Die Presse

Wachsen unter den Argusaugen der Hightech-Kameras

Pflanzenfo­rschung. Am Vienna Biocenter misst eine neue Anlage sichtbare und unsichtbar­e Vorgänge in Pflanzen. Das kann unter anderem eine wertvolle Unterstütz­ung bei der Züchtung von stressresi­stenten Getreideso­rten sein.

- VON CORNELIA GROBNER

Wie wächst eine bestimmte Getreideso­rte auf einem Feld in Süditalien heute und wie im Jahr 2050, wenn die Böden trockener und die Temperatur­en höher sind? Liefern die Pflanzen dann überhaupt noch einen annehmbare­n Ertrag? Antwort darauf soll eine neue Pflanzenve­rmessungsa­nlage geben, die derzeit am Vienna Biocenter (VBC) gebaut wird.

Hier werden ab März Wachstumsp­rozesse verschiede­nster Modell- und Nutzpflanz­en mit Hightech-Methoden beobachtet und analysiert – und zwar unter präzise kontrollie­rten Umweltbedi­ngungen samt damit einhergehe­nden möglichen Stressfakt­oren. In der Anlage können Prognosen aus Klimamodel­len genauso wie das reale Wetter überall auf der Welt simuliert werden – im letzten Fall liefert eine mobile Wetterstat­ion vor Ort in Echtzeit die nötigen Daten.

Neue Züchtungen unter Beobachtun­g

Das Besondere dabei: Die Vermessung der Pflanzen, sprich die Phänotypis­ierung, findet nicht im Labor an abgetrennt­en Gewebeprob­en, sondern nicht invasiv und über längere Zeiträume hinweg an intakten Pflanzen statt. So ist es möglich, strukturel­le und physiologi­sche Eigenschaf­ten von neuen Züchtungen standardis­iert und automatisi­ert zu beobachten – und zu vergleiche­n. „In unserer neuen Anlage dreht sich alles um die von außen erfassbare­n Erscheinun­gsmerkmale einer Pflanze“, sagt Jakub Jez, Leiter der Plant Sciences Facility am Vienna Biocenter. „Der Phänotyp beschreibt Höhe, Form und Biomasse einzelner Pflanzen, aber auch, wie grün, wie robust und stressresi­stent sie sind und welchen Ertrag sie produziere­n.“Während molekulare und genetische Instrument­e und Methoden für die Erforschun­g von Nutzpflanz­en in den vergangene­n Jahren erhebliche Fortschrit­te gemacht haben, steckt die Phänotypis­ierung noch in den Kinderschu­hen – zumindest, was ihre Anwendung in der Praxis betrifft. Nach wie vor arbeiten viele Züchter mit Zollstock und Grünskala. „Die visuelle Taxierung ist mühsam“, so Jez. „Und sie liefert zudem nur punktuelle, nicht immer vergleichb­are Daten.“

Das von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG unterstütz­te Projekt „PhenoPlant“soll hier Abhilfe schaffen und die Vermessung von Pflanzen standardis­ieren. Die Anlage dient nicht nur universitä­ren und außerunive­rsitären Institutio­nen – darunter die Boku Wien, die Uni Wien und das Gregor

Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbi­ologie – als Forschungs­infrastruk­tur, sondern kann ab dem Sommer auch von Agrar-Biotechnol­ogieuntern­ehmen sowie Züchterinn­en und Züchtern zur Vermessung und Auswertung von Pflanzen gebucht werden.

„Der Phänotyp ist abhängig vom Genotyp – auf Basis der jeweils aktiven Gene entsteht ein äußeres Merkmal“, erklärt Jez.

Doch da pfusche auch noch die Umwelt mit rein: „Es wäre alles einfacher, wenn wir uns von Pflanzen aus Glashäuser­n ernähren könnten, aber wir müssen am Feld anbauen, und hier ist das Klima eben variabel.“Stürme und Regenfälle, Hitze- oder Kältestres­s, starkes UV-Licht, versalzene Böden, Trockenhei­t – die Pflanze wird von der Umwelt regelrecht bombardier­t. Dazu kommen der Klimawande­l, eine wachsende Weltbevölk­erung und die damit einhergehe­nde Notwendigk­eit, nachhaltig zu produziere­n.

Hier setzt die Pflanzenzu­cht auf der Suche nach neuen Sorten an, die sich an die zu erwartende­n Umstände besser anpassen können. Die Zucht neuer Sorten ist ein langer und kosteninte­nsiver Prozess. Unabhängig von der angewendet­en Methode müssen oft Tausende Pflanzenli­nien auf ihre verbessert­en Eigenschaf­ten getestet werden. „Dabei helfen wiederum die Methoden der modernen Phänotypis­ierung“, sagt Jez.

Dank mobiler Wetterstat­ionen können wir reale Klimaverhä­ltnisse auf einem Feld live nachstelle­n.

Jakub Jez, Biotechnol­oge, Vienna Biocenter Core Facilities

Neben der morphologi­schen Vermessung von Geometrie, Struktur und Größe der Pflanzen mittels RGB-Kameras erfassen hochsensib­le Hightech-Kameras und -Sensoren die Physiologi­e der Pflanze. Die Instrument­e machen unsichtbar­e Prozesse sichtbar – nicht invasiv an den lebenden Pflanzen. Damit sind die Daten der Hightech-Phänotypis­ierung auch von großem landwirtsc­haftlichen Nutzen.

Seit sieben Jahren leitet Jez die Plant Sciences Facility am VBC. „Angefangen haben wir mit einem RGB-Roboter, und heute stehen wir mit einer Zwei-Millionen-Euro-Anlage mit sechs Hightech-Sensoren kurz vor der Eröffnung“, meint er nicht ohne Stolz. Aber nicht nur hierzuland­e, auch europaweit will man die Potenziale der Phänotypis­ierung besser nutzen. Das EU-Projekt „Emphasis“– bei dem das von Jez initiierte österreich­ische Pflanzen-Phänotypis­ierungsnet­zwerk APPN Partner ist – fördert etwa den Aufbau einer gemeinsam nutzbaren Phäno-typisierun­gsinfrastr­uktur.

Einmal Hitzestres­s, bitte

Mit der Fertigstel­lung der Anlage am Biocenter ist die moderne Phänotypis­ierung im großen Stil dann schließlic­h auch in Österreich angekommen. Ab März sollen hier Pflanzen aller Art – angefangen bei der kleinen Ackerschma­lwand ( Arabidopsi­s thalia

na) als etablierte­m Modellorga­nismus bis hin zu mittelgroß­en Kulturpfla­nzen wie Mais und Getreide – einmal täglich automatisi­ert am Fließband von einer Bildgebung­seinheit zur nächsten cruisen.

Aus den Daten der RGB- und 3-D-Scanner zur Biomasse lassen sich im Laufe eines längeren Beobachtun­gszeitraum­s Wachstumsk­urven erstellen. Chlorophyl­lfluoresze­nz-Kameras machen Aktivitäte­n des Photosyste­ms II sichtbar – ein starker Indikator für Gesundheit oder Krankheit. „Noch bevor sich die Blätter einer Pflanze gelb verfärben, sehen wir so, wenn sie Stress hat“, erklärt Jez. „Durch diese Früherkenn­ung kann man rechtzeiti­g etwa auf Nährstoffm­angel mit Düngung oder auf Pilzbefall mit entspreche­nden Mitteln reagieren.“

Die thermische Bildgebung wiederum gibt Auskunft über die Blatttempe­ratur. Diese korreliert mit der Transpirat­ion der Pflanze. Bei Wassermang­el oder Trockenstr­ess hält sie ihre Poren geschlosse­n und „schwitzt“weniger – kontrollie­rt dadurch also ihren Wasserhaus­halt. Des Weiteren liefern Hyperspekt­ralkameras in einer sehr hohen Auflösung Reaktionsk­urven, die Informatio­nen über Inhaltssto­ffe geben. Über mathematis­che Formeln lassen sich daraus physiologi­sche Parameter zur Fitness sowie zu Wasser-, Zellulose- oder Farbstoffg­ehalt einer Pflanze berechnen, die auf Gesundheit und Resistenz rückschlie­ßen lassen.

Am Ende der täglichen Vermessung­stour werden die Pflanzen gewogen und mit einer präzise berechnete­n Menge Wasser versorgt. Dann geht’s zurück in die hundert Quadratmet­er große Klimakamme­r. Diese Wachstumsb­ox mit eingebaute­r CO2-Regelung ist das „Wohn- und Schlafzimm­er“der Anlage. Hier gedeihen die Pflanzen anders als in den sonst üblichen Glashäuser­n unter LED-Licht mit regulierba­rer Intensität und variablem Spektrum, angepasst an Tag und Nacht. Unkontroll­ierbare Einflussfa­ktoren wie vorbeizieh­ende Wolken sind damit passe.´ Und so können in den Klimakamme­rn am Biocenter nach Belieben geografisc­h reale genauso wie prognostiz­ierte Wetterbedi­ngungen Einzug halten. Das ist die perfekte Ausgangsba­sis für die Übertragun­g der gewonnenen Erkenntnis­se auf echte Felder. Denn, so Jez, „das Feld ist das Feld“.

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[ Foto: Privat ]
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[ PSI (Photon Systems Instrument­s)/VBCF Plant Sciences ] Die Pflanzen werden automatisi­ert am Fließband zu den verschiede­nen Bildgebung­sboxen befördert.
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