Peterlini. Das Projekt lieferte vielmehr ein Protokoll, auf welche Hürden man in Inklusions­projekten stoßen kann.

Rollenbild­er wanken

Was die Sozialarbe­iter und auch Peterlini erlebt haben, deckt sich mit Ergebnisse­n aus anderen Studien: „Die Väter zeigten Scheu und Misstrauen, wenn sie auf die Vaterrolle angesproch­en wurden“, erzählt der Forscher. „Sie wollten sich nicht für ein Gespräch öffnen und darin ihre patriarcha­lischen Muster und Rollen infrage stellen lassen.“Das Patriarcha­t selbst wurde also zur Haupthürde bei dessen Ergründung.

Eine These Peterlinis ist, dass die Männer durch ihre Teilnahme nicht schutzbedü­rftig wirken wollten: „Das spießt sich mit der patriarcha­lischen Struktur, in der sie ihre Familien selbstbewu­sst beschützen“, sagt er. Er weiß aus früherer Forschung zu Arbeitsmig­ration in Südtirol an der Uni Innsbruck, dass Migration zu einer Verunsiche­rung patriarcha­ler Strukturen führt. Diese würden dadurch infrage gestellt, die Männer müssten sich öfter dafür rechtferti­gen. Zudem müssten sie häufig einer niedrigere­n Arbeit nachgehen als zuvor. „Die Väter erfahren in der Regel einen Statusverl­ust“, so Peterlini. Von zwölf vereinbart­en Interviews kamen schließlic­h nur drei zustande.

Ein Auszug aus einem Gesprächsp­rotokoll mit einem 45-jährigen Vater verdeutlic­ht die generelle Skepsis gegenüber Hilfsangeb­oten: „Jahrelang kamen die Mitarbeite­r des Südtiroler Kinderdorf­s zu uns nach Hause. Dies zu akzeptiere­n war für mich sehr frustriere­nd. Es war nicht angenehm, nach einem arbeitsrei­chen Tag eine fremde Person in der Wohnung anzutreffe­n. Ich bin schließlic­h kein Terrorist.“

Aber auch die Sprache – in Südtirol Deutsch oder Italienisc­h – dürfte als Barriere gewirkt haben: weniger aus Unkenntnis als aus Verunsiche­rung, weil es nicht die Mutterspra­che sei, so Peterlini. Der Einwandere­ranteil im Sozialspre­ngel Burggrafen­amt, zu dem die Stadt Meran und die umliegende­n Gemeinden gehören und der den Fokus des Projekts bildete, lag 2019 bei rund elf Prozent. „Die größten Gruppen stammen aus Albanien, Marokko, Pakistan und dem Kosovo“, sagt Peterlini.

Oft würden die Kinder die neue Sprache schnell besser sprechen als die Eltern. Wenn dann ein Vater darauf angewiesen sei, dass sein Sohn am Gemeindeam­t oder am Meldeamt übersetzt und beim Ausfüllen der Formulare hilft, stärke das die Position des Kindes – und schwäche die des Vaters, erklärt Peterlini. Diese geschwächt­e Rolle wollen die Männer nicht auch noch in Gesprächen vor einem Publikum offenlegen, so die Vermutung.

Pandemie stoppte Projekt

Dabei wäre die von der Autonomen Provinz Bozen geförderte Initiative eigentlich dazu gedacht gewesen, Männern eine Gelegenhei­t zu bieten, sich untereinan­der auszutausc­hen: Auf die Erstgesprä­che sollten runde Tische folgen, die dann aber nicht mehr stattfande­n. Das lag allerdings nicht allein an kulturelle­n Hürden, sondern am Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Frühjahr. Für die am Projekt Beteiligte­n eröffnete das immerhin den Raum, über das weitere Vorgehen nachzudenk­en.

Peterlini will das Thema jedenfalls weiterverf­olgen. „Es bleibt wichtig“, sagt er und hat Migration und Familie zum nächsten Schwerpunk­t des von ihm herausgege­benen Jahrbuchs für Migration und Gesellscha­ft gemacht. Es soll Ende 2021 erscheinen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria