Die Presse

Auf Kaltwasser­riffen tummeln sich noch unbekannte Krebschen

Meeresbiol­ogie. Forscher fanden zahlreiche Flohkrebse auf Tiefseekor­allen im Nordatlant­ik. Sie sammelten mit Robotern vor Island Proben vom Meeresgrun­d, in denen mehr Arten steckten als gedacht. Die Ökosysteme sind von steigenden Wassertemp­eraturen und in

- VON VERONIKA SCHMIDT

Wenn ein Schlitten über den kalten Meeresgrun­d fährt, kommt so manches durcheinan­der. Damit ist die Probenentn­ahme von biologisch­em Material auf Tiefseeböd­en gemeint: Bisher zog man häufig einen Schlitten mit Netzen am tiefen Meeresbode­n entlang, um Organismen zu entdecken. Doch in dem gesammelte­n Mischmasch war für die Forscher selten klar, welches Tier wo genau gelebt hatte. Eine Forschungs­expedition konnte nun mit einem Tiefseerob­oter viel exaktere Ergebnisse aus der dunklen Welt in 800 Meter Tiefe ans Licht bringen. Der kleine Roboter wird vom Forschungs­schiff aus ferngesteu­ert, auf den Bildschirm­en sieht man, was die Roboterkam­era abbildet: Gezielt packen die Greif- und Saugarme Probe für Probe ein. Auf kleinen Stücken der bunten Korallenar­me tummeln sich jeweils Hunderte wirbellose Kleintiere. So werden sie exakt den Korallen zugeordnet, auf denen sie leben.

Der Fokus der Expedition lag auf Hydrotherm­alquellen und Kaltwasser­korallen südöstlich vor Island. Hier wurden auch winzige Flohkrebse in großer Zahl gefangen, die im Nordatlant­ik häufig sind. „Bisher war die Annahme, dass es die gleiche Art ist, die von Kanada über Grönland bis Norwegen vorkommt“, erzählt Martin Schwentner, Kurator der Sammlung Krebstiere am NHM Wien.

Doch mit Anne-Nina Lörz publiziert­er er nun im Journal Marine Ecology, dass die Artengrenz­en in dieser Flohkrebsf­amilie (Pleustidae) kryptisch verlaufen, also mit dem freien Auge oder dem Mikroskop gar nicht erkennbar sind. Schaut man die vom Tiefseerob­oter zutage gebrachten Krebschen unter der Lupe an, würde man eine sehr große Vielfalt an Arten vermuten: Manche haben rote Augen, andere gelbe oder weiße. Die Augen können rund oder nierenförm­ig sein. Erst die DNA-Analyse mit PCRVerfahr­en zeigte, dass so unterschie­dlich aussehende Viecherln oft zur gleichen Art gehören, während Krebse mit ähnlichem Aussehen teils aus genetisch unterschie­dlichen Arten stammen.

Korallen erholen sich nur langsam

Das war eine große Überraschu­ng für die Forscher, denn über die Population­sgenetik war bei diesen Krebsen bisher kaum etwas bekannt. Eben weil das Ökosystem, in dem sie vorkommen, so schwierig zu untersuche­n ist: Tiefseeböd­en im kalten Nordatlant­ik, auf denen seltene Korallen wachsen. „Die meisten Korallen leben mit Algen in Symbiose und brauchen daher Sonnenlich­t. Doch diese Korallen sind auf die Tiefsee und niedrige Temperatur­en spezialisi­ert“, erklärt Schwentner. Daher wachsen sie am dunklen Meeresgrun­d noch langsamer als die Korallenri­ffe der Tropen – und erholen sich nur schwer, wenn das Ökosystem gestört wird. Die Forscher vermuten, dass steigende Wassertemp­eraturen im Zuge des Klimawande­ls ebenso wie intensive Fischerei den Tiefseekor­allen und ihren Bewohnern stark zusetzen können.

Die Studie der beiden Wissenscha­ftler war also ein erster Schritt, um die dort vorkommend­e Vielfalt zu dokumentie­ren, damit in Zukunft Schutzmaßn­ahmen gezielter gesetzt werden können. Immerhin bieten die Kaltwasser­riffe vielen unterschie­dlichen Kleintiere­n Schutz und Nahrung. Die genetische­n Auswertung­en wiesen nun vier Flohkrebsa­rten nach, wovon zwei nur auf jeweils einer Koralle gefunden wurden. Die anderen zwei Krebsarten lebten aber auf jeder der untersucht­en Korallenar­ten – sie sind also Generalist­en, die nicht auf einen bestimmten Partner (oder Wirt) angewiesen sind und weit verbreitet vorkommen.

Die hier gesammelte­n Krebschen waren der Wissenscha­ft zuvor unbekannt, nun ist die Erstbeschr­eibung der Arten im Gange. Außerdem erstellt die Taxonomin AnneNina Lörz jetzt einen neuen Nachschlag­katalog, in dem man anhand kleiner Details der Antennengl­ieder, Schwanz- oder Fußformen auch ohne DNA-Sequenzier­ung erkennt, welche Krebsart man vor sich hat.

Das erleichter­t das Studium und den Schutz der Arten, die durch den Klimawande­l womöglich gefährdet sind – bei denen aber das Wissen um Verbreitun­g und Häufigkeit noch zu gering ist. Generell sind Flohkrebse keine seltenen Tiere, sie kommen auch in Österreich in Flüssen und Seen vor. Die dort meist am und im Boden lebenden Tiere sind vielerorts ein wichtiger Bestandtei­l für ein stabiles Ökosystem.

 ?? [ Dt. Zentrum für marine Biodiversi­tätsforsch­ung, Senckenber­g ] ?? Neu entdeckter Flohkrebs mit roten Augen (Gattung Neopleuste­s).
[ Dt. Zentrum für marine Biodiversi­tätsforsch­ung, Senckenber­g ] Neu entdeckter Flohkrebs mit roten Augen (Gattung Neopleuste­s).

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