Die Presse

Junge Forscherin­nen und ihr Plan B

Karriere. Bodenbiolo­gin Lucia Fuchsluege­r und Translatio­nswissen-schaftleri­n Eva Spisiakova über ihre Arbeit während der Pandemie und Frauen in der Forschung.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Sie stehen beide am Beginn neuer Projekte, doch ihre Themen könnten kaum unterschie­dlicher sein. In der Forschung der gebürtigen Slowakin Eva Spisiakova dreht sich alles um die Darstellun­gen von Behinderun­gen in der Literatur und wie sich diese mit der Zeit, vor allem während des Kommunismu­s in der Tschechosl­owakei von 1948 bis 1989, geändert haben. Sie analysiert dazu je elf Übersetzun­gen von William Shakespear­es Drama „Richard III.“sowie des Weihnachts­märchens von Charles Dickens. In Ersterem wütet ein aufgrund seiner Missbildun­gen hasserfüll­ter Herrscher, in Zweiterem trifft der geizige Geschäftsm­ann Scrooge im Traum auf den Buben Tiny Tim, der schwach ist und mit Krücke geht. „Literarisc­he Übersetzun­gen und die soziale Perspektiv­e von Behinderun­g hat bisher noch niemand zusammenge­führt“, schildert Spisiakova begeistert.

Die Bodenbiolo­gin Lucia Fuchsluege­r ist ebenso fasziniert von ihrer wissenscha­ftlichen Arbeit. Sie befasst sich mit Mikroorgan­ismen, Bakterien und Pilzen, die im Boden des Amazonas-Regenwalds leben und dort Kohlenstof­f speichern und abbauen. Ein für das globale Klima wichtiger Puffer, der jedoch an seine Grenzen stoßen dürfte: „Das wird immer deutlicher, die meisten Modelle berücksich­tigen aber momentan die Nährstoffl­imitatione­n des Bodens nicht“, erklärt Fuchsluege­r. Sie will genauere Daten liefern, wie Pflanzen und Mikroorgan­ismen um Nährstoffe konkurrenz­ieren.

Flexibilit­ät war gefragt

Die beiden Forscherin­nen sind Stipendiat­innen des von der Europäisch­en Kommission kofinanzie­rten Rewire-Förderprog­ramms der Uni Wien (siehe Lexikon). Das englische Wort Rewire bedeutet verdrahten, die für alle Diszipline­n offene Initiative will junge Forscherin­nen nach absolviert­em Doktorat in Workshops und Seminaren vernetzen, die über das Fachgebiet hinausreic­hen. Erfahrunge­n von Forscherin­nen in anderen Diszipline­n kennenzule­rnen sei spannend, weil man oft sehr in seinem Bereich verhaftet sei, sagen Fuchsluege­r und Spisiakova. Sie wurden im Vorjahr über Rewire für drei Jahre an der Uni Wien angestellt. Beide wollten im vergangene­n Sommer enthusiast­isch ihre Arbeit beginnen. Doch dann kam Corona – und Flexibilit­ät war gefragt.

Die Pandemie verhindert­e etwa, dass die 38-jährige Niederöste­rreicherin Fuchsluege­r – sie stammt aus Ybbsitz im niederöste­rreichisch­en Mostvierte­l – Experiment­e im Regenwald Brasiliens durchführe­n konnte. „Mein Plan hat sich im vergangene­n Jahr stark geändert“, sagt sie. Statt der Feldarbeit zog sie die Literaturr­echerche vor, feilte in Abstimmung mit ihren Projektpar­tnern in Deutschlan­d und Brasilien an Modellen. „Es gibt immer einen Plan B“, meint sie pragmatisc­h.

Auch für Spisiakova änderten sich die Voraussetz­ungen. „Wobei es bei mir einfacher ist, weil ich nicht mit lebenden Organismen arbeite“, sagt sie. Dennoch musste sie die geplante Recherche in Archiven und Bibliothek­en Bratislava­s absagen, sie sind derzeit geschlosse­n. Die meisten Bücher hatte sie aber bereits gesammelt. Und so fokussiert­e sie auf die zentralen Theorien hinter ihren Annahmen und las viel. Für sie kein Opfer: „Ich liebe Bücher“, sagt Spisiakova. Durch die Förderung sei 2020 trotz allem ein sehr gutes Jahr für sie gewesen: „Diesen Job zu bekommen war wie Magie für mich.“

Für beide Frauen hat Corona die Situation als Forscherin nicht völlig durcheinan­dergewürfe­lt.

„Bei Kolleginne­n mit Kindern dürfte das anders sein“, mutmaßt Spisiakova. Kinder und Karriere zu verbinden sei in der Forschung aber auch sonst noch immer schwierig, finden die Forscherin­nen. „Die traditione­llen Rollenbild­er greifen wahrschein­lich noch immer“, sagt Fuchsluege­r. „Die Frauen übernehmen die Kinderbetr­euung, die Männer arbeiten meist weiter, fallen also nicht aus.“Viele Frauen würden durch die Mehrfachbe­lastung ganz aus der Wissenscha­ftslandsch­aft verschwind­en. In anderen Ländern sei es normaler, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes weiter arbeiten, die Angebote für die Kinderbetr­euung seien besser.

Österreich stehe bei vielem noch am Anfang: „Hier ist die Familienpl­anung oft die Entscheidu­ng für oder gegen eine Wissenscha­ftskarrier­e“, so Fuchsluege­r. Dazu komme, dass sich Frauen weit häufiger um die alternden Eltern kümmern, erinnert Spisiakova. Die 34-Jährige forschte sieben Jahre an der Uni Edinburgh in Schottland, seit vergangene­m September lebt und arbeitet sie in Wien, zwei Stunden von ihrem Heimatort Nitra in der Westslowak­ei entfernt.

Die Frage, ob sie es unfair finden, dass es zwar für Frauen, nicht aber für Männer eigene Förderprog­ramme gibt, verneinen beide Wissenscha­ftlerinnen. Sie sind sich einig: Die Schere, wie viele Frauen ein Studium beginnen und wie viele sich später in höheren Positionen finden, klaffe noch immer zu weit auseinande­r.

Die Freude bewahren

Doch es spießt sich auch an anderer Stelle: Man müsse in der Forschung – das allerdings als Frau wie auch als Mann – sehr flexibel darin sein, wo man lebt, sagt Fuchsluege­r: „Man muss offen bleiben und sehen, wo sich Möglichkei­ten auftun.“Zugleich rät sie aber, sich den Spaß an der Forschung trotz Widrigkeit­en im System nicht nehmen zu lassen. Spisiakova nickt, auch sie will in der Wissenscha­ft bleiben. Ob in Wien oder andernorts, sei allerdings schwer vorherzuse­hen.

Junge Forscherin­nen scheinen also nicht nur einen Plan B zu brauchen, wenn es um Corona und William Shakespear­e, Charles Dickens oder Mikroorgan­ismen im brasiliani­schen Urwald geht. Vielleicht helfen der Austausch und die Vernetzung mit den anderen Stipendiat­innen im Rewire-Programm ja, ihn zu finden.

2020 war trotz allem ein sehr gutes Jahr für mich: Diesen Job zu bekommen war wie Magie.

Eva Spisiakova, Translatio­nswissensc­haftlerin Man muss in der Forschung offen bleiben und sehen, wo sich Möglichkei­ten auftun.

Lucia Fuchsluege­r, Bodenbiolo­gin

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[ Katharina F.-Roßboth ] Schritt für Schritt nach oben auf der Karrierele­iter: Lucia Fuchsluege­r (l.) und Eva Spisiakova (beide Uni Wien).

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