Auf Kaltwasserriffen tummeln sich noch unbekannte Krebschen
Meeresbiologie. Forscher fanden zahlreiche Flohkrebse auf Tiefseekorallen im Nordatlantik. Sie sammelten mit Robotern vor Island Proben vom Meeresgrund, in denen mehr Arten steckten als gedacht. Die Ökosysteme sind von steigenden Wassertemperaturen und in
Wenn ein Schlitten über den kalten Meeresgrund fährt, kommt so manches durcheinander. Damit ist die Probenentnahme von biologischem Material auf Tiefseeböden gemeint: Bisher zog man häufig einen Schlitten mit Netzen am tiefen Meeresboden entlang, um Organismen zu entdecken. Doch in dem gesammelten Mischmasch war für die Forscher selten klar, welches Tier wo genau gelebt hatte. Eine Forschungsexpedition konnte nun mit einem Tiefseeroboter viel exaktere Ergebnisse aus der dunklen Welt in 800 Meter Tiefe ans Licht bringen. Der kleine Roboter wird vom Forschungsschiff aus ferngesteuert, auf den Bildschirmen sieht man, was die Roboterkamera abbildet: Gezielt packen die Greif- und Saugarme Probe für Probe ein. Auf kleinen Stücken der bunten Korallenarme tummeln sich jeweils Hunderte wirbellose Kleintiere. So werden sie exakt den Korallen zugeordnet, auf denen sie leben.
Der Fokus der Expedition lag auf Hydrothermalquellen und Kaltwasserkorallen südöstlich vor Island. Hier wurden auch winzige Flohkrebse in großer Zahl gefangen, die im Nordatlantik häufig sind. „Bisher war die Annahme, dass es die gleiche Art ist, die von Kanada über Grönland bis Norwegen vorkommt“, erzählt Martin Schwentner, Kurator der Sammlung Krebstiere am NHM Wien.
Doch mit Anne-Nina Lörz publizierter er nun im Journal Marine Ecology, dass die Artengrenzen in dieser Flohkrebsfamilie (Pleustidae) kryptisch verlaufen, also mit dem freien Auge oder dem Mikroskop gar nicht erkennbar sind. Schaut man die vom Tiefseeroboter zutage gebrachten Krebschen unter der Lupe an, würde man eine sehr große Vielfalt an Arten vermuten: Manche haben rote Augen, andere gelbe oder weiße. Die Augen können rund oder nierenförmig sein. Erst die DNA-Analyse mit PCRVerfahren zeigte, dass so unterschiedlich aussehende Viecherln oft zur gleichen Art gehören, während Krebse mit ähnlichem Aussehen teils aus genetisch unterschiedlichen Arten stammen.
Korallen erholen sich nur langsam
Das war eine große Überraschung für die Forscher, denn über die Populationsgenetik war bei diesen Krebsen bisher kaum etwas bekannt. Eben weil das Ökosystem, in dem sie vorkommen, so schwierig zu untersuchen ist: Tiefseeböden im kalten Nordatlantik, auf denen seltene Korallen wachsen. „Die meisten Korallen leben mit Algen in Symbiose und brauchen daher Sonnenlicht. Doch diese Korallen sind auf die Tiefsee und niedrige Temperaturen spezialisiert“, erklärt Schwentner. Daher wachsen sie am dunklen Meeresgrund noch langsamer als die Korallenriffe der Tropen – und erholen sich nur schwer, wenn das Ökosystem gestört wird. Die Forscher vermuten, dass steigende Wassertemperaturen im Zuge des Klimawandels ebenso wie intensive Fischerei den Tiefseekorallen und ihren Bewohnern stark zusetzen können.
Die Studie der beiden Wissenschaftler war also ein erster Schritt, um die dort vorkommende Vielfalt zu dokumentieren, damit in Zukunft Schutzmaßnahmen gezielter gesetzt werden können. Immerhin bieten die Kaltwasserriffe vielen unterschiedlichen Kleintieren Schutz und Nahrung. Die genetischen Auswertungen wiesen nun vier Flohkrebsarten nach, wovon zwei nur auf jeweils einer Koralle gefunden wurden. Die anderen zwei Krebsarten lebten aber auf jeder der untersuchten Korallenarten – sie sind also Generalisten, die nicht auf einen bestimmten Partner (oder Wirt) angewiesen sind und weit verbreitet vorkommen.
Die hier gesammelten Krebschen waren der Wissenschaft zuvor unbekannt, nun ist die Erstbeschreibung der Arten im Gange. Außerdem erstellt die Taxonomin AnneNina Lörz jetzt einen neuen Nachschlagkatalog, in dem man anhand kleiner Details der Antennenglieder, Schwanz- oder Fußformen auch ohne DNA-Sequenzierung erkennt, welche Krebsart man vor sich hat.
Das erleichtert das Studium und den Schutz der Arten, die durch den Klimawandel womöglich gefährdet sind – bei denen aber das Wissen um Verbreitung und Häufigkeit noch zu gering ist. Generell sind Flohkrebse keine seltenen Tiere, sie kommen auch in Österreich in Flüssen und Seen vor. Die dort meist am und im Boden lebenden Tiere sind vielerorts ein wichtiger Bestandteil für ein stabiles Ökosystem.